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Es war Elinors Bibliothek nicht anzusehen, dass dort vor kaum mehr als einem Jahr nur ein toter roter Hahn vor leeren Regalen gehangen hatte, während ihre schönsten Bücher draußen auf dem Rasen brannten. Das Glas, in das Elinor etwas von der Asche gefüllt hatte, stand immer noch neben ihrem Bett.

Meggie strich mit dem Zeigefinger über die Buchrücken. Wie Tasten eines Klaviers reihten sie sich nun wieder in den Regalen. Einige Borde waren noch leer, doch Elinor und Darius waren unermüdlich unterwegs, um die verlorenen Schätze durch neue, ebenso wundervolle Bücher zu ersetzen.

Orpheus - wo war die Geschichte von Orpheus?

Meggie trat an das Regal, in dem Griechen und Römer ihre Geschichten flüsterten, als die Bibliothekstür sich hinter ihr öffnete und Mo hereintrat.

»Resa sagt, du hast das Blatt, das Farid mitgebracht hat, in deinem Zimmer. Zeigst du es mir?« Er versuchte, so unbedarft zu klingen, als fragte er nach dem Wetter, aber er hatte sich noch nie gut verstellen können. Mo verstand davon ebenso wenig wie vom Lügen.

»Warum?« Meggie lehnte sich gegen Elinors Bücher, als könnten sie ihr den Rücken stärken.

»Warum? Weil ich neugierig bin. Hast du das vergessen? Außerdem - «, er betrachtete die Buchrücken, als könnte er dort die richtigen Worte finden, »- außerdem glaube ich, es wäre besser, das Blatt zu verbrennen.«

»Verbrennen?« Meggie sah ihn ungläubig an. »Warum das?«

»Ja, ich weiß, es klingt, als sähe ich Gespenster.« Er zog ein Buch aus dem Regal, schlug es auf und blätterte mit abwesender Miene darin. »Aber dieses Blatt, Meggie. es kommt mir vor wie eine offene Tür, eine Tür, die wir besser für alle Zeit schließen sollten. Bevor Farid auch noch versucht, in dieser verdammten Geschichte zu verschwinden.«

»Und?« Meggie konnte es nicht verhindern, ihre Stimme klang kühl. Als spräche sie mit einem Fremden. »Warum verstehst du das nicht? Er will doch nur zu Staubfinger! Um ihn vor Basta zu warnen.«

Mo schlug das Buch zu, das er herausgezogen hatte, und stellte es zurück an seinen Platz. »Das sagt er. Aber was, wenn Staubfinger ihn gar nicht mitnehmen wollte, wenn er ihn extra zurückgelassen hat? Würde dich das wundern?«

Nein. Nein, das würde es nicht. Meggie schwieg. Es war so still zwischen den Büchern, so furchtbar still zwischen all den Worten.

»Ich weiß, Meggie«, sagte Mo schließlich mit leiser Stimme.

»Ich weiß, dass du denkst, die Welt, die dieses Buch beschreibt, sei wesentlich aufregender als diese. Ich kenne das Gefühl. Ich habe mir selbst oft genug vorgestellt, in einem meiner Lieblingsbücher zu stecken. Aber wir beide wissen, dass es sich ganz anders anfühlt, wenn aus dem Vorstellen Wirklichkeit wird. Du denkst, diese Tintenwelt sei wie verzaubert, eine Welt voller Wunder, aber glaub mir, ich habe vieles von deiner Mutter über diese Welt erfahren, das dir gar nicht gefallen würde. Sie ist grausam und gefährlich, voller Dunkelheit und Gewalt, regiert von Stärke, Meggie, nicht von Recht.«

Er sah sie an, suchte in ihrem Gesicht nach dem Einverständnis, das er früher immer dort gefunden hatte, aber diesmal fand er es nicht.

»Farid kommt aus so einer Welt«, sagte Meggie. »Und er hat sich nicht ausgesucht, in dieser Geschichte zu stecken. Du hast ihn hergeholt.«

Sie bereute ihre Worte im selben Moment. Mo wandte sich ab, als hätte sie ihn geschlagen. »Na gut. Da hast du natürlich Recht«, sagte er, während er zur Tür zurückging. »Und ich will mich nicht schon wieder mit dir streiten. Aber ich will auch nicht, dass dieses Blatt in deinem Zimmer liegt. Gib es Farid zurück. Wer weiß. Sonst sitzt womöglich morgen früh ein Riese auf deinem Bett.« Er versuchte, sie zum Lachen zu bringen, natürlich. Er ertrug es nicht, dass sie schon wieder so miteinander sprachen. Wie bedrückt er aussah. Und wie müde.

»Du weißt genau, dass so etwas nicht passieren kann«, sagte Meggie. »Warum machst du dir immer solche Sorgen? Nichts kommt einfach aus den Buchstaben, solange man es nicht ruft. Keiner weiß das besser als du!«

Er hatte die Hand immer noch auf der Klinke.

