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Nicht umsehen!, dachte er. Lauft, lauft!, befahl er seinen Beinen. Lasst die Katze den Höllenhund fressen, sie soll sie alle fressen, Basta und den Käsekopf dazu, nur lauft! Das welke Laub, das zwischen den Bäumen lag, war feucht und dämpfte das Geräusch seiner Schritte, aber es war glitschig und ließ ihn ausrutschen an dem steil abfallenden Hang. Verzweifelt suchte er Halt an einem Baumstamm, presste sich zitternd dagegen und lauschte in die Nacht. Was, wenn Basta ihn keuchen hörte?

Ein Schluchzen entrang sich seiner Brust. Er presste sich die Hände auf den Mund. Das Buch, Basta hatte das Buch!

Hatte er nicht darauf aufpassen sollen - und wie sollte er Staubfinger nun jemals wiederfinden? Farid strich über das Blatt mit Orpheus’ Worten, das er immer noch gegen die Brust presste. Feucht und schmutzig war es - und seine ganze Hoffnung.

»Heee, du kleiner bissiger Bastard!« Bastas Stimme drang durch die stille Nacht. »Lauf nur, ich krieg dich doch, hörst du? Dich, den Feuerfresser, Zauberzunge und seine feine Tochter und den alten Mann, der die verfluchten Worte geschrieben hat! Ich werd euch alle töten. Einen nach dem anderen! So wie ich gerade das Biest aufgeschlitzt habe, das aus dem Buch gekommen ist.«

Farid wagte kaum zu atmen. Weiter!, dachte er. Los! Lauf weiter. Basta kann dich nicht sehen! Zitternd tastete er nach dem nächsten Baumstamm, suchte nach Halt und dankte dem Wind dafür, dass er über ihm an den Blättern riss und seine Schritte mit seinem Rauschen übertönte. Wie oft soll ich es dir noch sagen? In dieser Welt gibt es keine Geister. Einer der wenigen Vorzüge, die sie hat. Er hörte Staubfingers Stimme, als ginge er hinter ihm. Immer wieder wiederholte Farid sich die Worte, während die Tränen ihm übers Gesicht liefen und Dornen ihm die Füße zerschnitten. Es gibt keine Geister, gibt keine Geister!

Ein Zweig schlug ihm ins Gesicht, so heftig, dass er fast aufschrie. Folgten sie ihm? Er konnte nichts hören, nur den Wind. Wieder rutschte er aus, stolperte den Abhang hinunter. Nesseln verbrannten ihm die Beine, Kletten verfingen sich in seinem Haar. Und etwas sprang ihn an, pelzig und warm, stieß ihm die Nase ins Gesicht. »Gwin?« Farid tastete über den kleinen Kopf. Ja, da waren sie, die winzigen Hörner. Er presste das Gesicht gegen das weiche Marderfell. »Basta ist zurück, Gwin!«, flüsterte er. »Und er hat das Buch! Was, wenn Orpheus ihn nun hinüberliest? Irgendwann geht er bestimmt zurück, das denkst du doch auch, oder? Wie sollen wir Staubfinger jetzt nur vor ihm warnen?«

Zweimal noch stieß er auf die Straße, die sich den Berg hinunterwand, aber Farid wagte nicht, ihr zu folgen, schlug sich lieber weiter durch das stachlige Unterholz. Bald schmerzte jeder Atemzug, aber er blieb nicht stehen. Erst als die ersten Sonnenstrahlen sich durch die Bäume tasteten und Basta immer noch nicht hinter ihm aufgetaucht war, wusste Farid, dass er entkommen war.

Was nun?, dachte er, während er keuchend im trockenen Gras lag. Was nun? Und plötzlich erinnerte er sich an eine andere Stimme, die Stimme, die ihn in diese Welt gebracht hatte. Zauberzunge. Natürlich. Nur er konnte ihm jetzt helfen, er oder seine Tochter. Meggie. Bei der Bücherfresserin wohnten sie jetzt, Farid war mit Staubfinger einmal dort gewesen. Es war ein langer Weg, vor allem mit zerschnittenen Füßen. Aber er musste vor Basta dort sein.

