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»Aber es riecht wie in einer Gruft«, sagte Farid und blickte sehnsüchtig zum Himmel hinauf.

»Ah, der Junge hat eine feine Nase!«, sagte der Schnapper. »Ja, da unten gibt es viele Tote. Der Berg hat sie gefressen, weil sie zu tief gegraben haben. Man sieht sie nicht, aber man riecht sie. Sollen die Stollen verstopfen wie eine Ladung toter Fische.«

Farid sah ihn entsetzt an, aber Staubfinger gab ihm nur einen Stoß in den Rücken. »Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du dich nicht vor den Toten, sondern vor den Lebenden fürchten sollst. Los, lass ein paar Funken auf deinen Fingern tanzen, damit wir Licht haben.«

Die Räuber hatten sich in den Stollen eingenistet, die nicht verschüttet waren. Decken und Wände hatten sie zusätzlich abgestützt, aber Farid traute den Balken nicht, die sich gegen Stein und Erde stemmten. Wie sollten sie das Gewicht eines ganzen Berges tragen? Er glaubte ihn seufzen und stöhnen zu hören, und während er es sich notdürftig auf den schmutzigen Decken bequem machte, die die Räuber auf den harten Boden gebreitet hatten, fiel ihm plötzlich wieder der Rußvogel ein. Aber der Prinz lachte nur, als er ihn besorgt nach ihm fragte. »Nein, der Rußvogel kennt diesen Ort nicht. Er kennt keins unserer Verstecke. Er hat uns oft überreden wollen, ihn mitzunehmen, aber wer traut schon jemandem, der ein so hundsmiserabler Feuerschlucker ist? Vom Geheimen Lager wusste er nur, weil er ein Spielmann ist.«

Sicher fühlte Farid sich trotzdem nicht. Fast eine Woche noch, bis der Natternkopf die Gefangenen freilassen wollte! Das würde eine lange Zeit werden. Er sehnte sich schon jetzt nach dem Mäusedreck im Dachsbau zurück. In der Nacht starrte er unentwegt das Geröll an, das den Stollen, in dem sie schliefen, verschloss. Er glaubte zu hören, wie bleiche Finger an den Steinen kratzten. »Dann halt dir eben die Ohren zu!«, sagte Staubfinger nur, als er ihn deswegen wachrüttelte, und schlang die Arme wieder um Roxane.

Staubfinger träumte wieder schlecht, so wie er es auch in der anderen Welt oft getan hatte, aber nun war es Roxane, die ihn beruhigte und wieder in den Schlaf flüsterte. Ihre leise Stimme, weich vor Zärtlichkeit, erinnerte Farid an Meggies Stimme und er vermisste sie so sehr, dass er sich dafür schämte. Es war schwer, in dieser Dunkelheit, umgeben von Toten, daran zu glauben, dass sie ihn auch vermisste. Was, wenn sie ihn vergessen hatte, so wie Staubfinger ihn oft vergaß, seit Roxane gekommen war.? Nur Meggie hatte ihn die Eifersucht vergessen lassen, aber Meggie war nicht da.

In der zweiten Nacht kam ein Junge in die Mine, der in den Ställen auf der Nachtburg arbeitete und für den Schwarzen Prinzen spionierte, seit der Pfeifer seinen Bruder hatte aufhängen lassen. Er berichtete, der Natternkopf wolle die Gefangenen auf der Straße ziehen lassen, die hinunter zu den Häfen führte, unter der Bedingung, dass sie dort ein Schiff besteigen und nie zurückkehren würden.

»Die Straße zu den Häfen, so, so!«, sagte der Prinz nur, als der Spitzel wieder fort war - und machte sich noch in derselben Nacht mit Staubfinger auf den Weg. Farid fragte erst gar nicht, ob er mitdürfte. Er folgte ihnen einfach.

Die Straße war kaum mehr als ein Fußweg zwischen den Bäumen. Schnurgerade kam sie den Natternberg herab, als hätte sie es eilig, endlich wieder unter ein Blätterdach zu schlüpfen. »Der Natternkopf hat schon einmal eine Schar Gefangener begnadigt und auf diese Straße entlassen«, sagte der Schwarze Prinz, als sie unter den Bäumen am Straßenrand standen. »Sie sind auch wirklich ohne Zwischenfall bis ans Meer gekommen, wie er es versprochen hatte, doch das Schiff, das bereitlag, war ein Sklavenschiff, und der Natternkopf soll ein besonders schönes Silberzaumzeug für das knappe Dutzend Menschen bekommen haben.«

Sklaven? Farid erinnerte sich an Märkte, auf denen Menschen verkauft wurden, begafft und betastet wie Vieh. Mädchen mit blondem Haar waren sehr begehrt gewesen.

