Meggie schrie auf. Mo zog sie an sich und verbarg ihr Gesicht an seiner Brust. Der Brandfuchs aber stand da und starrte fassungslos auf das Schwert, das ihm aus dem Körper ragte, als wäre es ein Teil von ihm.
Mit selbstzufriedenem Lächeln blickte der Natternkopf in die Runde, labte sich an dem stummen Entsetzen, das ihn umgab. Der Brandfuchs aber griff nach dem Schwert, das ihm aus dem Leib ragte, und zog die Klinge mit verzerrtem Gesicht wieder heraus, ganz langsam, ohne zu wanken.
Und in dem großen Saal wurde es so still, als hätten alle Anwesenden aufgehört zu atmen.
Der Natternkopf aber klatschte in die Hände. »Nun seht ihn euch an!«, rief er. »Ist irgendwer hier im Saal der Meinung, dass er diesen Schwertstoß hätte überleben können? Doch er ist nur etwas blass, nichts weiter. Stimmt’s, Brandfuchs?«
Sein Herold antwortete nicht, er stand nur da und starrte auf das blutige Schwert in seinen Händen.
Der Natternkopf aber fuhr mit aufgeräumter Stimme fort: »Ja, ich denke, damit ist es bewiesen! Das Mädchen hat nicht gelogen, und der Natternkopf ist wohl doch kein leichtgläubiger Narr, der auf Kindermärchen hereinfällt, nicht wahr?« Wie ein Raubtier die Pfoten - so sorgsam setzte er die Worte.
Nichts als Stille antwortete ihm. Und auch der Brandfuchs, das Gesicht weiß vom Schmerz, schwieg weiter, während er mit einem Zipfel seines Mantels das eigene Blut von der Schwertklinge wischte.
»Sehr gut!«, stellte der Natternkopf fest. »Dann wäre das wohl aus der Welt - und ich habe nun einen unsterblichen Herold! Zeit, dass ich dasselbe von mir behaupten kann. Pfeifer!«, sagte er und drehte sich zu dem Silbernasigen um. »Leer mir den Saal! Schaff alle hinaus. Diener, Frauen, Bader, Verwalter, alle. Nur zehn Gepanzerte bleiben, du, der Brandfuchs, der Bibliothekar und die zwei Gefangenen. Du gehst auch!«, fuhr er Mortola an, als sie protestieren wollte. »Bleib bei meiner Frau und sorg endlich dafür, dass das Kind nicht mehr weint.«
»Mo, was hat er vor?«, flüsterte Meggie, während um sie her die Gepanzerten die Menschen aus dem Saal trieben. Aber er konnte nur den Kopf schütteln. Er wusste die Antwort nicht. Er spürte nur, dass das Spiel noch lange nicht zu Ende war.
»Was ist mit uns?«, rief er dem Natternkopf zu. »Meine Tochter und ich haben unseren Teil der Abmachung erfüllt, also hol die Gefangenen aus dem Kerker und lass uns gehen.«
Doch der Natternkopf hob nur beschwichtigend die Hände. »Ja, sicher, sicher, Eichelhäher!«, gab er mit gönnerhafter Stimme zurück. »Da du dein Versprechen gehalten hast, halte ich das meine.
Natternehrenwort. Ich habe bereits ein paar Männer hinunter in die Kerker geschickt, aber es ist ein langer Weg von dort bis zum Tor, also leiste uns noch etwas Gesellschaft. Glaub mir, für deine Unterhaltung wird gesorgt sein.«
Ein Spiel. Mo sah sich um und beobachtete, wie die riesigen Türen sich hinter den letzten Dienern schlossen. Der Saal erschien leer nur noch größer.
»Wie fühlst du dich, Brandfuchs?« Der Natternkopf musterte seinen Herold mit kühlem Blick. »Wie fühlt es sich an, unsterblich zu sein? Fabelhaft? Beruhigend?«
Der Brandfuchs schwieg. Er hielt immer noch das Schwert in der Hand, das ihn durchbohrt hatte. »Ich hätte gern mein eigenes Schwert zurück«, sagte er heiser, ohne seinen Herrn aus den Augen zu lassen. »Dieses taugt nichts.«
»Ach was. Unsinn. Ich werde dir ein neues Schwert schmieden lassen, ein besseres, als Dank für den Dienst, den du mir heute erwiesen hast!«, entgegnete der Natternkopf. »Aber vorher bleibt noch eine Kleinigkeit zu erledigen, damit wir deinen Namen ohne Schaden wieder aus meinem Buch entfernen können.«
»Entfernen?« Der Blick des Brandfuchses wanderte zum Pfeifer, der das Buch immer noch in den Armen hielt.
»Entfernen, ja. Du erinnerst dich, dieses Buch sollte ursprünglich mich und nicht dich unsterblich machen. Aber damit das geschehen kann, muss der Schreiber noch drei Wörter hineinschreiben.«
»Wozu?« Der Brandfuchs wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn.
