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Es wurde eine lange Nacht.

Roxane und der Prinz hielten Wache an Staubfingers Seite, aber Farid war nach oben gestiegen, dorthin, wo der Mond sich durch schwarze Wolken schob und Nebel aufstieg von der regenfeuchten Erde. Er hatte die Wachen zur Seite gestoßen, die ihn aufhalten wollten, und sich ins Moos geworfen. Dort lag er nun, unter Mortolas giftigen Bäumen, und schluchzte -während die beiden Marder in der Dunkelheit kämpften, als hätten sie noch einen Herrn, um den sie streiten mussten.

Natürlich ging Meggie zu ihm, doch Farid schickte sie fort, und so machte sie sich auf die Suche nach Mo. Resa schlief an seiner Seite, doch Mo war wach. Er saß da und blickte in die Dunkelheit, als stünde dort eine Geschichte geschrieben, die er nicht verstand. Da war etwas Fremdes, Verschlossenes in seinem Gesicht, hart wie die Kruste über einer Wunde, aber als er sie bemerkte und ihr zulächelte, war alle Fremdheit fort.

»Komm her«, sagte er leise, und sie setzte sich zu ihm und presste das Gesicht gegen seine Schulter. »Ich will nach Hause, Mo!«, flüsterte sie.

»Nein, das willst du nicht«, flüsterte er zurück, und sie schluchzte in sein Hemd, wie sie es so oft als kleines Mädchen getan hatte. Allen Kummer hatte sie bei ihm lassen können, schon immer, so schwer er auch wog. Mo hatte ihn fortgewischt, nur indem er ihr übers Haar strich, ihr die Hand auf die Stirn legte und ihren Namen flüsterte, und so machte er es auch jetzt, an diesem traurigen Ort, in dieser traurigen Nacht. Er konnte ihn nicht fortnehmen, all den Schmerz, dafür war es einfach zu viel, aber er konnte ihn lindern, nur indem er sie festhielt. Niemand konnte das besser als er. Nicht Resa. Nicht einmal Farid.

Ja. Es war eine lange Nacht, so lang wie tausend Nächte und dunkler als alle, die Meggie je erlebt hatte. Und sie wusste nicht, wie lange sie an Mos Seite geschlafen hatte, als Farid sie plötzlich wachrüttelte. Er zog sie mit sich, fort von ihren schlafenden Eltern, in eine dunkle Ecke, die nach dem Bären des Prinzen roch.

»Meggie!«, flüsterte er und nahm ihre Hand so fest zwischen die seinen, dass es schmerzte. »Ich weiß jetzt, wie alles wieder gut wird. Du gehst zu Fenoglio! Sag ihm, er soll etwas schreiben, das Staubfinger wieder lebendig macht! Auf dich wird er hören!«

Natürlich. Sie hätte sich denken können, dass er auf diese Idee kommen würde. Er sah sie so flehend an, dass es wehtat, aber sie schüttelte den Kopf.

»Nein, Farid. Staubfinger ist tot. Fenoglio kann nichts für ihn tun. Und selbst wenn - hast du nicht gehört, was er ständig vor sich hin murmelt? Dass er nie wieder ein Wort schreiben will nach dem, was mit Cosimo passiert ist?«

Ja, Fenoglio hatte sich verändert. Meggie hatte ihn kaum erkannt, als sie ihn wiedergesehen hatte. Früher hatten sie seine Augen stets an die eines kleinen Jungen erinnert. Nun waren es die eines alten Mannes. Sein Blick war misstrauisch, unsicher, als traute er dem Boden unter seinen Füßen nicht mehr, und offenbar hielt er seit Cosimos Tod nichts mehr vom Rasieren, Kämmen oder Waschen. Nur nach dem Buch hatte er sie gefragt, dem Buch, das Mo gebunden hatte. Aber nicht einmal Meggies Auskunft, dass seine leeren Seiten tatsächlich vor dem Tod schützten, hatte ihm die Bitterkeit vom Gesicht gewischt. »Na, wunderbar!«, hatte er nur gemurmelt. »Dann ist der Natternkopf nun also unsterblich und Cosimo mausetot. Mit dieser Geschichte stimmt wirklich rein gar nichts!« Nein, Fenoglio wollte niemandem mehr helfen, nicht einmal sich selbst, aber Meggie ging trotzdem mit Farid, als er sich auf die Suche nach ihm machte.

Fenoglio hielt sich die meiste Zeit in einem der untersten Stollen auf, in dem Teil der Mine, der fast vollständig verschüttet war und in den niemand außer ihm hinabstieg. Er schlief, als sie die steile Leiter hinunterkletterten, das Fell, das die Räuber ihm gegeben hatten, bis ans Kinn gezogen, die faltige Stirn gerunzelt, als dachte er selbst im Schlaf angestrengt nach.