»Ja«, sagte er. »Ja, da hast du wohl Recht. Aber weißt du was? Manchmal würde ich gern alle Bücher dieser Welt mit einem Schloss versehen. Und was dieses ganz spezielle Buch betrifft. inzwischen wäre ich froh, wenn Capricorn das letzte Exemplar damals auch verbrannt hätte. Es klebt Unglück an diesem Buch, Meggie, nichts als Unglück. Auch wenn du mir das nicht glauben willst.«

Dann zog er die Bibliothekstür hinter sich zu.

Meggie stand reglos, bis seine Schritte verklangen. Sie trat an eins der Fenster, das hinaus auf den Garten wies, aber als Mo schließlich den Weg herunterkam, der zu seiner Werkstatt führte, blickte er nicht zum Haus herüber. Resa war bei ihm. Sie hatte den Arm um seine Schulter gelegt, und ihre andere Hand malte Worte, doch Meggie konnte nicht erkennen, welche. Sprachen sie über sie?

Manchmal war es ein seltsames Gefühl, plötzlich nicht mehr nur einen Vater zu haben, sondern Eltern, die miteinander sprachen, ohne dass sie dabei war. Mo ging allein in die Werkstatt, und Resa schlenderte zum Haus zurück. Sie winkte Meggie zu, als sie sie am Fenster stehen sah, und Meggie winkte zurück.

Ein seltsames Gefühl.

Meggie saß noch eine ganze Weile zwischen Elinors Büchern, blätterte mal in dem einen, mal in dem anderen, auf der Suche nach Sätzen, die ihre eigenen Gedanken übertönten. Doch die Buchstaben blieben Buchstaben, formten weder Bilder noch Worte, und schließlich ging Meggie hinaus in den Garten, legte sich ins Gras und blickte zur Werkstatt hinüber, hinter deren Fenstern sie Mo arbeiten sah.

Ich darf es nicht tun, dachte sie, während der Wind die Blätter von den Bäumen blies und sie mit sich riss wie buntes Spielzeug. Nein. Es geht nicht! Sie werden sich alle solche Sorgen machen, und Mo wird nie wieder ein Wort mit mir reden, nie wieder.

Ja, all das dachte Meggie, dachte es viele Male. Und wusste doch zugleich, ganz tief in ihrem Innern, dass sie sich längst entschieden hatte.

Die Spielfrau

Ein Spielmann, der muß reisen, das ist ein alter Brauch, drum weht aus seinen Weisen auch stets ein Abschiedshauch. Ob ich einst wiederkehre? Allein Lieb, das weiß ich nicht, des Todes Hand die schwere viel Rosenknospen bricht.

Elimar von Monsterberg, Der Spielmann

Es wurde gerade hell, als Staubfinger den Hof erreichte, den Wolkentänzer ihm beschrieben hatte. An einem Südhang lag er, umgeben von Olivenbäumen. Die Erde, hatte Wolkentänzer gesagt, war karg und steinig dort, aber die Kräuter, die Roxane anbaute, schätzten das. Das Haus stand allein, kein schützendes Dorf in der Nähe, nur eine Mauer, kaum brusthoch, und ein Tor aus Holz. In der Ferne konnte man die Dächer von Ombra sehen, die Burgtürme, hoch aufragend über den Häusern, und die Straße, die sich auf das Tor zuwand - so nah und doch zu weit, um dorthin zu flüchten, falls Wegelagerer oder Soldaten, heimkehrend aus irgendeinem Krieg, es für eine gute Idee hielten, den einsamen Hof zu plündern, nur bewohnt von einer Frau und zwei Kindern.

Vielleicht hat sie ja wenigstens einen Knecht, dachte Staubfinger, während er hinter ein paar Ginsterbüschen stehen blieb. Die Zweige verbargen ihn, aber er konnte ungehindert auf das Haus sehen.

Klein war es, wie die meisten Bauernhäuser, nicht so armselig wie viele, aber auch nicht viel besser. Das ganze Haus hätte mehr als ein Dutzend Mal in einen der Säle gepasst, in denen Roxane früher getanzt und gesungen hatte. Selbst der Natternkopf hatte sie auf seine Burg geladen, trotz seiner Verachtung für das Bunte Volk, denn damals hatte sie jeder hören und sehen wollen. Reiche Kaufleute, der Müller unten am Fluss, der Gewürzhändler, der ihr mehr als ein Jahr Geschenke gesandt hatte. so viele hatten sie zur Frau nehmen wollen, hatten sie überschüttet mit Schmuck und kostbaren Kleidern, ihr Gemächer in ihren Häusern angeboten, von denen jedes sicherlich größer war als das Haus, in dem sie nun wohnte. Aber Roxane war beim Bunten Volk geblieben, hatte nicht zu den Spielfrauen gehört, die Stimme und Körper einem Herrn verkauften für ein bisschen Sicherheit und ein festes Haus.