Drei Wörter. Armer Teufel. Hörte er, wie die Falle zuschnappte? Meggie griff nach Mos Hand.
»Um Platz zu machen, könnte man sagen, Platz für mich«, erwiderte der Natternkopf. »Und weißt du was?«, führ er fort, als der Brandfuchs ihn verständnislos ansah. »Als Lohn dafür, dass du mir so selbstlos bewiesen hast, wie zuverlässig dieses Buch vor dem Tod beschützt, darfst du, sobald der Schreiber diese drei Wörter geschrieben hat, den Eichelhäher töten. Falls man ihn töten kann. Ist das ein Angebot?«
»Was? Was redest du da?« Meggies Stimme klang schrill vor Angst, aber Mo presste ihr schnell die Hand auf den Mund. »Meggie, bitte!«, raunte er ihr zu. »Hast du vergessen, was du über Fenoglios Worte gesagt hast? Es wird mir nichts geschehen.«
Aber sie wollte nicht hören. Sie schluchzte und hielt sich fest an ihm, bis zwei Gepanzerte sie grob zurückzerrten.
»Drei Wörter!« Der Brandfuchs trat auf ihn zu. Hatte er ihm nicht gerade noch Leid getan? Mortimer, du bist ein Dummkopf, dachte Mo. »Drei Wörter, zähl gut mit, Eichelhäher«, der Brandfuchs hob das Schwert, »beim vierten stoß ich zu, und das wird wehtun, ich versprech es dir, auch wenn es dich vielleicht nicht tötet. Ich weiß, wovon ich rede.«
Die Schwertklinge schien wie aus Eis im Licht der Kerzen und lang genug, um drei Männer damit aufzuspießen. An einigen Stellen klebte das Blut des Brandfuchses immer noch wie Rost auf dem blanken Metall.
»Wohlan, Taddeo«, sagte der Natternkopf. »Du erinnerst dich an die Wörter, die ich dir genannt habe? Schreib sie, eins nach dem anderen, aber sprich sie nicht aus. Zähl sie einfach.«
Der Pfeifer schlug das Buch auf und hielt es dem alten Mann hin. Mit bebenden Fingern tauchte Taddeo die Feder in das Tintenglas. »Eins«, sagte er und die Feder kratzte über das Papier.
»Zwei.«
Der Brandfuchs setzte Mo mit einem Lächeln die Schwertspitze auf die Brust.
Taddeo hob den Kopf, tauchte die Feder erneut in die Tinte
- und sah den Natternkopf unsicher an.
»Hast du das Zählen verlernt, alter Mann?«, fragte der.
Taddeo schüttelte nur den Kopf und senkte die Feder erneut aufs Papier. »Drei!«, hauchte er.
Mo hörte Meggie seinen Namen rufen und starrte auf die Schwertspitze. Wörter, nichts als Wörter schützten ihn vor der blanken scharfen Schneide.
Aber in Fenoglios Welt war das genug.
Die Augen des Brandfuchses weiteten sich, erstaunt und entsetzt zugleich. Mo sah, wie er versuchte, mit seinem letzten Atemzug doch noch zuzustoßen, ihn mitzunehmen dorthin, wo Feder und Tinte ihn hinschickten, aber das Schwert fiel ihm aus den Händen. Dann sackte er zusammen und fiel Mo vor die Füße.
Der Pfeifer blickte schweigend auf den Toten hinab, während Taddeo die Feder sinken ließ und von dem Buch, in das er eben noch geschrieben hatte, zurückwich, als könnte es auch ihn im nächsten Augenblick töten, mit leiser Stimme, mit einem einzigen Wort.
»Schafft ihn fort!«, befahl der Natternkopf. »Bevor die Weißen Frauen ihn sich noch aus meiner Burg holen. Nun macht schon!«
Drei Gepanzerte trugen den Brandfuchs hinaus. Die Fuchsschwänze an seinem Mantel schleiften über die Fliesen, als sie ihn fortschleppten, und Mo stand da und starrte auf das Schwert zu seinen Füßen. Er spürte, wie Meggie die Arme um ihn schlang. Ihr Herz schlug so heftig wie das eines verängstigten Vogels.
»Ja, wer will schon einen unsterblichen Herold?«, rief der Natternkopf dem toten Brandfuchs nach. »Wärst du etwas klüger gewesen, so hättest du das begriffen.« Der Rubin, der seinen Nasenflügel schmückte, glich mehr denn je einem Tropfen Blut.
»Soll ich seinen Namen nun tilgen, Euer Gnaden?« Tadde-os Stimme klang so zaghaft, dass sie kaum zu hören war.
»Natürlich. Seinen Namen und die drei Wörter, versteht sich. Aber erledige das gründlich. Ich will, dass die Seiten wieder weiß sind wie frisch gefallener Schnee.«