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Irgendwann jedoch war auch sie das Herumziehen leid geworden, hatte sich ein Zuhause gewünscht, für sich und ihre Kinder, denn kein Gesetz schützte die, die auf der Straße lebten. Das Gesetz galt für das Bunte Volk ebenso wenig wie für Bettler und Wegelagerer. Wer einen Spielmann beraubte, musste keine Strafe fürchten. Wer einer Spielfrau Gewalt antat, konnte ungehindert in sein festes Haus zurückkehren, und wer einen Gaukler erschlug, musste den Henker nicht fürchten. Seiner Witwe stand als Rache nur eines zu: den Schatten des Täters zu schlagen, nichts als seinen Schatten, den die Sonne gegen die Stadtmauer warf, und für die Bestattung musste die Witwe zahlen. Ja, das Bunte Volk war Freiwild. Des Teufels Lockvögel nannte man sie, ließ sich von ihnen zum Lachen bringen, lauschte ihren Liedern und Geschichten, sah ihren Kunststücken zu - und verschloss abends Tür und Tor vor ihnen. Außerhalb der Städte und Dörfer, außerhalb der schützenden Mauern mussten sie bleiben, immer auf der Wanderschaft, beneidet um ihre Freiheit und dafür geschmäht, dass sie für Geld und Brot vielen Herren dienten.

Es gab nicht viele Spielleute, die der Straße je entkamen, der Straße und den einsamen Wegen. Aber Roxane hatte es offenbar geschafft.

Ein Stall gehörte zu dem Haus, eine Scheune, ein Backhaus, zwischen ihnen ein Hof mit einem Brunnen in der Mitte, ein Garten, umzäunt, damit Hühner und Ziegen nicht die jungen Pflanzen zerrupften, und am Hang dahinter ein Dutzend schmaler Felder. Einige waren abgeerntet, auf anderen standen die Kräuter hoch, buschig und schwer von der eigenen Saat. Der Duft, den der Wind zu Staubfinger herübertrug, ließ die Morgenluft bitter und süß zugleich schmecken.

Roxane kniete auf dem hintersten Feld, inmitten von Flachs, Beinwell und wilden Malven. Sie schien schon lange bei der Arbeit zu sein, obwohl der Frühnebel noch zwischen den nahen Bäumen hing. Ein Junge stand neben ihr, vielleicht sieben, acht Jahre alt. Roxane sprach mit ihm, lachte. Wie oft hatte Staubfinger sich ihr Gesicht ins Gedächtnis gerufen, jeden Teil davon, ihren Mund, die Augen, die Stirn mit dem hohen Haaransatz. Mit jedem Jahr war es mühsamer gewesen, mit jedem Jahr war das Bild unschärfer geworden, so verzweifelt er sich auch bemüht hatte, sich genauer zu erinnern. Die Zeit hatte ihr Gesicht verwischt, es mit Staub bedeckt.

Staubfinger machte einen Schritt vor - und zwei zurück. Dreimal schon hatte er umdrehen wollen, sich wieder davonschleichen, so lautlos, wie er gekommen war, und war doch geblieben. Ein Wind fuhr durch die Ginsterbüsche, stieß ihn in den Rücken, als wollte er ihm Mut machen, und Staubfinger fasste sich ein Herz, schob die Zweige auseinander und schritt auf das Haus und die Felder zu.

Der Junge sah ihn zuerst, und aus dem hohen Gras neben dem Stall erhob sich eine Gans und kam schnatternd und flügelschlagend auf ihn zu. Kein Bauer durfte einen Hund halten, das war den Fürsten vorbehalten, aber auch eine Gans war ein zuverlässiger Wächter - und nicht weniger Furcht einflößend. Staubfinger jedoch wusste dem aufgesperrten Schnabel auszuweichen und strich der aufgebrachten Wächterin über den weißen Hals, bis sie die Flügel zusammenlegte wie ein frisch gebügeltes Kleid und friedlich davonstakste, zurück zu ihrem Platz im Gras.

Roxane hatte sich aufgerichtet. An ihrem Kleid wischte sie sich die Erde von den Händen und sah ihn an, sah ihn nur an. Sie hatte ihr Haar tatsächlich hochgesteckt wie eine Bauersfrau, doch offenbar war es immer noch so lang und voll wie früher und ebenso schwarz, bis auf ein paar graue Strähnen. Ihr Kleid war braun wie die Erde, auf der sie gekniet hatte, nicht länger bunt wie die Röcke, die sie früher getragen hatte. Ihr Gesicht jedoch war Staubfinger immer noch so vertraut wie der Anblick des Himmels, vertrauter als sein eigenes Spiegelbild.