»Nun schau nicht so drein, als wäre Meggie schon verkauft!«, sagte Staubfinger. »Dem Prinzen wird schon etwas einfallen. Oder?«

Der Schwarze Prinz versuchte es mit einem Lächeln, aber er konnte nicht verbergen, dass er die Straße voller Sorge hinaufsah. »Bis zu diesem Schiff dürfen sie nie kommen«, sagte er. »Und wir können nur hoffen, dass der Natternkopf ihnen nicht allzu viele Soldaten zum Geleit mitgibt. Wir müssen sie rasch verstecken, am besten erst einmal in der Mine, bis sich alles wieder beruhigt hat. Vermutlich«, setzte er fast beiläufig hinzu, »werden wir das Feuer brauchen.«

Staubfinger blies auf seine Finger, bis Flammen zart wie Falterflügel darauf tanzten. »Warum, glaubst du, bin ich noch hier?«, fragte er. »Das Feuer wird da sein. Aber ich werde kein Schwert in die Hand nehmen, falls du das hoffst. Du weißt, ich bin nicht sonderlich geschickt mit so einem Ding.«

Besuch

Wenn ich nicht aus diesem Hause entkommen kann, dachte er, bin ich ein toter Mann!

Robert L. Stevenson, Der Schwarze Pfeil

Als Meggie aus dem Schlaf fuhr, wusste sie im ersten Moment nicht, wo sie war. Elinor?, dachte sie. Fenoglio? Doch dann sah sie Mo, tief über den großen Tisch gebeugt, ein Buch bindend. DAS Buch. Fünfhundert leere Blätter. Sie waren auf der Nachtburg, und morgen sollte Mo fertig sein. Ein Blitz erhellte die rußgeschwärzte Decke, und der Donner, der ihm folgte, klang bedrohlich laut, doch es war nicht das Gewitter, das Meggie geweckt hatte. Sie hatte Stimmen gehört. Die Wachtposten. Jemand war vor der Tür. Mo hatte es auch gehört.

»Meggie, er darf nicht so lange arbeiten. Das bringt das Fieber zurück!«, hatte der Schleierkauz noch am Morgen zu ihr gesagt, bevor sie ihn wieder hinunter in die Kerker brachten. Aber was sollte sie dagegen tun? Mo schickte sie ins Bett, sobald sie allzu oft gähnte. (»Das war das dreiundzwanzigste Mal, Meggie. Los, ins Bett, oder du fällst mir noch tot um, bevor dieses verfluchte Buch fertig ist.«) Er selbst aber ging dann noch lange nicht schlafen. Er schnitt, falzte und heftete, bis der Morgen dämmerte. Wie auch in dieser Nacht.

Als eine der Wachen die Tür aufstieß, glaubte Meggie für einen schrecklichen Moment, Mortola wäre gekommen - um Mo doch noch zu töten, bevor der Natternkopf ihn freiließ. Doch es war nicht die Elster. Der Natternkopf stand schwer atmend in der Tür, hinter sich zwei Diener, bleich vor Müdigkeit, mit Silberleuchtern in den Händen, von denen das Wachs auf die Dielen tropfte. Mit schwerfälligen Schritten trat ihr Herr auf den Tisch zu, an dem Mo arbeitete, und starrte auf das fast fertige Buch.

»Was wollt Ihr hier?« Mo hielt das Papiermesser noch in der Hand. Der Natternkopf starrte ihn an. Seine Augen waren noch blutunterlaufener als in der Nacht, in der Meggie ihren Handel mit ihm geschlossen hatte.

»Wie lange noch?«, stieß er hervor. »Mein Sohn schreit. Er schreit die ganze Nacht. Er spürt die Weißen Frauen genau wie ich. Jetzt wollen sie ihn auch holen, ihn und mich gleich dazu. In Gewitternächten sind sie besonders hungrig.«

Mo legte das Messer zur Seite. »Ich bin morgen fertig, wie abgemacht. Ich wäre sogar noch eher fertig geworden, aber das Leder für den Bezug hatte Dornenlöcher und Risse, das hat aufgehalten, und das Papier war auch nicht das beste.«

»Ja, ja, schon gut, der Bibliothekar hat mir deine Beschwerden überbracht!« Die Stimme des Natternkopfes klang, als hätte er sie heiser geschrien. »Wenn es nach Taddeo ginge, würdest du den Rest deines Lebens in dieser Kammer verbringen und all meine Bücher neu binden. Aber ich werde mein Wort halten! Ich werde euch gehen lassen, dich, deine Tochter, deine Frau und das Spielmannsgesindel. Sie können alle gehen, ich will nur das Buch! Mortola hat mir von den drei Wörtern erzählt, die deine Tochter mir so hinterlistig verschwiegen hat, aber das ist mir egal - ich werde schon aufpassen, dass keiner sie hineinschreibt! Ich will ihm endlich ins Gesicht lachen können, dem Kalten Mann und seinen bleichen Weibern! Noch eine Nacht und ich schlage meinen Kopf gegen die Wand, ich töte meine Frau, ich töte mein Kind, ich töte euch alle. Hast du verstanden, Eichelhäher oder wie sonst dein Name ist? Du musst fertig sein, bevor es noch einmal dunkel wird!«