Der Bibliothekar machte sich gehorsam an die Arbeit. Das Schaben klang seltsam laut in dem leeren Saal. Als Taddeo fertig war, strich er noch einmal mit der flachen Hand über das erneut weiße Papier. Dann zog der Pfeifer ihm das Buch aus den Händen und hielt es dem Natternkopf hin.
Mo sah, dass die plumpen Finger zitterten, als sie die Feder in die Tinte tauchten. Und bevor er zu schreiben begann, sah der Natternkopf noch einmal auf. »Du warst sicherlich nicht so dumm, noch irgendeinen zusätzlichen Zauber in dieses Buch zu binden, nicht wahr, Eichelhäher?«, fragte er lauernd. »Es gibt Arten, einen Mann zu Tode zu bringen - und nicht nur einen Mann, sondern auch seine Frau und seine Tochter -, die das Sterben zu einer sehr langen und sehr qualvollen Sache machen. Es kann Tage währen, viele Tage und Nächte.«
»Ein Zauber? Nein«, erwiderte Mo, während er immer noch auf das Schwert zu seinen Füßen starrte. »Aufs Zaubern verstehe ich mich nicht. Ich sage es noch einmal, das Buchbinden ist mein Handwerk, nichts sonst. Und alles, was ich darüber weiß, ist in dieses Buch geflossen. Nicht mehr und nicht weniger.«
»Nun gut.« Der Natternkopf tauchte noch einmal die Feder ein - und hielt erneut inne. »Weiß!«, murmelte er, während er die leeren Seiten anstarrte. »Seht nur, wie weiß sie sind. Weiß wie die Frauen, die den Tod bringen, weiß wie die Knochen, die der Kalte Mann zurücklässt, wenn er sich an Fleisch und Blut satt gegessen hat.«
Dann schrieb er. Schrieb seinen Namen in das leere Buch. Und klappte es zu. »Erledigt!«, rief er triumphierend. »Erledigt, Taddeo! Schließ ihn ein, den Seelenschlürfer, den Feind, den man nicht töten kann. Nun kann er mich auch nicht mehr töten. Nun sind wir gleich. Zwei Kalte Männer, die zusammen diese Welt regieren. In alle Ewigkeit!«
Der Bibliothekar gehorchte, aber während er die Schließen einrasten ließ, sah er Mo an. Wer bist du?, schienen seine Augen zu fragen. Welche Rolle spielst du in diesem Spiel? Aber selbst wenn Mo gewollt hätte, er hätte ihm die Antwort nicht sagen können.
Der Natternkopf jedoch schien zu glauben, dass er sie kannte. »Weißt du, dass du mir gefällst, Eichelhäher?«, fragte er, während sein Echsenblick ihn nicht losließ. »Ja, wirklich, du würdest bestimmt einen guten Herold abgeben, aber die Rollen sind anders verteilt, nicht wahr?«
»Ja, das sind sie«, sagte Mo. Aber du weißt nicht, von wem. Ich schon, setzte er in Gedanken hinzu.
Der Natternkopf nickte den Gepanzerten zu. »Lasst ihn gehen!«, befahl er. »Ihn, das Mädchen und wen immer sonst er mitnehmen will.«
Die Soldaten traten auseinander, wenn auch widerstrebend.
»Komm, Mo!«, flüsterte Meggie und drückte seine Hand.
Wie blass sie war. Blass vor Angst und so wehrlos. Mo blickte an den Gepanzerten vorbei, dachte an den ummauerten Hof, der draußen auf sie wartete, die Silbervipern, die herabstarrten, die Pechklappen über dem Tor. Er dachte an die Armbrüste der Wachen auf den Zinnen, an die Lanzen der Torwächter - und an den Soldaten, der Resa in den Schmutz gestoßen hatte. Ohne ein Wort bückte er sich. und hob das Schwert auf, das dem Brandfuchs aus der Hand gefallen war.
»Mo!« Meggie ließ seine Hand los und sah ihn entsetzt an. »Was tust du?«
Aber er zog sie nur wortlos an seine Seite, während die Gepanzerten wie ein Mann ihre Waffen zogen. Das Schwert des Brandfuchses wog schwer, schwerer als das, mit dem er Capricorn aus seinem Haus getrieben hatte.