»Fenoglio!« Farid rüttelte ihn unsanft wach.

Der alte Mann wälzte sich mit einem Grunzen auf den Rücken, das dem Bären des Prinzen Ehre gemacht hätte, schlug die Augen auf und starrte Farid an, als sähe er sein braunes Gesicht zum allerersten Mal. »Ach, du bist es!«, brummte er schlaftrunken. »Der Junge, der von den Toten zurück ist. Auch wieder etwas, das ich nicht geschrieben habe! Was willst du? Weißt du, dass ich gerade meinen ersten guten Traum seit Tagen hatte?«

»Du musst etwas schreiben!«

»Schreiben? Ich schreibe nicht mehr. Haben wir es nicht gerade erst wieder gesehen? Da habe ich diese fabelhafte Idee mit dem Buch der Unsterblichkeit, das die Guten befreien und dem Natternkopf den Tod bringen soll. Und was passiert? Die Natter ist nun unsterblich, und im Wald liegt schon wieder alles voller Leichen! Räuber, Spielleute - der Zweifinger! Tot! Warum erfinde ich sie überhaupt noch, wenn diese Geschichte sie doch nur umbringt?«

»Aber du musst ihn zurückholen!« Farids Lippen zitterten. »Du hast den Natternkopf unsterblich gemacht, warum dann nicht ihn?«

»Ah, du sprichst von Staubfinger, nicht wahr?« Fenoglio setzte sich auf und rieb sich mit einem tiefen Seufzer das Gesicht. »Ja, der ist nun auch tot, mausetot, allerdings hatte ich das bei ihm schon länger geplant, falls ihr euch erinnert. Wie auch immer, Staubfinger ist tot, du warst tot. Minervas Mann, Cosimo, all die Jungen, die mit ihm gezogen sind. tot! Fällt dieser Geschichte nichts anderes ein? Ich sage dir eins, mein Junge. Ich bin nicht länger ihr Verfasser. Nein! Der Tod ist es, der Sensenmann, der Kalte König, nenn ihn, wie du willst. Es ist sein Tanz, und egal, was ich schreibe, er nimmt meine Worte und macht sie sich zu Dienern!«

»Unsinn!« Farid wischte die Tränen nicht einmal mehr fort, die ihm übers Gesicht liefen. »Du musst ihn zurückholen. Es war ja gar nicht sein Tod, es war meiner! Lass ihn wieder atmen! Es sind doch nur ein paar Worte, schließlich hast du dasselbe auch für Cosimo getan und für Zauberzunge.«

»Also Moment mal, Meggies Vater war noch nicht tot«, stellte Fenoglio nüchtern fest. »Und was Cosimo betrifft, der sah nur aus wie Cosimo, wie oft soll ich dir das noch erklären? Meggie und ich haben ihn nagelneu erschaffen, was leider furchtbar schief ging.

Nein!« Er griff in seinen Gürtel, zog etwas heraus, das einem Taschentuch glich, und schnauzte sich geräuschvoll die Nase. »Dies ist keine Geschichte, in der die Toten auferstehen! Gut, ich gebe zu, ich habe die Unsterblichkeit ins Spiel gebracht, aber das ist immer noch etwas anderes, als die Toten zurückzuholen! Nein! Es bleibt dabei. Wenn hier erst mal einer tot ist, dann bleibt er auch tot! Das gilt in dieser Welt ebenso wie in der, aus der ich stamme. Staubfinger hat diese Regel für dich sehr geschickt umgangen. Vielleicht habe ich selbst die sentimentale Geschichte geschrieben, die ihn auf die Idee brachte. ich erinnere mich nicht, aber nun gut. Lücken gibt es immer, und er hat für dein Leben mit dem seinen bezahlt. Das war von jeher der einzige Handel, den der Tod akzeptiert. Ja, wer hätte das gedacht? Ausgerechnet Staubfinger schließt einen hergelaufenen Jungen so sehr ins Herz, dass er schließlich für ihn stirbt. Ich gebe zu, die Idee ist viel besser als die mit dem Marder, aber sie stammt nicht von mir! O nein! Wenn du jemanden suchst, dem du die Schuld geben kannst, fass dir an die eigene Nase, denn eins steht fest, mein Junge«, und mit diesen Worten stieß er Farid den Finger grob gegen die schmale Brust, »du gehörst nicht in diese Geschichte! Und wenn du es dir nicht in den Kopf gesetzt hättest, dich in sie hineinzumogeln, würde Staubfinger wohl noch leben.«