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Mo hatte die Maske noch nie gesehen, die der Prinz ihm hinhielt. Das Leder war dunkel und schartig, aber die Federn leuchteten, weiß, schwarz, gelbbraun und blau. Eichelhäherblau.

»Diese Maske ist in vielen Liedern besungen worden«, sagte der Schwarze Prinz. »Ich habe mir erlaubt, sie eine Weile zu tragen. Einige von uns haben das getan, aber nun gehört sie dir.«

Mo drehte die Maske schweigend in seinen Händen. Für einen seltsamen Moment wollte er sie überstreifen, als hätte er das schon viele Male getan. O ja, Fenoglios Worte waren mächtig, doch es waren Worte, nichts als Worte - und selbst wenn sie für ihn geschrieben waren. Jeder Schauspieler konnte sich die Rolle aussuchen, die er spielte, oder?

»Nein«, sagte Mo und reichte dem Prinzen die Maske zurück. »Der Schnapper hat Recht, der Eichelhäher ist ein Hirngespinst, die Erfindung eines alten Mannes. Mein Handwerk ist nicht das Kämpfen, glaub mir.«

Der Schwarze Prinz sah ihn nachdenklich an, aber die Maske nahm er nicht zurück. »Behalte sie trotzdem«, sagte er. »Es ist eh zu gefährlich geworden, sie zu tragen. Und was dein Handwerk betrifft - keiner von uns wurde als Räuber geboren.«

Darauf sagte Mo nichts. Er blickte nur auf seine Finger. Es hatte lange gedauert, all das Blut abzuwaschen, das nach dem Kampf im Wald an ihnen geklebt hatte. Er stand immer noch da, die Maske in der Hand, ganz allein in dem dunklen Stollen, der nach längst vergessenen Toten roch, als er Meggies Stimme hinter sich hörte.

»Mo?« Besorgt blickte sie ihm ins Gesicht. »Wo warst du? Roxane will bald aufbrechen und Resa fragt, ob wir mit ihr gehen wollen. Was sagst du?«

Ja, was sagte er? Wohin wollte er? Zurück in meine Werkstatt, dachte er. Zurück in Elinors Haus. Oder nicht? Was wollte Meggie? Er brauchte sie nur anzusehen, um die Antwort zu kennen. Natürlich. Sie wollte bleiben, des Jungen wegen, aber nicht nur deshalb. Auch Resa wollte bleiben, trotz des Kerkers, in den man sie gesteckt hatte, trotz all des Schmerzes und der Dunkelheit. Was war nur an Fenoglios Welt, dass sie das Herz mit Sehnsucht erfüllte? Spürte er es nicht selbst? Wie ein schnell wirkendes süßes Gift.

»Was sagst du, Mo?« Meggie griff nach seiner Hand. Wie groß sie geworden war!

»Was ich sage?« Er lauschte, als könnte er, wenn er nur genau hinhörte, die Buchstaben in den Stollenwänden flüstern hören oder im Gewebe der Decke, unter der der Schwarze Prinz schlief. Aber alles, was er hörte, war seine eigene Stimme: »Wie gefällt es dir, wenn ich sage. Zeig mir die Feen, Meggie. Und die Nixen. Und den Buchmaler auf der Burg von Ombra. Lass uns herausfinden, wie fein seine Pinsel wirklich sind.«

Gefährliche Worte. Aber Meggie umarmte ihn so heftig, wie sie es als kleines Mädchen zuletzt getan hatte.

Farids Hoffnung

Und nun war er tot und seine Seele ins Sonnenlose Land geflüchtet.

Philip Reeve, Großstadtjagd

Als die Wachen kurz vor Sonnenuntergang schon zum zweiten Mal Alarm schlugen, befahl der Schwarze Prinz allen, tief in die Stollen hinabzusteigen, dorthin, wo Wasser in den engen Gängen stand und man glaubte, die Erde atmen zu hören. Aber einer kam nicht mit. Fenoglio. Als der Prinz Entwarnung gab und Meggie mit den anderen wieder hinaufstieg, die Füße nass, das Herz immer noch voll Angst, kam Fenoglio auf sie zu und zog sie mit sich. Mo sprach zum Glück gerade mit Resa und bemerkte es nicht.

»Hier. Aber ich garantiere für nichts«, raunte Fenoglio ihr zu, während er ihr das Notizbuch wieder in die Hand drückte. »Vermutlich ist dies ein weiterer Fehler, schwarz auf weiß, wie die anderen, aber ich bin zu müde, um darüber nachzudenken. Füttere sie, die verfluchte Geschichte, füttere sie mit neuen Worten, ich werd nicht zuhören. Ich leg mich schlafen. Das war endgültig das Letzte, was ich in meinem Leben geschrieben habe.«

Füttere sie.

