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Meggie lauschte in die Nacht. Da war noch ein Geräusch, neben dem Rascheln der Mäuse - ein feines Schnarchen. Es schien von dem Schreibpult zu kommen. Sie schob die Decke zurück und tappte vorsichtig darauf zu. Ein Glasmann schlief neben dem Krug mit den Federn, den Kopf auf einem winzigen Kissen. Seine durchsichtigen Glieder waren mit Tinte befleckt. Vermutlich spitzte er die Federn, tunkte sie in die bauchigen Gläser, streute Sand auf die feuchte Tinte. genau wie Fenoglio es sich immer gewünscht hatte. Und die Feennester über seinem Bett, brachten sie tatsächlich Glück und schöne Träume? Meggie glaubte eine Spur Feenstaub auf dem Schreibpult zu entdecken. Nachdenklich fuhr sie mit dem Finger darüber, betrachtete den glitzernden Staub, der an ihrer Fingerkuppe haften geblieben war, und strich ihn sich auf die Stirn. Half Feenstaub gegen Heimweh?

Ja, sie hatte immer noch Heimweh. All die Schönheit um sie her, und sie musste doch immer wieder an Elinors Haus denken, an Mos Werkstatt. Was für ein dummes Herz sie nur hatte. Hatte es nicht jedes Mal schneller geschlagen, wenn Resa ihr von der Tintenwelt erzählt hatte? Und nun, da sie hier war, wirklich hier, schien es nicht zu wissen, was es fühlen sollte. Weil sie nicht hier sind!, flüsterte es in ihr, als wollte ihr Herz sich verteidigen. Weil sie alle nicht hier sind.

Wenn wenigstens Farid bei ihr geblieben wäre -

Wie sie ihn darum beneidete, dass er von einer Welt in die andere schlüpfen konnte, als würde er das Hemd wechseln. Die einzige Sehnsucht, die er zu kennen schien, war die nach Staubfingers narbigem Gesicht.

Meggie trat an das Fenster. Nur ein Stück Stoff war davor geheftet. Meggie schob es zur Seite und blickte hinunter in die enge Gasse. Der zerlumpte Müllsammler zog gerade seinen Karren vorbei. Er blieb fast stecken zwischen den Häusern mit seiner schweren, stinkenden Last. Die Fenster gegenüber waren fast alle dunkel, nur hinter einem brannte eine Kerze, und das Weinen eines Kindes drang in die Nacht hinaus. Dach reihte sich an Dach wie die Schuppen an einem Tannenzapfen, und darüber ragten dunkel die Mauern und Türme der Burg in den Sternenhimmel.

Die Burg des Speckfürsten. Resa hatte sie gut beschrieben. Der Mond stand blass über den grauen Zinnen, er fasste sie in Silber, sie und die Wachen, die auf der Mauer auf und ab schritten. Es schien derselbe Mond zu sein, der über den Bergen hinter Elinors Haus auf- und unterging. »Morgen gibt der Fürst ein Fest für seinen missratenen Enkel«, hatte Fenoglio Meggie erzählt, »und ich soll ein neues Lied auf die Burg bringen. Ich werde dich mitnehmen, wir müssen dir nur ein sauberes Kleid besorgen, aber Minerva hat drei Töchter. Da wird sich schon ein Kleid für dich finden.«

Meggie warf einen letzten Blick auf den schlafenden Glasmann und kehrte zu dem Bett unter den Feennestern zurück. Nach dem Fest, dachte sie, während sie sich das schmutzige Kleid über den Kopf zog und wieder unter die grobe Decke schlüpfte, gleich nach dem Fest bitte ich Fenoglio, mich nach Hause zu schreiben. Als sie die Augen schloss, sah sie wieder die Feenschwärme, die sie im grünen Zwielicht des Weglosen Waldes umschwirrt und an den Haaren gezupft hatten, bis Farid Tannenzapfen nach ihnen warf. Sie hörte die Bäume flüstern, mit Stimmen, die halb Erde, halb Luft zu sein schienen, erinnerte sich an die schuppigen Gesichter, die sie im Wasser dunkler Tümpel entdeckt hatte, an den Schwarzen Prinzen und seinen Bären.

