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»Ich bin kein gewöhnlicher Gefangener, Gnädigste, das wollen wir doch wohl mal klarstellen!«, polterte er. »Ohne mich gäbe es das alles hier nicht, einschließlich Ihrer alles andere als erfreulichen Person!«

Die Elster streifte ihn mit einem letzten verächtlichen Blick und griff nach Meggies Arm, zum Glück nicht nach dem, unter dessen Ärmel Fenoglios kostbare Worte steckten. »Der Wächter wird dich holen, wenn es Zeit ist«, sagte sie, während sie Meggie zur Tür zog.

»Denk an das, was dein Vater dir gesagt hat!«, rief Fenoglio, als Meggie schon auf dem Flur stand. »Die Worte werden erst lebendig, wenn du sie auf der Zunge schmeckst.«

Die Elster gab Meggie einen Stoß in den Rücken. »Nun geh schon weiter!«, sagte sie und zog die Tür hinter ihnen zu.

Feuer

Da aber sprang Bagheera plötzlich auf. »Nein! Ich hab's! Lauf rasch hinunter ins Tal, zu den Hütten der Menschen, und nimm dir von der Roten Blume, die sie dort pflanzen. Dann hast du, wenn deine Stunde gekommen ist, einen mächtigeren Freund als mich oder Baloo oder sonst einen vom Rudel, der dich liebt. Hol dir die Rote Blume!«

Mit der Roten Blume meinte Bagheera das Feuer; nur nannte es keiner im Dschungel beim Namen, denn alle fürchteten es wie den Tod.

Rudyard Kipling, Das Dschungelbuch

Sie machten sich auf den Weg, als die Dämmerung sich über die Hügel legte. Gwin ließen sie beim Lager. Nach dem, was bei ihrem letzten nächtlichen Ausflug in Capricorns Dorf passiert war, sah auch Farid ein, dass es so besser war. Zauberzunge ließ ihn vorangehen. Er wusste nichts von seiner Angst vor Geistern und anderen Nachtgestalten, Farid hatte sie gut vor ihm zu verbergen gewusst, viel besser als vor Staubfinger. Zauberzunge verspottete ihn auch nicht für seine Angst vor der Dunkelheit, wie Staubfinger es getan hatte, und seltsamerweise machte das die Furcht kleiner, ließ sie schrumpfen, wie es sonst nur das Tageslicht bewirkte. Als Farid den steilen Hang hinunterstieg, vorsichtig, aber mit sicherem Schritt, hörte er die Geister in den Bäumen und Büschen wispern wie in jeder Nacht, doch sie kamen nicht näher, als hätten sie plötzlich Angst vor ihm, als könnte er ihnen befehlen, wie Staubfinger es mit dem Feuer tat.

Das Feuer. Sie hatten beschlossen, es direkt bei Capricorns Haus zu legen. So würde es die Hügel nicht so schnell erreichen, aber das bedrohen, was Capricorn am nächsten war: seine Schatzkammern.

Diesmal lag das Dorf nicht still und menschenleer da wie in den vergangenen Nächten. Es summte wie ein Wespennest. Auf dem Parkplatz patrouillierten gleich vier bewaffnete Posten, und um den Maschendrahtzaun, der das leere Fußballfeld umgab, war eine Reihe von Wagen geparkt. Ihre Scheinwerfer tauchten das Feld in grelles Licht. Der Asphalt sah aus wie ein helles Tuch, das jemand in der Dunkelheit ausgebreitet hatte.

»Also dort soll das Spektakel stattfinden«, flüsterte Zauberzunge, als sie sich den Häusern näherten. »Arme Meggie.«

In der Mitte des Platzes war so etwas wie ein Podest aufgebaut, und ihm gegenüber stand ein Käfig, vielleicht für das Ungeheuer, das Zauberzunges Tochter herbeilesen sollte, oder für die Gefangenen. Am linken Rand des Feldes, den Maschendrahtzaun und das Dorf im Rücken, standen lange Holzbänke, ein paar von den Schwarzjacken hockten schon darauf wie Raben, die ein helles, warmes Plätzchen für die Nacht gefunden hatten.

Für einen Moment dachten sie daran, sich über den Parkplatz ins Dorf zu schleichen. Unter all den Fremden würde sie so schnell niemand bemerken; doch dann entschieden sie sich für einen längeren, dunkleren Weg. Farid schlich wieder voran, jeden Baumstamm als Deckung nutzend, immer oberhalb der Häuser bleibend, bis unter ihnen der Teil des Dorfes lag, der unbewohnt war und aussah, als hätte ihn ein Riese zertreten. In dieser Nacht patrouillierten selbst dort mehr Wachen als sonst. Immer wieder mussten sie sich in den Schatten eines Toreingangs drücken, sich hinter eine Mauer ducken oder durch ein Fenster klettern und mit angehaltenem Atem darauf warten, dass der Posten vorbeiging. Zum Glück gab es viele dunkle Ecken in Capricorns Dorf, und die Posten schlenderten so gelangweilt durch die Gassen, wie es Männer tun, die sicher sind, dass ihnen keine Gefahr droht.