Farid schlug vor, dass Meggie dort las, wo Staubfinger und er geschlafen hatten. Staubfingers Rucksack lag noch neben seiner Decke, die beiden Marder hatten sich links und rechts davon zusammengerollt. Farid hockte sich zwischen sie und presste den Rucksack an seine Brust, als klopfte Staubfingers Herz darin. Erwartungsvoll sah er Meggie an, aber sie schwieg. Blickte auf die Buchstaben und schwieg. Fenoglios Schrift verschwamm ihr vor den Augen, als sträubte sie sich zum ersten Mal, von ihr gelesen zu werden.

»Meggie?« Farid sah sie immer noch an. Es war so viel Traurigkeit in seinen Augen, so viel Verzweiflung. Für ihn, dachte sie. Nur für ihn - und kniete sich auf die Decke, unter der Staubfinger geschlafen hatte.

Schon bei den ersten Worten spürte sie, dass Fenoglio seine Sache wieder einmal gut gemacht hatte. Sie spürte es wie Atem auf ihrem Gesicht. Die Buchstaben lebten. Die Geschichte lebte. Sie wollte wachsen, mit diesen Worten. Sie wollte es! Hatte Fenoglio dasselbe gespürt, als er sie niederschrieb?

»Eines Tages, als der Tod wieder einmal reichlich Beute gemacht hatte«, begann Meggie, und es war ihr fast, als lese sie in einem vertrauten Buch, das sie eben erst zur Seite gelegt hatte, »beschloss Fenoglio, der große Dichter, nicht mehr zu schreiben. Er war der Worte müde und ihrer Macht der Verführung. Er war es leid, dass sie ihn betrogen und verhöhnten und schwiegen, wenn sie hätten sprechen sollen. Also rief er einen anderen, jünger als er, Orpheus mit Namen - geschickt mit den Buchstaben, auch wenn er sie noch nicht so meisterlich zu setzen verstand wie Fenoglio selbst -, und beschloss, ihn in seiner Kunst zu unterweisen, wie jeder Meister es irgendwann tut. Für eine Weile sollte Orpheus an seiner statt mit den Worten spielen, mit ihnen verführen und lügen, schaffen und zerstören, vertreiben und zurückholen - während Fenoglio darauf wartete, dass die Müdigkeit verging, dass die Lust an den Buchstaben erneut in ihm erwachte und er Orpheus zurückschicken würde in die Welt, aus der er ihn gerufen hatte, um seine Geschichte am Leben zu erhalten mit frischen, unverbrauchten Worten.«

Meggies Stimme verklang. Sie hallte unter der Erde, als hätte sie einen Schatten. Und als die Stille sich gerade breit machte, hörte man Schritte.

Schritte auf dem feuchten Stein.

Wieder allein

Hope is the thing with feathers.

Emily Dickinson, Hope

Orpheus verschwand direkt vor Elinors Augen. Sie stand nur ein paar Schritte von ihm entfernt, die Flasche Wein in der Hand, nach der er verlangt hatte, als er sich einfach in Luft auflöste, ach was, in weniger als Luft, in gar nichts - so, als wäre er nie da gewesen, als hätte sie ihn nur geträumt. Die Flasche rutschte ihr aus der Hand, fiel auf die Holzbohlen der Bibliothek und zersprang zwischen den aufgeschlagenen Büchern, die Orpheus dort zurückgelassen hatte.

Der Hund begann zu heulen, so abscheulich, dass Darius aus der Küche herbeistürmte. Der Schrankmann trat ihm nicht in den Weg. Er starrte nur auf den Platz, an dem Orpheus eben noch gestanden hatte. Mit bebender Stimme hatte er von einem Blatt abgelesen, das gleich vor ihm auf einer von Elinors Vitrinen gelegen hatte, und dabei Tintenherz gegen die Brust gedrückt, als könnte er das Buch auf die Art zwingen, ihn endlich aufzunehmen. Elinor war wie versteinert stehen geblieben, als sie begriff, was er erneut versuchte, zum hundertsten, ach was, zum tausendsten Mal. Vielleicht kommen sie ja für ihn heraus, hatte sie gedacht, wenigstens einer von ihnen! Meggie, Resa, Mortimer, jeder der drei Namen schmeckte so bitter auf der Zunge, bitter wie alles Verlorene. Aber nun war Orpheus fort, und keiner der drei war zurückgekehrt. Nur der verdammte Hund hörte einfach nicht auf zu heulen.