Unter dem Bett raschelte es, und irgendetwas krabbelte ihr über den Arm. Schläfrig wischte Meggie es fort. Hoffentlich ist Mo nicht zu wütend, dachte sie noch, bevor sie einschlief und von Elinors Garten träumte. Oder war es doch der Weglose Wald?

Nur eine Lüge

Da war die Decke, aber es war die Umarmung des Jungen, die ihn umfing und wärmte.

Jerry Spinelli, East End, West End und dazwischen Maniac Magee

Farid merkte schon bald, dass Fenoglio Recht gehabt hatte. Es war dumm gewesen, einfach mitten in der Nacht loszustolpern. Zwar sprang ihn kein Räuber aus der Dunkelheit an, nicht mal ein Fuchs lief ihm über den Weg, als er den mondhellen Hügel hinaufstieg, den die Spielleute ihm beschrieben hatten, aber wie sollte er herausfinden, welcher der ärmlichen Höfe, die zwischen den nachtschwarzen Bäumen lagen, der richtige war? Sie sahen alle gleich aus - ein Haus aus grauen Steinen, kaum größer als eine Hütte, umstanden von Olivenbäumen, ein Brunnen, manchmal ein Pferch für Vieh, ein paar schmale Felder. Nichts rührte sich auf den Höfen. Ihre Bewohner schliefen, erschöpft von der Arbeit, und mit jeder Mauer und jedem Tor, an dem er vorbeischlich, wurde Farids Hoffnung kleiner. Plötzlich fühlte er sich verloren in dieser fremden Welt, zum ersten Mal, und er wollte sich gerade unter einem Baum zum Schlafen zusammenrollen, als er das Feuer sah.

Hoch oben am Hang leuchtete es auf, rot wie eine Hibiskusblüte, die sich öffnet und schon im Aufblühen wieder welkt. Farid beschleunigte seinen Schritt, er hastete den Hang hinauf, den Blick fest auf die Stelle geheftet, an der er die Feuerblume gesehen hatte. Staubfinger! Wieder leuchtete es zwischen den Bäumen, diesmal schwefelgelb, gleißend wie Sonnenlicht. Er musste es sein! Wer sonst sollte nachts das Feuer tanzen lassen?

Farid lief schneller, so schnell, dass er bald nach Atem rang. Er stieß auf einen Weg, der sich den Hügel hinaufwand, vorbei an den Stümpfen frisch abgeholzter Bäume. Der Weg war steinig und feucht vom Tau, aber es gefiel seinen nackten Füßen, für eine Weile nicht über stachligen Thymian zu laufen. Da, wieder eine rote Blume in der Dunkelheit. Über ihm tauchte ein Haus aus der Nacht auf. Dahinter stieg der Hügel weiter an, Felder zogen sich wie Stufen den Hang hinauf, gesäumt von aufgeschichteten Steinen. Das Haus selbst war ebenso ärmlich und schmucklos wie die anderen. Der Weg endete vor einem einfachen Tor und einer Mauer aus flachen Steinen, die Farid gerade bis zur Brust reichte. Als er hinter dem Tor stehen blieb, fuhr eine Gans auf ihn zu, flügelschlagend und zischend, aber Farid beachtete sie nicht. Er hatte den gefunden, den er gesucht hatte.

Staubfinger stand auf dem Hof und ließ Flammenblumen in der Luft erblühen. Sie öffneten sich auf ein Schnippen seiner Finger, spreizten Blätter aus Feuer, welkten, trieben Stängel aus feurigem Gold und blühten erneut. Das Feuer schien aus dem Nichts zu kommen, Staubfinger rief es nur mit den Händen oder der Stimme, er fachte es an mit nichts als seinem Atem - keine Fackeln, keine Flasche, mit der er sich den Mund füllte - nichts von dem, was er in der anderen Welt gebraucht hatte, konnte Farid entdecken. Er stand einfach nur da und setzte die Nacht in Brand. Immer neue Blüten wirbelten um ihn herum in wildem Tanz, spuckten ihm Funken vor die Füße wie goldene Saat, bis er in flüssigem Feuer stand.