Staubfingers Heimkehr

»Was ist das«, sagte der Leopard, »was so ausnehmend dunkel und doch so voller kleiner Lichtstücke ist?«

Rudyard Kipling, Wie der Leopard zu seinen Flecken kam

Für einen Moment schien es Staubfinger, als wäre er nie fort gewesen - als hätte er nur schlecht geträumt, die Erinnerung daran ein schaler Geschmack auf der Zunge, ein Schatten auf dem Herzen, nichts weiter. Alles war plötzlich wieder da, die Geräusche, so vertraut und nie vergessen, die Gerüche, die Stämme der Bäume, gescheckt vom Morgenlicht, die Schatten der Blätter auf seinem Gesicht. Einige färbten sich bunt, wie sie es in der anderen Welt getan hatten, auch hier nahte der Herbst, aber die Luft war immer noch mild. Sie roch nach überreifen Beeren, nach welkenden Blüten, tausend und mehr, deren Duft die Sinne betäubte - wachsblasse Blüten, leuchtend im Schatten der Bäume, blaue Sterne an hauchdünnen Stängeln, so zart, dass er seine Schritte zügelte, um sie nicht zu zertreten. Steineichen, Platanen, Tulpenbäume um ihn her. wie sie in den Himmel griffen! Er hatte fast vergessen, wie groß ein Baum sein konnte, wie breit und hoch sein Stamm, die Krone so ausladend, dass eine ganze Schar von Reitern darunter Schutz finden konnte. Die Wälder in der anderen Welt waren so jung. Sie hatten ihm immer das Gefühl gegeben, alt zu sein, so furchtbar alt, dass die Jahre ihn wie Ruß bedeckten. Hier war er wieder jung, kaum älter als die Pilze zwischen den Wurzeln, kaum größer als Disteln und Nesseln.

Aber wo war der Junge?

Suchend blickte Staubfinger sich um, rief seinen Namen, immer wieder. »Farid!« Der Name war ihm in den letzten Monaten fast so vertraut geworden wie der eigene. Aber niemand antwortete. Nur seine eigene Stimme hallte zwischen den Bäumen wider.

Also war es doch geschehen. Der Junge war dort geblieben. Was würde er nun anfangen, so ganz allein? Nun, was wohl?, dachte Staubfinger, während er sich ein letztes Mal vergebens umsah. Er wird besser zurechtkommen, als du es dort jemals zustande gebracht hast. Den Lärm, die Schnelligkeit, das Menschengedränge, das alles liebt er doch. Außerdem hast du ihm genug beigebracht, er spielt mit dem Feuer schon fast so geschickt wie du. Ja, der Junge würde bestens zurechtkommen. Dennoch, für einen Moment welkte die Freude in Staubfängers Brust wie eine der Blüten zu seinen Füßen, und das Morgenlicht, das ihn eben noch willkommen geheißen hatte, schien fahl und leblos. Die andere Welt hatte ihn erneut betrogen. Ja, sie hatte ihn tatsächlich freigelassen nach all den vielen Jahren, doch sie hatte das Einzige behalten, woran er dort drüben sein Herz gehängt hatte.

Nun, und was lernst du wieder mal daraus?, dachte er, während er sich ins taufeuchte Gras kniete. Behalte dein Herz besser für dich, Staubfinger. Er hob ein Blatt auf, das rot wie Feuer im dunklen Moos leuchtete. Solche Blätter hatte es in der anderen Welt nicht gegeben, oder? Was war nur los mit ihm? Ärgerlich richtete er sich wieder auf. He, Staubfinger! Du bist zurück! Zurück!, fuhr er sich an. Vergiss den Jungen, ja, er ist verloren gegangen, aber dafür hast du deine Welt zurück, eine ganze Welt. Du hast sie zurück. Glaub es! Glaub es endlich!

Wenn das nur nicht so schwer gewesen wäre. Es war so viel leichter, ans Unglück zu glauben als ans Glück. Jede Blume musste er anfassen, jeden Baum betasten, die Erde zwischen den Fingern zerreiben und den ersten Mückenstich auf der Haut spüren, bis er es endlich glaubte.

Ja, er war zurück. Er war tatsächlich zurück. Endlich. Und plötzlich stieg ihm das Glück zu Kopf wie ein Glas schwerer Wein. Selbst der Gedanke an Farid konnte es nicht länger trüben. Der Alptraum, der zehn Jahre gedauert hatte, war vorbei.

Wie leicht er sich fühlte, leicht wie eins der Blätter, die wie Gold von den Bäumen regneten.

Glücklich.

Erinnre dich, Staubfinger, so fühlt es sich an. Das Glück.