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»Nimm mich mit!« Der Junge stellte sich ihm in den Weg. »Hier, ich habe deinen Rucksack.« Er hielt ihn hoch, als wolle er sich damit Staubfingers Gesellschaft erkaufen.

»Nein.« Staubfinger nahm ihm den Rucksack ab, hängte ihn sich über die Schulter und drehte ihm den Rücken zu.

»Doch!« Der Junge lief ihm nach. »Du musst mich mitnehmen. Was soll ich Zauberzunge sonst sagen, wenn er merkt, dass das Buch fort ist?«

»Sag ihm, du bist eingeschlafen.«

»Bitte!«

Staubfinger blieb stehen. »Was ist mit ihr?« Er wies auf Meggie. »Das Mädchen gefällt dir doch. Warum bleibst du nicht bei ihr?«

Der Junge wurde rot. Er starrte das Mädchen lange an, als wollte er sich ihren Anblick einprägen. Dann drehte er sich wieder zu Staubfinger um. »Ich gehör nicht zu ihnen.«

»Zu mir gehörst du auch nicht.« Staubfinger ließ ihn noch einmal stehen, aber als der Parkplatz schon viele Meter hinter ihm lag, war der Junge immer noch da. Er versuchte so leise zu gehen, dass Staubfinger ihn nicht hörte, und als er sich umdrehte, blieb er stehen wie ein ertappter Dieb.

»Was soll das? Ich werde sowieso nicht mehr lange hier sein!«, fuhr Staubfinger ihn an. »Jetzt, wo ich das Buch habe, werde ich mir jemanden suchen, der mich wieder hineinliest, und wenn es so ein Stotterer wie Darius ist, der mich mit einem Hinkebein oder eingedrücktem Gesicht heimschickt. Was fängst du dann an? Dann bist du allein.«

Der Junge zuckte die Schultern und blickte ihn an, mit seinen rußschwarzen Augen. »Feuer spucken kann ich schon ganz gut!«, sagte er. »Ich hab viel geübt, während du weg warst. Aber das Schlucken klappt noch nicht ganz so gut.«

»Das ist auch schwerer. Du machst es zu hastig. Tausendmal habe ich dir das schon gesagt.«

Sie fanden Gwin bei den Ruinen des verbrannten Hauses, schläfrig, mit Federn an der Schnauze. Er schien erfreut, Staubfinger zu sehen, er leckte ihm sogar die Hand, aber dann lief er dem Jungen hinterher. Sie gingen, bis es hell war, immer Richtung Süden, wo irgendwo das Meer lag. Dann machten sie Rast, mit Vorräten aus Bastas Küchenschrank: etwas Wurst, rot und scharf, ein Stück Käse, Brot und Olivenöl. Das Brot war schon etwas hart, sie tauchten es in das Öl, aßen, schweigend nebeneinander im Gras sitzend, und dann gingen sie weiter. Zwischen den Bäumen blühte blau und mattrosa wilder Salbei. In Staubfingers Tasche rührten sich die Feen - und der Junge ging hinter ihm wie ein zweiter Schatten.

Nach Hause

Und er segelte zurück,

fast ein ganzes Jahr

und viele Wochen lang

und noch einen Tag

bis in sein Zimmer, wo es Nacht war

und das Essen auf ihn wartete,

und es war noch warm.

Maurice Sendak, Wo die wilden Kerle wohnen

Als Mo am Morgen merkte, dass das Buch fort war, kam Meggie zuerst der Gedanke, Basta hätte es genommen, und ihr wurde schlecht vor Angst bei der Vorstellung, dass er um sie herumgeschlichen war, während sie schliefen. Doch Mo hatte einen anderen Verdacht.

»Farid ist auch fort, Meggie!«, sagte er. »Glaubst du, er wäre mit Basta gegangen?«

Nein, das glaubte sie nicht. Farid wäre nur mit einem gegangen. Meggie konnte sich gut vorstellen, wie Staubfinger aus der Dunkelheit aufgetaucht war, genau wie damals, in der Nacht, in der alles begonnen hatte.

»Aber Fenoglio!«, sagte sie.

