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Violante trug Schwarz wie ihr Sohn und ihr Schwiegervater. Auch ihr Kleid war mit Tränen aus Perlen bestickt, doch das kostbare Schimmern kleidete sie nicht sonderlich. Ihr Gesicht sah aus, als hätte es jemand mit zu blassem Stift auf ein fleckiges Stück Papier gezeichnet, und die dunkle Seide machte es nur noch unscheinbarer. An diesem Gesicht fiel nur eines auf: das purpurne Mal, groß wie eine Mohnblüte, das die linke Wange verunzierte.

Als Meggie mit Fenoglio durch den dunklen Saal geschritten kam, beugte Violante sich gerade zu ihrem Schwiegervater hinunter und sprach mit leiser Stimme auf ihn ein. Der Speckfürst verzog keine Miene, aber schließlich nickte er, und der Junge rutschte erleichtert von seinem Stuhl.

Fenoglio gab Meggie ein Zeichen, stehen zu bleiben. Mit respektvoll gesenktem Kopf trat er zur Seite und wies Meggie unauffällig an, es ihm nachzutun. Violante nickte Fenoglio zu, als sie mit hoch erhobenem Kopf an ihnen vorbeischritt, aber Meggie sah sie nicht einmal an. Auch den steinernen Abbildern ihres toten Mannes schenkte sie keine Beachtung. Die Hässliche schien es eilig zu haben, dem finsteren Saal zu entkommen, fast ebenso eilig wie ihr Sohn. Die Dienerin, die ihr folgte, ging so dicht an Meggie vorbei, dass ihr Kleid sie fast streifte. Sie schien nicht viel älter als Meggie. Ihr Haar schimmerte rötlich, als fiele der Schein eines Feuers darauf, und sie trug es offen, wie es in dieser Welt eigentlich nur die Spielfrauen taten. Meggie hatte noch nie schöneres Haar gesehen.

»Du kommst spät, Fenoglio!«, sagte der Speckfürst, sobald die Türen sich hinter den Frauen und seinem Enkel geschlossen hatten. Seine Stimme klang immer noch gepresst wie die eines sehr dicken Mannes. »Waren dir die Worte ausgegangen?«

»Die werden mir erst ausgehen, wenn mir der Atem stockt, mein Fürst«, antwortete Fenoglio mit einer Verbeugung. Meggie wusste nicht, ob sie es ihm nachtun sollte. Schließlich entschied sie sich für einen unbeholfenen Knicks.

Von nahem sah der Speckfürst noch gebrechlicher aus. Seine Haut glich verwelkten Blättern und das Weiß seiner Augen vergilbtem Papier. »Wer ist das Mädchen?«, fragte er und musterte sie mit müdem Blick. »Deine Dienerin? Als Geliebte ist sie zu jung, oder?«

Meggie spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. »Euer Gnaden, auf was für Gedanken Ihr kommt!«, wehrte Fenoglio ab und legte ihr den Arm um die Schultern. »Das ist meine Enkelin, sie ist bei mir zu Besuch. Mein Sohn hofft, dass ich ihr einen Mann finde, und wo kann sie sich besser umsehen als auf dem wunderbaren Fest, das Ihr heute gebt?«

Die Schamröte auf Meggies Gesicht wurde noch tiefer, aber sie zwang sich zu einem Lächeln.

»Ach. Du hast einen Sohn?« Aus der Stimme des traurigen Fürsten klang so viel Neid, als gönnte er nicht einem seiner Untertanen das Glück eines lebenden Sohnes. »Es ist nicht klug, seine Kinder allzu weit fortzulassen«, murmelte er, ohne Meggie aus den Augen zu lassen. »Sie kommen allzu leicht nie wieder zurück!«

Meggie wusste nicht, wo sie hinblicken sollte. »Ich werde bald zurückgehen«, sagte sie. »Mein Vater weiß das.« Hoffentlich, setzte sie in Gedanken hinzu.

»Ja. Ja, natürlich. Sie geht zurück. Zu gegebener Zeit.« Fenoglios Stimme klang ungeduldig. »Aber kommen wir nun zum Anlass meines Besuches.« Er zog die Pergamentrolle, die Rosenquarz so sorgsam versiegelt hatte, aus dem Gürtel und stieg mit respektvoll gesenktem Kopf die Stufen zum fürstlichen Sessel hinauf. Der Speckfürst schien Schmerzen zu haben. Er presste die Lippen aufeinander, als er sich vorbeugte, um das Pergament entgegenzunehmen, und der Schweiß stand ihm auf der Stirn, obwohl es kühl war in der Halle. Meggie erinnerte sich an Minervas Worte: Dieser Fürst wird sich noch zu Tode seufzen und klagen. Fenoglio schien dasselbe zu denken.

