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Sie hatten alles mitgenommen, ihre Decken, Farids Pullover, in den er nachts wie in ein Schneckenhaus geschlüpft war, selbst die blutigen Binden, die Zauberzunge ihm um die Stirn gewunden hatte, in der Nacht, in der sie fast erschossen worden wären.

»Was soll's?«, sagte Zauberzunge, als sie neben ihrer kalten Feuerstelle standen. »Heute Abend werden wir unsere Decken nicht brauchen.« Dann fuhr er Farid durch das schwarze Haar. »Was würde ich bloß ohne dich machen, Meisteranschleicher, Kaninchenfänger, Versteckefinder?«, sagte er.

Und Farid starrte auf seine nackten Zehen und lächelte.

Ein so zerbrechliches Ding

Als sie sagte, sie hoffe, dass Tinker Bell sich freuen würde, fragte er: »Wer ist Tinker Bell?«

»Aber Peter!«, sagte sie schockiert. Doch als sie es ihm erklärte, konnte er sich nicht erinnern.

»Es gibt so viele davon«, sagte er. »Ich nehme an, sie ist tot.«

Ich nehme an, er hatte Recht, denn Feen leben nicht lange, aber sie sind so klein, dass ihnen die kurze Zeit nicht besonders kurz vorkommt.

James M. Barrie, Peter Pan

Capricorns Männer suchten am falschen Ort nach Staubfinger. Er hatte es nicht geschafft, aus dem Dorf zu entkommen. Er hatte es nicht einmal versucht. Staubfinger war in Bastas Haus.

Es lag in einer Gasse gleich hinter Capricorns Hof, umgeben von leeren Häusern, in denen nur Katzen und Ratten hausten. Basta mochte keine Nachbarn, er mochte überhaupt keine Gesellschaft außer der von Capricorn. Staubfinger war sich sicher: Basta hätte auf Capricorns Türschwelle geschlafen, wenn er es ihm erlaubt hätte, doch keiner seiner Männer wohnte im Haupthaus. Sie hielten Wache dort, das war alles. Essen taten sie in der Kirche und schlafen in einem der vielen leeren Häuser des Dorfes, das war eine unumstößliche Regel. Die meisten zogen ständig um, lebten mal in dem einen und, wenn es dort durchs Dach leckte, eben in einem anderen Haus. Nur Basta hauste, seit sie in das Dorf gekommen waren, am selben Platz. Staubfinger vermutete, dass er sich dieses Haus ausgesucht hatte, weil neben der Schwelle Johanniskraut wuchs. Schließlich hatte keine andere Pflanze so sehr den Ruf, alles Böse fern zu halten - von dem Bösen, das in Bastas Herz nistete, einmal abgesehen.

Es war ein Haus aus grauem Stein, wie die meisten Häuser des Dorfes, mit schwarz gestrichenen Fensterläden, die Basta meist geschlossen hielt und auf die er Zeichen gepinselt hatte, die seiner Meinung nach ebenso das Unglück fern hielten wie die gelben Blüten des Johanniskrauts. Manchmal glaubte Staubfinger, dass Bastas ständige Angst vor Flüchen und plötzlichem Unheil nur daher kam, dass er sich vor der eigenen Finsternis fürchtete und aus ihr schloss, dass der Rest der Welt genauso beschaffen sein musste.

Staubfinger hatte Glück gehabt, dass er es bis zu Bastas Haus geschafft hatte. In einen ganzen Schwarm von Capricorns Männern war er hineingerannt, kaum dass er aus der Kirche gestolpert war. Natürlich hatten sie ihn gleich erkannt. Ja, dafür hatte Basta wahrlich gesorgt, für alle Zeiten. Ihre Verblüffung hatte Staubfinger gerade genug Zeit gegeben, in einer der Gassen zu verschwinden. Aber zum Glück kannte Staubfinger jeden Winkel des verfluchten Dorfes. Zuerst hatte er sich zum Parkplatz durchschlagen wollen und von dort in die Hügel, aber dann war ihm Bastas leeres Haus eingefallen. Durch Mauerlöcher hatte er sich gezwängt, war durch Keller gekrochen und hatte sich hinter den Brüstungen nie genutzter Balkone geduckt. Wenn es ums Verstecken ging, machte selbst Gwin ihm nichts vor, und es kam ihm nun zugute, dass ihn eine seltsame Neugier schon immer dazu getrieben hatte, die verborgenen und vergessenen Winkel dieses und jedes anderen Ortes zu erkunden.

