Feuerelfen. Mo erinnerte sich, von ihnen gelesen zu haben. In dem Buch. Es schien nur noch das eine Buch auf der Welt zu geben.
»Warum sind es drei?«, fragte er. »Eine für Meggie, eine für den Jungen.«
»Ich glaube, der Marder ist auch fort«, sagten Resas Hände.
Mo hätte fast aufgelacht. Armer Staubfinger, offenbar konnte er das Unglück nicht abschütteln. Aber Mo konnte kein Mitleid für ihn empfinden. Diesmal nicht. Ohne Staubfinger hätte es die Worte auf dem Blatt Papier nicht gegeben, und ohne sie hätte er noch eine Tochter.
»Denkst du, es gefällt ihr wenigstens dort?«, fragte er und legte den Kopf in Resas Schoß. »Dir hat es schließlich auch gefallen, oder? Zumindest hast du ihr das immer wieder erzählt.«
»Es tut mir Leid«, sagten ihre Hände. »So Leid.«
Aber er hielt ihre Finger fest. »Was redest du da?«, sagte er leise. »Ich habe das verdammte Buch ins Haus gebracht, hast du das schon vergessen?«
Und dann schwiegen sie beide. Sahen den armen, verlore-nen Elfen zu und schwiegen. Irgendwann flogen sie doch nach draußen, hinaus in die fremde Nacht. Als ihre winzigen roten Körper in all dem Schwarz verschwanden wie verglühende Funken, fragte Mo sich, ob Meggie wohl gerade durch eine ebenso schwarze Nacht irrte. Der Gedanke verfolgte ihn in dunkle Träume.
Ungebetene Besucher
»Ihr Leute mit Herz«, bemerkte er einmal,
»besitzt etwas, was euch leitet, und deshalb braucht ihr nichts Böses zu tun.
Ich lebe ohne Herz (...), daher muß ich sehr sorgsam sein.«
L. Frank Baum, Der Zauberer von Oz
Mit dem Tag, an dem Meggie verschwand, zog in Elinors Haus wieder die Stille ein, aber sie schmeckte anders als in den Tagen, in denen Bücher Elinors einzige Mitbewohner gewesen waren. Die Stille, die nun die Flure und Zimmer erfüllte, schmeckte nach Traurigkeit. Resa weinte viel und Mor-timer schwieg, als hätten Papier und Tinte nicht nur seine Tochter, sondern mit ihr auch alle Wörter in der Welt verschlungen. Er war viel in seiner Werkstatt, aß wenig, schlief kaum - und am dritten Tag kam Darius besorgt zu Elinor, um ihr zu berichten, dass er sein Werkzeug einpackte.
Als Elinor in die Werkstatt kam, außer Atem, weil Darius sie allzu eilig hinter sich hergezerrt hatte, warf Mortimer gerade achtlos die Goldstempel in eine Kiste, die er sonst mit solcher Behutsamkeit in die Hand nahm, als wären sie aus Glas.
»Was zum Teufel tust du da?«, stellte Elinor ihn zur Rede.
»Nun, was wohl?«, fragte er zurück und begann, seine Heftlade fortzuräumen. »Ich werde mir einen anderen Beruf suchen. Ich fasse kein Buch mehr an, verflucht sollen sie sein. Sollen andere sich von ihnen Geschichten erzählen lassen und ihnen die Kleider flicken. Ich will nichts mehr von ihnen wissen.«
Als Elinor Resa zu Hilfe holen wollte, schüttelte die nur den Kopf.
»Nun gut, es ist verständlich, dass die beiden zu nichts zu gebrauchen sind!«, stellte Elinor fest, als sie sich mit Darius ein weiteres einsames Frühstück teilte. »Wie konnte Meggie ihnen das auch nur antun? Was hatte sie vor - ihren armen Eltern das Herz zu brechen? Oder wollte sie für alle Zeit beweisen, dass Bücher eine gefährliche Sache sind?«
Darius schwieg zur Antwort, so wie er es all die vergangenen traurigen Tage getan hatte.