Der Junge griff nach der Harke, die neben ihm auf der Erde lag. Er hielt sie mit so finster entschlossener Miene, als wäre er es gewohnt, seine Mutter gegen seltsame Fremde zu beschützen. Kluger Junge, dachte Staubfinger, traut keinem, schon gar nicht so einem Narbengesicht, das plötzlich aus den Büschen auftaucht.

Was sollte er nur sagen, wenn sie ihn fragte, wo er gewesen war? ihnen. Außerhalb der Städte und Dörfer, außerhalb der schützenden Mauern mussten sie bleiben, immer auf der Wanderschaft, beneidet um ihre Freiheit und dafür geschmäht, dass sie für Geld und Brot vielen Herren dienten.

Es gab nicht viele Spielleute, die der Straße je entkamen, der Straße und den einsamen Wegen. Aber Roxane hatte es offenbar geschafft.

Ein Stall gehörte zu dem Haus, eine Scheune, ein Backhaus, zwischen ihnen ein Hof mit einem Brunnen in der Mitte, ein Garten, umzäunt, damit Hühner und Ziegen nicht die jungen Pflanzen zerrupften, und am Hang dahinter ein Dutzend schmaler Felder. Einige waren abgeerntet, auf anderen standen die Kräuter hoch, buschig und schwer von der eigenen Saat. Der Duft, den der Wind zu Staubfinger herübertrug, ließ die Morgenluft bitter und süß zugleich schmecken.

Roxane kniete auf dem hintersten Feld, inmitten von Flachs, Beinwell und wilden Malven. Sie schien schon lange bei der Arbeit zu sein, obwohl der Frühnebel noch zwischen den nahen Bäumen hing. Ein Junge stand neben ihr, vielleicht sieben, acht Jahre alt. Roxane sprach mit ihm, lachte. Wie oft hatte Staubfinger sich ihr Gesicht ins Gedächtnis gerufen, jeden Teil davon, ihren Mund, die Augen, die Stirn mit dem hohen Haaransatz. Mit jedem Jahr war es mühsamer gewesen, mit jedem Jahr war das Bild unschärfer geworden, so verzweifelt er sich auch bemüht hatte, sich genauer zu erinnern. Die Zeit hatte ihr Gesicht verwischt, es mit Staub bedeckt.

Staubfinger machte einen Schritt vor - und zwei zurück. Dreimal schon hatte er umdrehen wollen, sich wieder davonschleichen, so lautlos, wie er gekommen war, und war doch geblieben. Ein Wind fuhr durch die Ginsterbüsche, stieß ihn in den Rücken, als wollte er ihm Mut machen, und Staubfinger fasste sich ein Herz, schob die Zweige auseinander und schritt auf das Haus und die Felder zu.

Der Junge sah ihn zuerst, und aus dem hohen Gras neben dem Stall erhob sich eine Gans und kam schnatternd und flügelschlagend auf ihn zu. Kein Bauer durfte einen Hund halten, das war den Fürsten vorbehalten, aber auch eine Gans war ein zuverlässiger Wächter - und nicht weniger Furcht einflößend. Staubfinger jedoch wusste dem aufgesperrten Schnabel auszuweichen und strich der aufgebrachten Wächterin über den weißen Hals, bis sie die Flügel zusammenlegte wie ein frisch gebügeltes Kleid und friedlich davonstakste, zurück zu ihrem Platz im Gras.

Roxane hatte sich aufgerichtet. An ihrem Kleid wischte sie sich die Erde von den Händen und sah ihn an, sah ihn nur an. Sie hatte ihr Haar tatsächlich hochgesteckt wie eine Bauersfrau, doch offenbar war es immer noch so lang und voll wie früher und ebenso schwarz, bis auf ein paar graue Strähnen. Ihr Kleid war braun wie die Erde, auf der sie gekniet hatte, nicht länger bunt wie die Röcke, die sie früher getragen hatte. Ihr Gesicht jedoch war Staubfinger immer noch so vertraut wie der Anblick des Himmels, vertrauter als sein eigenes Spiegelbild.

Der Junge griff nach der Harke, die neben ihm auf der Erde lag. Er hielt sie mit so finster entschlossener Miene, als wäre er es gewohnt, seine Mutter gegen seltsame Fremde zu beschützen. Kluger Junge, dachte Staubfinger, traut keinem, schon gar nicht so einem Narbengesicht, das plötzlich aus den Büschen auftaucht.