»Geht es Euch nicht gut, mein Fürst?«, fragte er besorgt.

»Allerdings nicht!«, stieß der Speckfürst gereizt hervor. »Und leider hat der Natternkopf das heute auch bemerkt.« Mit einem Seufzer lehnte er sich zurück und klopfte gegen die Seite seines Sessels. »Tullio!«

Ein Diener, ebenso schwarz gekleidet wie der Fürst, schoss hinter dem Sessel hervor. Wie ein zu kurz geratener Mensch sah er aus, wäre da nicht der feine Pelz auf Gesicht und Händen gewesen. Tullio erinnerte Meggie an die Kobolde in Eli-nors Garten, die sich in Asche verwandelt hatten, auch wenn er deutlich mehr von einem Menschen an sich hatte.

»Los, hol mir einen Spielmann, aber einen, der lesen kann!«, befahl der Fürst. »Er soll mir Fenoglios Gedicht vortragen.« Und Tullio schoss davon, eifrig wie ein junger Hund.

»Habt Ihr die Nessel gerufen, wie ich es Euch geraten habe?« Fenoglios Stimme klang eindringlich, aber der Fürst winkte nur ärgerlich ab.

»Die Nessel? Wozu? Sie würde nicht kommen, und wenn, dann vermutlich nur, um mich zu vergiften, weil ich für den Sarg meines Sohnes ein paar Eichen habe fällen lassen. Kann ich etwas dafür, dass sie sich lieber mit Bäumen als mit Menschen unterhält? Sie können mir alle nicht helfen, weder die Nessel noch all die Bader, Steinschneider und Knochenflicker, deren übel riechende Tränke ich schon geschluckt habe. Es ist kein Kraut gegen Kummer gewachsen.« Seine Finger zitterten, als er Fenoglios Siegel brach, und in dem abgedunkelten Saal wurde es so still, während er las, dass Meggie hörte, wie die Kerzenflammen knisternd an den Dochten fraßen.

Fast lautlos bewegte der Fürst die Lippen. Während seine trüben Augen Fenoglios Worten folgten, hörte Meggie ihn flüstern: »Er wird, ach, nimmer, nimmermehr erwachen.« Unauffällig blickte sie Fenoglio an. Er errötete schuldbewusst, als er ihren Blick bemerkte. Ja, er hatte die Worte gestohlen. Und sicher keinem Dichter dieser Welt.

Der Speckfürst hob den Kopf und wischte sich eine Träne aus den trüben Augen. »Schöne Worte, Fenoglio«, sagte er mit bitterer Stimme, »ja, darauf verstehst du dich wahrlich. Doch wann endlich findet einer von euch Dichtern die Worte, die die Tür öffnen, durch die der Tod uns zerrt?«

Fenoglio blickte sich zu den Standbildern um. Er musterte sie so versonnen, als sähe er sie zum ersten Mal. »Ich bedaure, aber die Worte gibt es nicht, mein Fürst«, sagte er. »Der Tod ist das große Schweigen. An der Tür, die er hinter uns schließt, gehen selbst den Dichtern die Worte aus. Wenn Ihr mich jetzt also untertänigst entschuldigen würdet - die Kinder meiner Wirtin warten draußen, und wenn ich sie nicht bald wieder einfange, laufen sie vermutlich mit den Gauklern fort, denn wie alle Kinder träumen sie davon, Bären zu bändigen und auf einem Seil zwischen Himmel und Hölle zu tanzen.«

»Ja, geh. Geh schon!«, sagte der Speckfürst und winkte müde mit seiner beringten Hand. »Ich lasse dir Bescheid geben, wenn mir wieder nach Worten ist. Wohlschmeckendes Gift sind sie, aber nur durch sie schmeckt selbst der Schmerz für ein paar Augenblicke bittersüß.«

Er wird, ach, nimmer, nimmermehr erwachen!... Elinor hätte sicherlich gewusst, von wem die Verse stammen, dachte Meggie, während sie mit Fenoglio durch den finsteren Saal zurückschritt. Unter ihren Stiefeln raschelten die Kräuter, mit denen der Boden des Saales bestreut war. Ihr Duft hing in der kühlen Luft, als wollte er den traurigen Fürsten an die Welt erinnern, die draußen auf ihn wartete. Doch vielleicht erinnerte er ihn auch nur an die Blumen, die Cosimos Gruft schmückten.