Er war außer Atem, als er Bastas Haus erreichte. Basta war vermutlich der Einzige in Capricorns Dorf, der seine Haustür abschloss, aber das Schloss war kein Hindernis. Staubfinger versteckte sich auf dem Dachboden, bis sein Herzschlag langsamer ging, auch wenn dort die Holzbohlen so morsch waren, dass er bei jedem Schritt fürchtete durchzubrechen. In Bastas Küche fand er genug zu essen, wie ein Wurm hatte der Hunger schon an seinen Magenwänden gezwackt. Weder er noch Resa hatten etwas zu essen bekommen, seit man sie in die Netze gesteckt hatte, und es war ein doppeltes Vergnügen, sich mit Bastas Vorräten den Bauch zu füllen.

Als er halbwegs satt war, öffnete er einen der Fensterläden einen Spalt weit, damit er es rechtzeitig hörte, wenn sich Schritte näherten, doch das einzige Geräusch, das an sein Ohr drang, war ein Klingeln, so schwach, dass es kaum wahrnehmbar war. Erst da fiel ihm die Fee ein, die Fee, die Meggie hergelesen hatte in diese feenlose Welt.

Er fand sie in Bastas Schlafzimmer. Nichts als ein Bett stand darin und eine Kommode, auf der, sorgsam aufgereiht, Ziegelsteine lagen, jeder von ihnen mit Ruß bedeckt. Es ging im Dorf das Gerücht, dass Basta sich von jedem Haus, das Capricorn anstecken ließ, einen Stein mitnahm, auch wenn er das Feuer inzwischen fürchtete. Offenbar war die Geschichte wahr. Auf einem der Steine stand ein Glaskrug, von dem ein mattes Leuchten ausging, kaum heller, als es ein Glühwürmchen hervorgebracht hätte. Die Fee lag auf dem Boden, zusammengerollt wie ein Schmetterling, der gerade erst aus dem Kokon geschlüpft war. Basta hatte einen Teller auf die Öffnung des Kruges gestellt, doch das zerbrechliche Ding sah nicht so aus, als hätte es noch die Kraft zu fliegen.

Als Staubfinger den Teller fortnahm, hob die Fee nicht einmal den Kopf. Staubfinger schob die Hand in das gläserne Gefängnis und hob das kleine Geschöpf behutsam heraus. Ihre Glieder waren so zart, dass er Angst hatte, seine Finger würden sie zerbrechen. Die Feen, die er kannte, hatten anders ausgesehen, kleiner, aber kräftiger gebaut, mit veilchenblauer Haut und vier schillernden Flügeln. Diese hatte dieselbe Hautfarbe wie ein Mensch, ein sehr blasser Mensch, und ihre Flügel glichen nicht denen einer Libelle, sondern eher denen eines Schmetterlings. Ob sie trotzdem dieselbe Lieblingsspeise hatte wie die Feen, die er kannte? Es war einen Versuch wert, sie sah schon jetzt halb tot aus.

Staubfinger holte das Kissen von Bastas Bett, legte es auf den blank geputzten Küchentisch (alles in Bastas Haus war blank geputzt, sauber wie sein immer blütenweißes Hemd) und bettete die Fee darauf. Dann füllte er eine Schale mit Milch und stellte sie neben dem Kissen auf den Tisch. Sie schlug sofort die Augen auf -was die feine Nase und die Vorliebe für Milch betraf, schien sie sich also nicht von den Feen zu unterscheiden, die er kannte. Er tauchte den Finger in die Milch und ließ einen weißen Tropfen auf ihre Lippen fallen. Sie leckte ihn ab wie eine hungrige kleine Katze. Einen nach dem anderen träufelte Staubfinger ihr in den Mund, bis sie sich aufsetzte und matt mit den Flügeln schlug. Ihr Gesicht hatte schon wieder etwas Farbe bekommen, doch von dem, was sie schließlich mit mattem Klingeln von sich gab, verstand er kein Wort, obwohl er drei Feensprachen beherrschte.

»Wie schade!«, flüsterte er, während sie die Flügel spreizte und noch etwas unsicher zur Decke hinauf flatterte. »So kann ich dich natürlich auch nicht fragen, ob du mich vielleicht unsichtbar machen kannst oder so klein, dass du mich zu Capricorns Festplatz tragen könntest.«

Die Fee blickte auf ihn herab, klingelte etwas für seine Ohren Unverständliches und ließ sich auf der Kante des Küchenschrankes nieder.

Staubfinger setzte sich auf den einzigen Stuhl, der an Bastas Küchentisch stand, und sah zu ihr hinauf. »Trotzdem«, sagte er. »Es tut gut, endlich wieder eine wie dich zu sehen. Wenn das Feuer in dieser Welt nun noch etwas mehr Humor hätte und ab und zu ein Kobold oder ein Glasmann den Kopf zwischen den Bäumen hervorstrecken würde - vielleicht könnte ich mich dann ja doch noch an den Rest gewöhnen, an den Lärm, die Hast, das Gedränge und daran, dass man den Menschen kaum je entkommt - und an die helleren Nächte ...«