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»Also, etwas mehr Vorsicht!«, flüsterte Staubfinger. »Du willst doch nicht, dass dein erster Tag zu Hause auch dein letzter ist.«

Der Rausch über seine Rückkehr verflog langsam und ließ ihn wieder klarer denken. Das Glück aber blieb, weich und warm in seinem Herzen, wie der Flaum eines jungen Vogels.

An einem Bach zog er die Kleider aus, wusch sich den Nixenschlick vom Körper, den Ruß der Feuerelfen und den Schmutz der anderen Welt. Dann schlüpfte er in die Kleider, die er zehn Jahre lang nicht getragen hatte. Er hatte sie sorgsam gepflegt, aber ein paar Mottenlöcher waren doch in dem schwarzen Stoff, und die Ärmel waren schon zerschlissen gewesen, als er sie für die andere Welt ablegte. Schwarz und rot war alles, die Farben der Feuerspucker, so wie die Seiltänzer sich in das Blau des Himmels kleideten. Er strich über den rauen Stoff, streifte sich das Wams mit den weiten Ärmeln über und warf sich den dunklen Umhang über die Schultern.

Zum Glück passte noch alles, es war ein teurer Spaß, sich neue Kleider schneidern zu lassen, selbst wenn man es wie die Spielleute hielt und dem Schneider die alten Kleider überließ, damit er sie neu zusammenstückelte.

Als es dämmerte, hielt er Ausschau nach einem sicheren Schlafplatz. Schließlich stieg er auf eine umgestürzte Korkeiche, deren Wurzelballen so hoch in die Luft ragte, dass er sich gut zum Schlafen eignete. Wie ein Wall aus Erde war er und krallte sich dennoch weiter in den Boden, als wollte er das Leben einfach nicht loslassen. Die Krone des gestürzten Baumes hatte frisch ausgetrieben, obwohl sie nicht länger in den Himmel griff, sondern in die Erde. Behände balancierte Staubfinger den mächtigen Stamm hinauf, krallte die Finger in die raue Rinde.

Als er oben zwischen den Wurzeln stand, die sich in die Luft streckten, als könnten sie auch dort Nahrung finden, flogen schimpfend ein paar Feen auf, die offenbar gerade nach Baumaterial für ihre Nester gesucht hatten. Natürlich, es wurde Herbst und damit Zeit für einen etwas wetterfesteren Schlafplatz. Die blauen Feen gaben sich nicht sonderlich viel Mühe mit den Nestern, die sie im Frühling bauten, doch sobald das erste Blatt sich bunt färbte, begannen sie sie auszubessern und zu polstern, mit Tierhaaren und Vogelfedern, flochten zusätzliche Gräser und Zweige in die Wände und dichteten sie ab mit Moos und Feenspucke.

Zwei der winzigen blauen Dinger flatterten nicht davon, als sie ihn sahen. Begierig starrten sie auf sein fuchsblondes Haar, während das Abendlicht, das durch die Baumkronen fiel, ihre Flügel rot färbte.

»Ach ja, natürlich!« Staubfinger lachte leise. »Ihr wollt etwas von meinem Haar, für eure Nester.« Mit dem Messer schnitt er eine Strähne ab. Mit käferfeinen Händen griff die eine Fee zu und flatterte hastig mit dem Haarbüschel davon. Die andere, so winzig, dass sie wohl gerade erst aus ihrem perlmuttweißen Ei geschlüpft war, folgte ihr. Er hatte sie vermisst, die frechen blauen Dinger, so sehr vermisst.

Unter ihm hielt die Nacht Einzug zwischen den Bäumen, auch wenn über ihm die untergehende Sonne die Wipfel noch so rot färbte wie Sauerampfer in einer Sommerwiese. Bald würden die Feen in ihren Nestern schlafen, die Mäuse und Kaninchen in ihren Höhlen, den Eidechsen würde die Kühle der Nacht die Glieder steif machen und die Jäger würden sich bereitmachen, ihre Augen gelbe Lichter in der schwarzen Nacht. Nun, hoffen wir, dass sie keinen Appetit auf einen Feuerspucker haben, dachte Staubfinger, während er die Beine auf dem umgestürzten Stamm ausstreckte. Er stieß das Messer neben sich in die brüchige Rinde, zog sich den Umhang, den er zehn Jahre nicht getragen hatte, um die Schultern und starrte zu den immer dunkler werdenden Blättern hinauf. Eine Eule schwang sich aus einer Steineiche und glitt davon, kaum mehr als ein Schatten zwischen den Zweigen. Ein Baum wisperte im Schlaf, als der Tag verlosch, Worte, die kein Menschenohr verstand.