»Sieh einer an!«, sagte der Natternkopf. »Du scheinst dich nicht auf mein Wort verlassen zu wollen, Eichelhäher!«
»Oh, ich verlasse mich darauf!«, sagte Mo, ohne das Schwert sinken zu lassen. »Aber jeder hier hat eine Waffe außer mir, also denk ich mir, ich behalte dieses herrenlose Schwert. Du behältst das Buch, und wenn wir beide Glück haben, sehen wir uns nach diesem Morgen niemals wieder.«
Selbst das Lachen des Natternkopfes klang, als sei es aus Silber, aus dunkel angelaufenem Silber. »Aber wieso denn?«, rief er. »Ich finde, es macht Spaß, mit dir zu spielen, Eichelhäher. Du bist ein guter Gegner. Weshalb ich auch weiterhin zu meinem Wort stehe. Lasst ihn gehen!«, rief er den Gepanzerten noch einmal zu. »Sagt es auch den Wächtern beim Tor. Der Natternkopf lässt den Eichelhäher ziehen, weil er ihn nie mehr fürchten muss, denn der Natternkopf - ist unsterblich!«
Die Worte hallten Mo in den Ohren, als er nach Meggies Hand griff. Taddeo hielt immer noch das Buch, er hielt es, als könnte es ihn beißen. Mo glaubte das Papier noch zwischen den Fingern zu spüren, das Holz der Deckel, das Leder, die heftenden Fäden. Dann bemerkte er Meggies Blick. Sie starrte auf das Schwert in seiner Hand, als machte es ihn zu einem Fremden. »Komm«, sagte er und zog sie mit sich. »Lass uns zu deiner Mutter gehen!«
»Ja, geh, Eichelhäher, nimm deine Tochter, deine Frau und all die anderen!«, rief der Natternkopf ihnen nach. »Geh, bevor Mortola mich daran erinnert, wie dumm es ist, dich laufen zu lassen!«
Nur zwei Gepanzerte folgten ihnen auf dem langen Weg durch die Burg. Der Hof war noch fast menschenleer an diesem frühen Morgen. Der Himmel über der Nachtburg war grau und feiner Regen fiel, wie ein Schleier vor dem aufziehenden Tag. Die wenigen Knechte, die schon an der Arbeit waren, wichen erschrocken zurück, als sie das Schwert in Mos Hand sahen, und die Gepanzerten winkten sie wortlos aus dem Weg.
Die anderen Gefangenen warteten schon vor dem Tor, eine verlorene Schar, bewacht von einem Dutzend Soldaten. Mo konnte Resa zuerst nicht entdecken, aber plötzlich löste sich eine Gestalt von den anderen und lief auf ihn und Meggie zu. Keiner hielt sie auf. Vielleicht hatten die Soldaten schon gehört, wie es dem Brandfuchs ergangen war. Mo spürte, wie sie ihn anstarrten, voll Abscheu und Angst - den Mann, der den Tod zwischen weiße Seiten band und ein Räuber war dazu! Bewies das Schwert in seiner Hand das nicht für alle Zeit? Es war ihm egal, was sie dachten. Sollten sie ruhig Angst vor ihm haben. Er hatte mehr Angst gehabt, als für ein Leben gut war -all die Tage und Nächte, in denen er geglaubt hatte, er hätte alles verloren, seine Frau, seine Tochter, und dass ihm nichts bleiben würde als ein einsamer Tod in dieser Welt aus Worten.
Resa umarmte abwechselnd ihn und Meggie, sie erdrückte sie fast, und als sie ihn endlich wieder losließ, war sein Gesicht nass von ihren Tränen. »Komm, lass uns aus diesem Tor gehen, Resa!«, raunte er ihr zu. »Bevor der Herr dieser Burg es sich anders überlegt! Wir haben alle viel zu erzählen, aber lasst uns gehen!«
Die anderen Gefangenen schlossen sich ihnen schweigend an. Ungläubig beobachteten sie, wie das Tor sich vor ihnen öffnete, wie die eisenbeschlagenen Flügel aufschwangen und sie in die Freiheit entließen. Einige stolperten vor Hast über die eigenen Füße, als sie hinausdrängten. Doch immer noch kam ihnen keiner nach.
Die Wachen standen bloß da, Schwerter und Lanzen in der Hand, und starrten ihnen nach, wie sie unsicher davonschritten, die Beine steif von den Wochen im Kerker. Nur ein Gepanzerter kam mit aus dem Tor, wies ihnen wortlos die Straße, die sie nehmen sollten.
Was, wenn sie uns von den Zinnen nachschießen?, dachte Mo, als er sah, dass kein Baum und kein Strauch ihnen Schutz gewähren konnte, während sie der Straße den kahlen Abhang hinab folgten. Wie eine Fliege an der Wand kam er sich vor, so leicht totzuschlagen.
Aber nichts geschah. Sie gingen durch den grauen Morgen, durch den strömenden Regen, hinter sich die Burg bedrohlich wie ein Untier. und nichts geschah.
»Er hält sein Versprechen!« Immer öfter hörte Mo jemanden die Worte flüstern. »Der Natternkopf hält, was er versprochen hat.« Resa fragte ihn besorgt nach seiner Wunde, und er antwortete ihr, mit leiser Stimme, dass es ihm gut ginge, während er darauf wartete, hinter ihnen Schritte zu hören, Soldatenschritte. aber es blieb still. Es schien, als seien sie schon endlos lange den kahlen Hang hinabgelaufen, als plötzlich Bäume vor ihnen auftauchten. Der Schatten, den die Zweige auf die Straße warfen, war so dunkel, als hätte sich die Nacht selbst darunter geflüchtet.