»Hast du schon das Neueste gehört, Tintenweber?« Der Prinz strich seinem Bären über das schwarze Maul. »Der Natternkopf hat eine Belohnung ausgesetzt - auf den Eichelhäher.«
»Den Eichelhäher?« Fenoglio verschluckte sich an seinem Wein, und der Bader schlug ihm so heftig auf den Rücken, dass er sich das heiße Gebräu auch noch über die Finger goss. »Na, das ist nicht schlecht!«, stieß er hervor, als er wieder Luft bekam. »Da soll noch einer sagen, Worte seien nichts als Schall und Rauch! Nun, nach diesem Räuber kann die Natter lange suchen!«
Wie sie sich ansahen. Als wüssten sie mehr als er. Aber was?
»Hast du es noch nicht gehört, Tintenweber?«, sagte der Rußvogel mit leiser Stimme. »Deine Lieder scheinen wahr zu werden! Zwei Mal schon sind Steuereintreiber des Natternkopfes ausgeraubt worden, von einem Mann mit einer Vogelmaske, und einen seiner Jagdaufseher, bekannt für seinen Spaß an Grausamkeiten aller Art, soll man tot im Wald gefunden haben, mit einer Feder im Mund. Rate, von welchem Vogel?«
Fenoglio sah ungläubig zum Prinzen hinüber, aber der blickte nur ins Feuer und stocherte mit einem Stock in der Glut.
»Aber. aber das ist ja wunderbar!«, rief Fenoglio aus -und senkte hastig die Stimme, als er sah, wie besorgt die anderen sich umsahen. »Das sind ja wunderbare Neuigkeiten!«, fuhr er mit gesenkter Stimme fort. »Was auch immer da vor sich geht - ich werde gleich ein neues Lied schreiben! Schlagt etwas vor! Na los! Was soll der Eichelhäher als Nächstes anstellen?«
Der Prinz lächelte, aber der Bader musterte Fenoglio voll Verachtung. »Du redest, als wäre das alles ein Spiel, Tintenweber!«, sagte er. »Du sitzt in deiner Kammer und schreibst ein paar Wörter aufs Papier, aber wer immer deinen Räuber spielt, riskiert seinen Hals damit, denn er ist bestimmt nicht aus Worten gemacht, sondern aus Fleisch und Blut!«
»Ja, aber keiner kennt sein Gesicht, denn der Eichelhäher trägt eine Maske. Sehr klug von dir, Tintenweber. Wie soll der Natternkopf wissen, nach welchem Gesicht er suchen muss? So eine Maske ist ein praktisches Ding. Es kann sie jeder aufsetzen.« Es war der Schauspieler, der das sagte. Baptista. Natürlich, so hieß er. Hab ich den erfunden?, fragte Fenoglio sich. Egal. Niemand verstand mehr von Masken als Baptista, vielleicht, weil sein Gesicht von Pockennarben entstellt war. Viele Schauspieler ließen sich von ihm ein ledernes Lachen oder Weinen aufs Gesicht schneidern.
»Ja, aber in den Liedern ist er ziemlich genau beschrieben.« Der Rußvogel sah Fenoglio forschend an.
»Stimmt!« Baptista sprang auf die Füße. Er legte die Hand an den schäbigen Gürtel, als hätte er dort ein Schwert, spähte um sich, als suchte er nach einem Feind. »Hoch gewachsen soll er sein. Das ist keine Überraschung. Helden wird das meistens nachgesagt.« Baptista begann auf den Zehenspitzen auf und ab zu gehen. »Sein Haar«, er strich sich über den Kopf, »ist dunkel, dunkel wie Maulwurfsfell. Wenn wir den Liedern glauben. Das ist ungewöhnlich. Die meisten Helden haben goldenes Haar, was immer man sich darunter vorzustellen hat. Wir erfahren nichts über seine Herkunft, aber bestimmt«, Baptista setzte eine vornehme Miene auf, »fließt in seinen Adern das reinste Fürstenblut. Wie sonst sollte er so edel und mutig sein?«
»Irrtum!«, unterbrach Fenoglio. »Der Eichelhäher ist ein Mann aus dem Volk. Was soll das für ein Räuber sein, der auf einer Burg geboren wurde?«
»Ihr hört den Dichter!« Baptista tat, als wischte er sich die Vornehmheit mit der Hand von der Stirn. Die anderen Männer lachten. »Kommen wir zu dem Gesicht hinter der Federmaske.« Baptista fuhr sich mit den Fingern über das eigene zerstörte Gesicht. »Natürlich ist es schön und vornehm - und blass wie Elfenbein! Die Lieder sagen darüber nichts, aber wir alle wissen, dass diese Hautfarbe bei einem Helden selbstverständlich ist. Entschuldigt, Euer Hoheit!«, setzte er hinzu und verbeugte sich spöttisch vor dem Schwarzen Prinzen.
