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Zauberzunge schlug sich gut mit dem Schwert, weit besser, als er selbst es zustande gebracht hätte, aber er sah erschöpft aus. Resa stand bei Meggie, auch sie war noch unverletzt. Noch. Der dreimal verfluchte Regen lief ihm in den Nacken, übertönte ihm die Stimme mit seinem Rauschen. Ein Schlaflied sang das Wasser den Flammen, ein uraltes Schlaflied, und Staubfinger hob die Stimme, rief lauter und lauter, um sie wieder zu wecken, um sie brüllen und beißen zu lassen. Ganz dicht trat er an den Feuerring, sah die kämpfenden Leiber immer näher drängen. Schon stolperten einige fast in die Glut.

Auch Farid hatte bemerkt, was der Regen anrichtete. Flink sprang er dorthin, wo die Flammen schläfrig wurden. Meggie lief ihm nach. Ein Toter fiel in den Feuerring, dort, wo der Junge stand, erstickte die Flammen mit seinem leblosen Körper, ein zweiter stolperte über ihn. Mit einem Fluch lief Staubfinger auf die tödliche Bresche zu, rief Zauberzunge zu Hilfe -und sah Basta zwischen den Flammen auftauchen, Basta, das Gesicht versengt, Hass in den Augen, Hass und die Angst vor dem Feuer. Was würde stärker sein? Suchend starrte er durch die Flammen, blinzelte in den Rauch, als suchte er nach einem Gesicht. Staubfinger konnte sich denken, welches. Unwillkürlich machte er einen Schritt zurück. Ein weiterer Toter fiel in die Flammen, zwei Männer, die Schwerter gezogen, sprangen über den Körper und griffen die Gefangenen an. Staubfinger schrillten die Schreie in den Ohren, er sah, wie Zauberzunge sich vor Resa stellte und Basta einen Fuß auf die Toten setzte wie auf eine Brücke. Her mit den Flammen. Staubfinger wollte erneut auf sie zu, damit sie ihn besser hören konnten, aber jemand packte seinen Arm und riss ihn herum. Der Zweifinger.

»Sie töten uns!«, stammelte er mit angstgeweiteten Augen. »Sie wollten uns von Anfang an töten! Und wenn sie uns nicht kriegen, rösten uns die Flammen!«

»Lass mich los!«, fuhr Staubfinger ihn an. Der Rauch biss ihm in die Augen, ließ ihn husten. Basta. Er starrte ihn an, durch den Rauch, als verbände sie ein unsichtbares Band. Die Flammen leckten vergebens nach ihm, und er hob sein Messer. Auf wen zielte er? Und wieso lächelte er so?

Der Junge.

Staubfinger stieß den Zweifinger fort. Er schrie Farids Namen, aber der Lärm ringsum verschluckte seine Stimme. Der Junge hielt immer noch Meggies Hand, während seine andere das Messer umklammerte, das er ihm geschenkt hatte, in einem anderen Leben, in einer anderen Geschichte.

»Farid!« Er hörte ihn nicht - und Basta warf.

Staubfinger sah, wie das Messer in den schmalen Rücken fuhr. Er fing den Jungen auf, bevor er zu Boden fiel, aber er war schon tot. Und Basta stand da, den Fuß auf einem anderen Toten, und lächelte. Warum auch nicht? Er hatte sein Ziel getroffen, das Ziel, das er schon immer im Sinn gehabt hatte: Staubfingers Herz, sein dummes Herz. Es brach entzwei, als er Farid in den Armen hielt, brach einfach entzwei, obwohl er all die Jahre so gut darauf aufgepasst hatte. Er sah Meggies Gesicht, hörte sie Farids Namen rufen und überließ ihn ihren Armen. Seine Beine zitterten so sehr, dass er Mühe hatte, sich aufzurichten. Alles an ihm zitterte, selbst die Hand, in der er das Messer hielt, das er dem Jungen aus dem Rücken gezogen hatte. Er wollte auf Basta zu, durchs Feuer und die kämpfenden Leiber, aber Zauberzunge war schneller, Zauberzunge, der Farid aus seiner Geschichte gepflückt hatte und dessen Tochter nun dasaß und weinte, als hätte ihr jemand das Herz ebenso zerschnitten wie dem Jungen.

Er achtete nicht auf die Flammen, die ihm entgegenfuhren. Er stieß Basta das Schwert durch den Leib, als hätte er nie etwas anderes getan, als wäre nun das von jetzt an sein Handwerk: das Töten. Basta starb, die Überraschung noch auf dem Gesicht. Er fiel ins Feuer, und Staubfinger stolperte zurück zu Farid, den Meggie immer noch in den Armen hielt.