Farid hatte Staubfingers Rucksack dabei, mit allem, was man brauchte, um ein schnelles, heißes Feuer zu entfachen. Zauberzunge trug das Holz, das sie gesammelt hatten, für den Fall, dass die Flammen zwischen den Steinen nicht genug Nahrung fanden. Außerdem gab es da ja auch noch Capricorns Benzinvorräte. Farid hatte den Geruch noch in der Nase von der Nacht, in der sie ihn eingesperrt hatten. Die Fässer wurden selten bewacht, aber vielleicht würden sie sie auch gar nicht brauchen.

Es war eine windstille Nacht, die Flammen würden ruhig und stetig brennen. Farid erinnerte sich gut an Staubfingers Warnung: »Mach niemals Feuer, wenn es windig ist. Der Wind greift einmal hinein, und schon wird es dich vergessen, denn er wird hineinblasen und es anfachen, bis es dich anspringt und beißt und dir die Haut von den Knochen leckt.« Aber heute schlief der Wind, und die unbewegte Luft füllte die Gassen wie warmes Wasser einen Eimer.

Sie hatten gehofft, den Platz vor Capricorns Haus leer vorzufinden, doch als sie sich vorsichtig aus einer der gegenüberliegenden Gassen schoben, stand ein halbes Dutzend seiner Männer vor der Kirche.

»Was machen die noch hier?«, flüsterte Farid, während Zauberzunge ihn in den Schatten vor einer Tür zog. »Das Fest soll doch gleich losgehen.«

Zwei Mägde kamen aus Capricorns Haus, jede mit einem Stapel Teller. Sie trugen sie zur Kirche, offenbar sollte dort später die gelungene Hinrichtung gefeiert werden. Als die Mägde sich an den Männern vorbeidrängten, pfiffen sie ihnen nach. Eine der Frauen ließ fast das Geschirr fallen, als einer versuchte, ihr mit dem Flintenlauf den Rock hochzuschieben. Es war derselbe Mann, der Zauberzunge erkannt hatte, als sie sich in der letzten Nacht hergeschlichen hatten. Farid griff sich an die immer noch blutige Stirn und verwünschte ihn mit den schlimmsten Flüchen, die er kannte. Die Beulenpest wünschte er ihm an den Hals, die Krätze ... warum stand ausgerechnet er da? Doch selbst wenn sie an ihm vorbeikamen, ohne dass er sie noch einmal erkannte - wie sollten sie Feuer legen, solange die anderen noch dort herumlungerten?

»Ganz ruhig!«, flüsterte Zauberzunge ihm zu. »Sie werden schon verschwinden. Wir müssen jetzt erst mal herausfinden, ob Meggie auch wirklich aus dem Haus ist.«

Farid nickte und blickte zu dem großen Haus hinüber. Hinter zwei Fenstern brannte noch Licht, aber das musste nichts bedeuten. »Ich schleich zum Platz runter und seh nach, ob sie schon dort ist«, wisperte er Zauberzunge zu. Vielleicht hatten sie Staubfinger ja schon aus der Kirche geholt, vielleicht steckte er in dem Käfig, den sie aufgestellt hatten, und er konnte ihm zuflüstern, dass sie seinen besten Freund, das Feuer, hergebracht hatten, damit es ihn rettete.

Die Nacht füllte viele Winkel zwischen den Häusern mit ihrem Schatten, trotz der großen, hellen Lampen, und Farid wollte sich in ihrem Schutz gerade davonmachen, als die Tür von Capricorns Haus sich öffnete. Die Alte trat heraus, die Alte, die ein Gesicht wie ein Geier hatte. Sie zerrte Zauberzunges Tochter hinter sich her. Farid hätte sie fast nicht erkannt in dem langen weißen Kleid, das sie trug. Hinter den beiden schob sich der Mann aus der Tür, der hinter ihnen hergeschossen hatte, die Flinte in der Hand. Er sah sich um, dann zog er einen Schlüsselbund aus der Tasche, verschloss die Tür und winkte einen der Männer zu sich, die vor der Kirche standen. Offenbar befahl er ihm, das Haus zu bewachen. Eine Wache also, ein Mann würde bleiben, wenn die anderen zu dem Fest gingen.