Darauf seufzte Mo nur. »Ich weiß nicht, ob ich versucht hätte, ihn zurückzuholen, Meggie«, sagte er. »Es ist schon zu viel Unheil aus diesem Buch gekommen, und ich bin kein Schriftsteller, der sich die Worte schreiben kann, die er vorlesen will. Ich bin nur so etwas wie ein Arzt für Bücher. Ich kann ihnen neue Einbände geben, kann sie ein bisschen jünger machen, ihnen die Bücherwürmer austreiben und verhindern, dass sie mit den Jahren ihre Seiten verlieren wie ein Mann seine Haare. Aber ihre Geschichten weiterspinnen, neue, leere Seiten mit den richtigen Worten füllen, das kann ich nicht. Das ist ein anderes, ganz anderes Handwerk. Ein berühmter Schriftsteller hat mal geschrieben: Man kann einen Schriftsteller als dreierlei ansehen: als Geschichtenerzähler, als Lehrer oder als Magier ... aber das Übergewicht hat der Magier, der Zauberer. Ich habe schon immer geglaubt, dass er damit Recht hat.«

Meggie wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Sie wusste nur, dass sie Fenoglios Gesicht vermisste. »Und Tinker Bell?«, fragte sie. »Was ist mit ihr? Muss sie nun auch hier bleiben?« Als sie aufgewacht war, hatte die Fee neben ihr im Gras gelegen. Jetzt schwirrte sie mit den anderen Feen herum. Wie ein Schwarm Motten sahen sie aus, wenn man nicht allzu genau hinschaute. Meggie konnte sich beim besten Willen nicht erklären, wie sie Basta entkommen war. Hatte er sie nicht in einen Krug stecken wollen?

»Nun, soweit ich mich erinnere, hatte Peter Pan irgendwann sowieso vergessen, dass es sie überhaupt gibt«, sagte Mo. »Stimmt's?«

Ja, daran erinnerte Meggie sich auch.

»Trotzdem!«, murmelte sie. »Armer Fenoglio!«

Aber im selben Moment, in dem sie das sagte, schüttelte ihre Mutter energisch den Kopf. Mo suchte in seinen Taschen nach Papier, alles, was er fand, war die Rechnung einer Tankstelle und ein Filzstift. Teresa nahm ihm beides mit einem Lächeln aus der Hand. Dann schrieb sie, während Meggie neben ihr im Gras hockte: Er muss dir nicht Leid tun. Er ist in keiner schlechten Geschichte gelandet.

»Ist Capricorn noch dort? Bist du ihm je begegnet?«, fragte Meggie. Wie oft hatten Mo und sie sich das gefragt. Tintenherz erzählte schließlich immer noch von ihm. Aber vielleicht gab es tatsächlich etwas hinter der gedruckten Geschichte, eine ganze Welt, die sich veränderte, so wie diese es tat, mit jedem Tag.

Ich habe nur von ihm gehört, schrieb ihre Mutter. Man redete von ihm, als sei er verreist. Doch es gab andere, ebenso schlimm wie er. Es ist eine Welt voller Schrecken und Schönheit und - ihre Buchstaben wurden so klein, dass Meggie sie kaum entziffern konnte - ich konnte Staubfingers Heimweh immer gut verstehen.

Der letzte Satz beunruhigte Meggie, doch als sie ihre Mutter besorgt ansah, lachte die und griff nach ihrer Hand. Nach euch hatte ich mehr Heimweh, viel mehr, schrieb sie ihr auf die Handfläche, und Meggie schloss die Finger um die Wörter, als könnte sie sie auf die Art festhalten. Auf der langen Fahrt zu Elinors Haus las sie sie noch oft, und es dauerte viele Tage, bis sie verblassten.

Elinor hatte sich nicht damit abfinden können, dass sie sich noch einmal zu Fuß durch die dornigen, schlangenbewohnten Hügel kämpfen sollte. »Bin ich verrückt?«, schimpfte sie. »Die Füße tun mir schon weh, wenn ich nur daran denke.« Und so machten sie und Meggie sich noch einmal auf die Suche nach einem Telefon. Es war ein seltsames Gefühl, durch das nun wirklich verlassene Dorf zu gehen, vorbei an Capricorns rauchgeschwärztem Haus und dem halb verkohlten Portal der Kirche. Auf dem Platz davor stand das Wasser. Der blaue Himmel spiegelte sich darin und ließ es fast so aussehen, als habe sich der Platz über Nacht in einen See verwandelt. Die Schläuche, mit denen Capricorns Männer das Haus ihres Herrn gerettet hatten, wanden sich wie riesige Schlangen darin. Das Feuer hatte tatsächlich nur das untere Stockwerk verwüstet, doch Meggie traute sich trotzdem nicht hinein, und nachdem sie in mehr als einem Dutzend anderer Häuser vergeblich gesucht hatten, verschwand Elinor schließlich allein durch die verbrannte Tür. Meggie erklärte ihr, wo sie das Zimmer der Elster finden konnte, und Elinor nahm eine Flinte mit, für den Fall, dass die Alte zurückgekommen war, um wenigstens einige von ihren Schätzen und denen ihres räuberischen Sohnes zu retten. Aber die Elster war verschwunden, ebenso wie Basta, und Elinor kam mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen und einem Telefon zurück.