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Sonderlich gut saß das Kleid wirklich nicht, und Meggie war plötzlich fast froh, dass Fenoglio keinen Spiegel besaß. Zu Hause hatte sie ihr Spiegelbild in letzter Zeit oft betrachtet. Es war so seltsam zuzusehen, wie der eigene Körper sich verwandelte. Als wäre man ein verpuppter Schmetterling.

»Fertig?«, fragte Fenoglio und drehte sich um. »Na bitte, das geht doch, auch wenn so ein hübsches Mädchen eigentlich ein hübscheres Kleid verdient hätte.« Mit einem Seufzer blickte er an sich selbst herunter. »Nun, ich werde wohl auch besser so bleiben, dies Gewand hier hat wenigstens keine Löcher. Was soll’s, auf der Burg wird es heute so von Gauklern und feinem Volk wimmeln, dass eh niemand auf uns zwei achten wird.«

»Zwei? Was soll das heißen?« Rosenquarz legte die Klinge zur Seite, mit der er gerade eine Feder anspitzte. »Ihr werdet mich doch wohl mitnehmen?«

»Bist du des Wahnsinns? Damit ich dich in Splittern zurücktrage? Nein. Außerdem müsstest du dir ja das schlechte Gedicht anhören, das ich dem Fürsten bringe.«

Rosenquarz schimpfte immer noch, als Fenoglio die Tür hinter ihnen zuzog. Die Holztreppe, die Meggie in der vergangenen Nacht vor Müdigkeit kaum hinaufgekommen war, führte hinunter in einen von Häusern umstandenen Hof, in dem sich Schweinepferche, Holzverschläge und Gemüsebeete den wenigen Platz streitig machten. Ein schmales Rinnsal von Bach wand sich zwischen all dem hindurch, zwei Kinder scheuchten ein Schwein von den Beeten und eine Frau mit einem Baby auf dem Arm fütterte eine Schar magerer Hühner.

»Ein wunderbarer Morgen, nicht wahr, Minerva?«, rief Fenoglio ihr zu, während Meggie ihm zögernd die letzten steilen Stufen hinunterfolgte.

Minerva trat an den Fuß der Treppe. Ein Mädchen, vielleicht sechs Jahre alt, klammerte sich an ihren Rock und starrte misstrauisch zu Meggie hinauf. Unsicher blieb sie stehen. Vielleicht sieht man es!, dachte sie. Vielleicht sieht man, dass ich nicht hierher gehöre.

»Pass auf!«, rief das Mädchen ihr zu, aber bevor Meggie verstand, riss etwas an ihrem Haar. Das Mädchen warf mit Erde, und eine Fee flatterte schimpfend mit leeren Händen davon.

»Himmel, wo kommst du denn her?«, fragte Minerva, während sie Meggie von der Treppe zog. »Gibt es dort etwa keine Feen? Sie sind ganz verrückt auf Menschenhaar, vor allem auf so schönes wie deins. Wenn du dein Haar nicht hochsteckst, wirst du bald einen kahlen Kopf haben. Außerdem bist du zu alt, um es noch offen zu tragen, oder willst du, dass man dich für eine Spielfrau hält?«

Minerva war klein und untersetzt, kaum größer als Meggie. »Gott, bist du ein dünnes Ding!«, sagte sie. »Das Kleid rutscht dir ja fast von den Schultern. Ich werd es dir enger machen, gleich heute Abend. Hat sie gefrühstückt?«, fragte sie und schüttelte den Kopf, als sie Fenoglios verdutztes Gesicht sah. »Herrgott, du hast doch wohl nicht vergessen, dem Mädchen was zu essen zu geben?«

Fenoglio hob hilflos die Hände. »Ich bin ein alter Mann, Minerva!«, rief er. »Ich vergesse solche Dinge! Was ist nur heute Morgen los? Ich hatte wirklich die allerbeste Laune, aber alles nörgelt an mir herum. Rosenquarz hat mich auch schon ganz verrückt gemacht.«

Minerva drückte ihm zur Antwort nur das Baby auf den Arm und zog Meggie mit sich.

»Was ist das für ein Baby?«, rief Fenoglio, während er ihr folgte. »Laufen hier nicht schon genug Kinder herum?«

Das Baby studierte sein Gesicht so ernsthaft, als suchte es darin nach etwas Interessantem, schließlich griff es nach seiner Nase.

»Das ist von meiner ältesten Tochter«, antwortete Minerva nur. »Du hast es schon ein paar Mal gesehen. Wirst du jetzt so vergesslich, dass ich dir meine eigenen Kinder auch besser noch mal vorstelle?«

Despina und Ivo, so hießen Minervas Kinder. Der Junge hatte Fenoglio in der letzten Nacht die Fackel getragen, er lächelte Meggie zu, als sie mit seiner Mutter in die Küche kam.

Minerva zwang Meggie, eine Schale Polenta zu essen und zwei Scheiben Brot, bestrichen mit einer Paste, die nach Oliven roch. Die Milch, die sie ihr hinschob, war so fett, dass Meggies Zunge sich nach dem ersten Schluck ganz pelzig anfühlte. Während sie aß, steckte Minerva ihr das Haar hoch. Meggie erkannte sich selbst kaum wieder, als sie ihr eine Waschschüssel hinschob, damit sie ihr Spiegelbild betrachten konnte.

»Woher hast du die Stiefel?«, fragte Ivo. Seine Schwester musterte Meggie immer noch wie ein fremdes Tier, das sich in ihre Küche verirrt hatte.

Ja, woher? Meggie versuchte hastig, den Saum des Kleides über ihre Stiefel zu ziehen, aber es war zu kurz.

»Meggie kommt von weit her«, erklärte Fenoglio, der ihnen in die Küche gefolgt war und ihre Verlegenheit bemerkte. »Von sehr weit her. Dort gibt es sogar Menschen mit drei Beinen und solche, denen die Nase am Kinn wächst.«

Die Kinder starrten erst ihn und dann Meggie an.

»Hör auf, was redest du da schon wieder?« Minerva gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. »Sie glauben dir jedes Wort. Irgendwann werden sie sich noch aufmachen, um all die verrückten Orte zu suchen, von denen du erzählst, und ich steh ohne Kinder da.«

Meggie verschluckte sich an der fetten Milch. Sie hatte ihr Heimweh ganz vergessen, aber Minervas Worte brachten es zurück - und das schlechte Gewissen. Fünf Tage war sie schon fort, wenn sie richtig gezählt hatte.

»Du und deine Geschichten!« Minerva schob Fenoglio einen Becher Milch hin. »Als ob es nicht reicht, dass du ihnen ständig diese Räubergeschichten erzählst. Weißt du, was Ivo gestern zu mir gesagt hat? Wenn ich groß bin, geh ich auch zu den Räubern! Wie der Eichelhäher will er werden! Was richtest du da nur an? Erzähl ihnen meinetwegen von Cosimo, von den Riesen oder dem Prinzen und seinem Bären, aber kein Wort mehr über diesen Räuber, verstanden?«