Staubfinger schloss die Augen und lauschte.

Er war wieder zu Hause.

Zauberzunges Tochter

Gab es doch nur eine Welt, die von anderen Welten träumte?

Philip Pullman, Das magische Messer

Meggie hasste es, mit Mo zu streiten. Alles in ihr zitterte danach, und nichts konnte sie trösten, nicht die Umarmungen ihrer Mutter, nicht die Lakritzschnecken, die Elinor ihr zusteckte, wenn sie ihre lauten Stimmen bis in die Bibliothek gehört hatte, nicht Darius, der in solchen Fällen an die wundersame Wirkung heißer, honiggesüßter Milch glaubte.

Nichts.

Diesmal war es besonders schlimm gewesen, denn Mo war eigentlich nur zu ihr gekommen, um sich zu verabschieden. Ein neuer Auftrag wartete, ein paar kranke Bücher, zu alt und kostbar, um sie ihm zu schicken. Früher wäre Meggie mit ihm gefahren, aber diesmal hatte sie beschlossen, bei Elinor und ihrer Mutter zu bleiben.

Warum war er auch ausgerechnet in ihr Zimmer gekommen, als sie wieder in den Notizbüchern gelesen hatte?

Wegen dieser Bücher hatten sie in letzter Zeit oft gestritten, obwohl Mo das Streiten ebenso hasste wie sie. Meist verschwand er danach in der Werkstatt, die Elinor hinter dem Haus für ihn hatte bauen lassen, und Meggie ging ihm irgendwann nach, wenn sie es nicht mehr aushielt, wütend auf ihn zu sein. Er hob nie den Kopf, wenn sie durch die Tür schlüpfte, und Meggie setzte sich wortlos neben ihn, auf den Stuhl, der dort immer auf sie wartete, und sah ihm bei der Arbeit zu, wie sie es schon getan hatte, als sie noch nicht einmal hatte lesen können. Sie liebte es, seinen Händen dabei zuzusehen, wenn sie ein Buch von seinem zerschlissenen Kleid befreiten, fleckige Seiten voneinander lösten, die Fäden durchtrennten, die einen beschädigten Buchblock hielten, oder altes, unbeschriebenes Hadernpapier einweichten, um damit ein zerfressenes Blatt zu flicken. Es dauerte nie lange, bis Mo sich umdrehte und sie irgendetwas fragte: ob ihr die Farbe, die er für einen Leinenbezug gewählt hatte, gefiel, ob sie nicht auch dachte, dass der Papierbrei, den er zum Flicken angerührt hatte, etwas zu dunkel geraten wäre. Das war Mos Art, Entschuldigung zu sagen: Lass uns nicht mehr streiten, Meggie, lass uns vergessen, was wir gesagt haben.

Aber heute ging das nicht. Weil er nicht in seiner Werkstatt verschwunden, sondern fortgefahren war, zu irgendeinem Sammler, um dessen gedruckten Schätzen das Leben zu verlängern. Diesmal würde er nicht zu ihr kommen und ihr als Versöhnungsgeschenk ein Buch bringen, entdeckt in irgendeinem Antiquariat, oder ein Lesezeichen, verziert mit Eichelhäherfedern, die er in Elinors Garten gefunden hatte.

Warum hatte sie nicht in einem anderen Buch lesen können, als er in ihr Zimmer gekommen war?

»Himmel, Meggie, du hast ja nichts anderes mehr im Kopf als diese Notizbücher!«, hatte er sie angefahren, wie jedes Mal, wenn er sie in den letzten Monaten so in ihrem Zimmer gefunden hatte - auf dem Teppich liegend, taub und blind für alles, was um sie herum vorging, die Augen festgesaugt an den Buchstaben, mit denen sie aufgezeichnet hatte, was Resa ihr erzählt hatte - über das, was sie >dort< erlebt hatte, wie Mo es mit bitterer Stimme nannte. Dort.