»Um Himmels willen, alle schweigen, schweigen wie die Fische!«, fuhr Elinor ihn an. »Wir müssen etwas tun, um das dumme Ding zurückzuholen! Irgendetwas. Gott, das kann doch nicht so schwer sein. Schließlich wohnen unter diesem Dach gleich zwei Zauberzungen!«
Darius sah sie erschrocken an und verschluckte sich an seinem Tee. Er hatte seine Gabe seit so langer Zeit nicht mehr benutzt, dass sie ihm vermutlich wie ein böser Traum vorkam, an den er nicht erinnert werden wollte. »Schon gut, schon gut, du musst ja nicht lesen«, beruhigte Elinor ihn unwirsch. Gott, dieser verschreckte Eulenblick. Sie hätte ihn schütteln können. »Mortimer kann es tun! Aber was soll er lesen? Denk nach, Darius! Muss es etwas über die Tintenwelt sein oder über unsere Welt, wenn wir sie zurückholen wollen? Ach, ich bin ganz durcheinander. Vielleicht können wir etwas schreiben, etwas so in der Art wie: Es lebte einmal eine griesgrämige, mittelalte Frau namens Elinor, die nur ihre Bücher liebte, bis eines Tages ihre Nichte mit ihrem Mann und ihrer Tochter bei ihr einzog. Elinor gefiel das, aber eines Tages brach die Tochter auf zu einer sehr, sehr dummen Reise, und Elinor schwor, dass sie all ihre Bücher hergeben würde, wenn nur das Kind zurückkäme. Sie packte sie alle in große Kisten, und als sie das letzte hineinlegte, da spazierte Meggie wieder...«
»Herrgott, guck nicht so mitleidig drein!«, fuhr sie Darius an. »Ich versuch es wenigstens! Und du sagst es doch selbst immer wieder: Mortimer ist ein Meister, er braucht nur ein paar Sätze! «
Darius rückte sich die Brille zurecht. »Ja, nur ein paar Sätze«, sagte er mit seiner sanften, unsicheren Stimme. »Aber es müssen Sätze sein, in denen eine ganze Welt beschrieben ist, Elinor. Es muss Musik aus den Wörtern kommen. Sie müssen verwoben sein miteinander, so dicht, dass die Stimme nicht hindurchfällt.«
»Ach was!«, erwiderte Elinor barsch - obwohl sie genau wusste, dass er Recht hatte. Mortimer hatte es ihr einmal fast auf dieselbe Weise zu erklären versucht: das große Rätsel, warum nicht jede Geschichte zum Leben erwachte. Aber sie wollte das nicht hören, nicht jetzt. Verflucht seist du, Elinor!, dachte sie. Dreimal verflucht für all die Abende, die du damit verbracht hast, dir mit dem dummen Kind auszumalen, wie es wohl wäre, in jener anderen Welt zu leben, zwischen Feen, Kobolden und Glasmännern. Es waren viele Abende gewesen, so viele, und wie oft hatte sie Mortimer verspottet, wenn er verärgert den Kopf durch die Tür gesteckt und gefragt hatte, ob sie sich nicht ausnahmsweise mal über etwas anderes unterhalten könnten als über weglose Wälder und blauhäutige Feen.
Nun, wenigstens weiß Meggie alles, was sie wissen muss über diese Welt, dachte Elinor, während sie sich die Tränen von den Wimpern wischte. Sie weiß, dass sie sich vor dem Natternkopf und seinen Gepanzerten in Acht nehmen muss, dass sie nicht zu weit in den Wald gehen darf, weil sie sonst vermutlich gefressen, zerrissen oder zertreten wird. Und dass sie besser nicht hochsieht, wenn sie an einem Galgen vorbeikommt. Sie weiß, dass sie sich verbeugen muss, wenn ein Fürst vorbeireitet, und ihr Haar noch offen tragen darf, weil sie ja nur ein Mädchen ist.Verdammt, da waren die Tränen schon wieder! Elinor wischte sie sich mit einem Zipfel ihrer Bluse aus den Augenwinkeln, als es an der Haustür klingelte.
Noch viele Jahre später beschimpfte sie sich für die Dummheit, die sie nicht einmal durch den Spion hatte blicken lassen, bevor sie öffnete. Natürlich hatte sie angenommen, Resa oder Mortimer stünden vor der Tür. Natürlich. Dumme
Elinor. Dumme, ach so dumme Elinor. Sie bemerkte ihren Irrtum erst, als sie die Tür geöffnet hatte und der Fremde vor ihr stand.