Was hatte er gedacht - dass der Junge wieder lebte, nur weil sein Mörder tot war? Nein, die schwarzen Augen blickten immer noch leer, leer wie ein verlassenes Haus. Nichts von der Freude war mehr in ihnen zu finden, die sonst so schwer daraus zu vertreiben gewesen war. Und Staubfinger kniete da, auf der zertretenen Erde, während Resa ihre weinende Tochter tröstete und um sie her gekämpft und getötet wurde, und wusste nichts mehr, gar nichts mehr - was er eigentlich hier tat, was um ihn her geschah, warum er je hergekommen war, unter diese Bäume, dieselben Bäume, die er im Traum gesehen hatte.

Im schlimmsten aller Träume.

Nun war er Wirklichkeit.

Getauscht

Die Bläue meiner Augen ist erloschen in dieser Nacht, Das rote Gold meines Herzens.

Georg Trakl, Nachts

Es entkamen fast alle. Das Feuer rettete sie, die Wut des Bären, die Männer des Schwarzen Prinzen - und Mo, der an diesem grauen Morgen das Töten übte, als wollte er ein Meister darin werden. Basta blieb tot unter den Bäumen zurück ebenso wie der Schlitzer und so viele ihrer Männer, dass der Boden mit ihren Leibern bedeckt war wie mit welkem Laub. Zwei Spielleute wurden auch getötet - und Farid.

Farid.

Staubfinger war selbst bleich wie der Tod, als er ihn zurück zu der Mine trug. Meggie ging neben ihm, den ganzen dunklen Weg. Sie hielt Farids Hand, als könnte das helfen, und fühlte sich so wund im Innern, als würde es nie wieder gut.

Staubfinger schickte nur sie nicht fort, als er Farid in dem abgelegensten Stollen auf seinen Mantel bettete. Keiner wagte, ihn anzusprechen, als er sich über den toten Jungen beugte und ihm den Ruß von der Stirn wischte. Roxane versuchte, mit ihm zu sprechen, aber als sie den Ausdruck auf seinem Gesicht sah, ließ sie ihn allein. Nur Meggie - Meggie ließ er neben Farid sitzen, als hätte er in ihren Augen den eigenen Schmerz gesehen. Und so saßen sie beide da, im Bauch des Natternberges, wie am Ende aller Geschichten. Ohne ein einziges Wort, das noch zu sagen war.

Vielleicht war es draußen inzwischen Nacht geworden, als Meggie Staubfingers Stimme hörte. Wie von weit her drang sie zu ihr, durch den Nebel aus Schmerz, der sie einhüllte, als würde sie nie wieder hinausfinden.

»Du hättest ihn auch gern zurück, oder?«

Es fiel ihr schwer, den Blick von Farids Gesicht zu wenden. »Er kommt nie mehr zurück«, flüsterte sie und sah Staubfinger an. Sie hatte keine Kraft, lauter zu sprechen. All ihre Kraft war fort, als hätte Farid sie mitgenommen. Er hatte alles mitgenommen.

»Es gibt da so eine Geschichte«, Staubfinger sah auf seine Hände, als stünde dort geschrieben, worüber er sprach, »eine Geschichte über die Weißen Frauen.«

»Was für eine Geschichte?« Meggie wollte keine Geschichten mehr hören, nie wieder. Diese hatte ihr für alle Zeiten das Herz gebrochen. Aber trotzdem war da etwas in Staubfingers Stimme.

Er beugte sich über Farid und wischte ihm etwas Ruß von der kalten Stirn. »Roxane kennt sie«, sagte er. »Sie wird sie dir erzählen. Geh einfach zu ihr. und sag ihr, dass ich fortmusste. Sag ihr, ich will herausfinden, ob die Geschichte wahr ist.« Er sprach seltsam stockend, als wäre es unendlich schwer, die rechten Worte zu finden. »Und erinnere sie an mein Versprechen - dass ich immer einen Weg finde zurück zu ihr, egal, wo ich bin. Richtest du ihr das aus?«

Wovon sprach er? »Herausfinden?« Meggies Stimme war belegt von Tränen. »Was?«

»Oh, man erzählt sich so einiges über die Weißen Frauen. Manches ist nur Aberglaube, aber einiges ist sicherlich wahr. So ist es doch immer mit den Geschichten, oder? Fenoglio könnte mir vermutlich mehr darüber sagen, aber ehrlich gesagt habe ich keine Lust, ihn zu fragen. Nein, ich frage die Weißen Frauen lieber selbst.« Staubfinger richtete sich auf. Er stand da und sah sich um, als hätte er vergessen, wo er sich eigentlich befand.