»Oh, bitte, bitte, dagegen hab ich gar nichts«, sagte der nur, ohne die Miene zu verziehen.
»Vergiss die Narbe nicht!«, sagte der Rußvogel. »Die Narbe an seinem linken Arm, dort, wo die Hunde ihn gebissen haben. In jedem Lied kommt sie vor. Na los, die Ärmel hoch. Lasst sehen, ob der Eichelhäher vielleicht zwischen uns sitzt?« Auffordernd sah er sich um, aber nur der Starke Mann schob lachend die Ärmel hoch. Die anderen schwiegen.
Der Prinz strich sich das lange Haar zurück. Drei Messer trug er am Gürtel. Spielleuten war es verboten, Waffen zu tragen, selbst dem, den sie ihren König nannten, doch warum sollten sie sich an Gesetze halten, die sie nicht beschützten? Er trifft das Auge einer Libelle, sagte man über die Messerkünste des Prinzen. Genau so, wie Fenoglio es einst geschrieben hatte.
»Wie immer der aussieht, der meine Lieder zu Taten macht, ich trinke auf ihn. Soll der Natternkopf ruhig nach dem Mann suchen, den ich beschrieben habe. Er wird ihn nie finden!« Fenoglio prostete der Runde zu. Er fühlte sich großartig, wie berauscht, und das kam gewiss nicht von dem hundsmiserablen Wein. Na bitte, wer sagt es denn, Fenoglio?, dachte er. Du schreibst etwas und es geschieht! Auch ohne Vorleser.
Aber der Starke Mann verdarb ihm die Stimmung. »Also ehrlich gesagt, Tintenweber, mir ist nicht nach Feiern«, brummte er. »Es heißt, der Natternkopf bezahlt neuerdings mit gutem Silber für die Zunge jedes Spielmanns, der Spottlieder auf ihn singt. Er soll schon eine ganze Sammlung haben.«
»Die Zunge?« Fenoglio tastete unwillkürlich nach der eigenen. »Fallen meine Lieder etwa auch darunter?«
Keiner antwortete ihm. Die Männer schwiegen. Aus einem Zelt hinter ihnen drang der Gesang einer Frau - ein Wiegenlied, so friedlich und süß, als stammte es aus einer anderen Welt, einer Welt, von der man nur träumen konnte.
»Ich sag es meinen bunten Untertanen immer wieder: Tretet nicht in der Nähe der Nachtburg auf! « Der Prinz schob dem Bären ein Stück fetttriefendes Fleisch ins Maul, wischte das Messer an seiner Hose ab und steckte es zurück in den Gürtel.
»Ich sage ihnen, dass wir Krähenfutter sind für den Natternkopf, Rabenbrot! Aber seit der Speckfürst lieber weint als lacht, haben sie alle leere Taschen und einen leeren Bauch. Das treibt sie nach drüben. Es gibt viele reiche Händler auf der anderen Seite des Waldes.«
Teufel. Fenoglio rieb sich die schmerzenden Knie. Wo war seine gute Laune hin? Verflogen - wie der Duft einer Blume, die jemand zertreten hatte. Missmutig nahm er noch einen Schluck Honigwein. Erneut kamen die Kinder zu ihm, bettelten um eine Geschichte, aber Fenoglio schickte sie fort. Ihm fiel nichts ein, wenn er schlechte Laune hatte.
»Da ist noch etwas«, sagte der Prinz. »Der Starke Mann hat heute im Wald ein Mädchen und einen Jungen aufgegriffen. Sie haben eine seltsame Geschichte erzählt: dass Basta, Capricorns Messermann, zurück sein oder kommen soll und sie hier sind, um einen alten Freund von mir vor ihm zu warnen -Staubfinger. Sicher hast du schon von ihm gehört?«
»Ähm«, Fenoglio verschluckte sich an seinem Wein vor Überraschung. »Staubfinger? Ja, sicher, der Feuerspucker.«