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Meggie kniff die Lippen zusammen. Seit ihrem fünften Geburtstag ging sie nicht mehr um acht ins Bett, aber sie gab sich nicht die Mühe, Elinor das zu erklären. Stattdessen bewunderte sie, wie gelassen Staubfinger auf Elinors feindselige Blicke reagierte.

»Tja, tagsüber würden die Kunststücke, die ich Meggie zeigen will, nicht die rechte Wirkung entfalten«, sagte er und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Dafür bedarf es leider des schwarzen Mantels der Nacht. Aber wie wäre es, wenn Sie auch zusehen? Dann werden Sie verstehen, weshalb das Ganze im Dunkeln stattfinden muss.«

»Nimm das Angebot an, Elinor!«, sagte Mo. »Seine Vorstellung wird dir gefallen. Vielleicht ist dir Feuer danach nicht mehr ganz so unheimlich.«

»Es ist mir nicht unheimlich. Ich mag es nur nicht!«, stellte Elinor mit unbewegtem Gesicht fest.

»Er kann auch jonglieren«, rutschte es Meggie heraus. »Mit acht Bällen.«

»Mit elf«, berichtigte Staubfinger sie. »Aber Jonglieren ist eher etwas für den Tag.«

Elinor zupfte eine Nudel von der Tischdecke und sah erst Meggie und dann Mo mit missmutigem Gesicht an. »Nun gut. Ich will keine Spielverderberin sein«, sagte sie. »Ich werde wie jeden Abend um halb zehn mit einem Buch im Bett liegen und vorher die Alarmanlage anstellen, aber wenn Meggie mir Bescheid sagt, bevor sie sich zu dieser Privatvorstellung begibt, schalte ich die Anlage für eine Stunde wieder aus. Reicht das?«

»Völlig«, sagte Staubfinger und verneigte sich so tief vor ihr, dass er sich die Nasenspitze am Rand seines Tellers stieß.

Meggie verkniff sich ein Lachen.

Es war fünf vor elf, als sie an die Tür von Elinors Schlafzimmer klopfte.

»Herein!«, hörte sie Elinor rufen, und als sie den Kopf durch die Tür steckte, sah sie sie in ihrem Bett sitzen, tief über einen telefonbuchdicken Katalog gebeugt. »Zu teuer, zu teuer, zu teuer!«, murmelte sie. »Merk dir meinen Rat: Lege dir nie eine Leidenschaft zu, für die dein Geld nicht reicht. Es zernagt einem das Herz wie ein Bücherwurm. Nimm dieses Buch hier zum Beispiel!« Elinor tippte mit dem Finger so heftig auf die linke Katalogseite, dass es Meggie nicht gewundert hätte, wenn sie ein Loch hineingebohrt hätte. »Was für eine Ausgabe, und in so gutem Zustand. Seit fünfzehn Jahren will ich sie kaufen, aber sie ist zu teuer, viel zu teuer.«

Mit einem Seufzer klappte Elinor den Katalog zu, warf ihn auf den Teppich und schwang die Beine aus dem Bett. Zu Meggies Überraschung trug sie ein langes geblümtes Nachthemd. Jünger sah sie darin aus, fast wie ein Mädchen, das eines Morgens mit Falten im Gesicht aufgewacht war. »Nun ja, wahrscheinlich wirst du sowieso nie so verrückt wie ich!«, brummte sie, während sie sich ein paar dicke Socken über die nackten Füße zerrte. »Dein Vater neigt nicht zu Verrücktheiten und deine Mutter hat es auch nie getan. Im Gegenteil, ich habe nie jemanden mit einem kühleren Kopf kennen gelernt. Mein Vater dagegen war mindestens so verrückt wie ich. Mehr als die Hälfte meiner Bücher habe ich von ihm geerbt, und was hat er nun davon? Haben sie ihn vor dem Tod bewahrt? Im Gegenteil. Der Schlag hat ihn getroffen, bei einer Bücherauktion. Ist das nicht lächerlich?«

Meggie wusste beim besten Willen nicht, was sie darauf sagen sollte. »Meine Mutter?«, fragte sie stattdessen. »Haben Sie sie gut gekannt?«

Elinor schnaubte, als hätte sie ihr eine unzumutbare Frage gestellt. »Selbstverständlich habe ich das. Dein Vater hat sie hier kennen gelernt. Hat er dir das nie erzählt?«

Meggie schüttelte den Kopf. »Er redet nicht viel von ihr.«

»Nun, das ist vermutlich auch besser so. Warum in alten Wunden bohren? Und du erinnerst dich ja eh nicht an sie. Das Zeichen auf der Bibliothekstür, das hat sie gemalt. Aber jetzt komm. Sonst verpasst du noch deine Vorstellung.«

Meggie folgte Elinor den unbeleuchteten Flur hinunter. Für einen Augenblick hatte sie das verrückte Gefühl, ihre Mutter könnte aus einer der vielen Türen treten und sie anlächeln. Es brannte kaum ein Licht in dem ganzen riesigen Haus, und Meggie stieß sich ein paar Mal das Knie an einem Stuhl oder einem Tischchen, das sie in der Dunkelheit nicht gesehen hatte. »Warum ist es hier überall so dunkel?«, fragte sie, als Elinor in der Eingangshalle nach dem Lichtschalter tastete.

»Weil ich mein Geld lieber für Bücher statt für überflüssigen Strom ausgebe!«, antwortete Elinor und blinzelte so ärgerlich zu der aufflammenden Lampe hinauf, als wäre sie der Ansicht, das dumme Ding könne ruhig etwas sparsamer mit dem Strom umgehen. Dann schlurfte sie zu einem Metallkasten, der verborgen hinter einem dicken, staubigen Vorhang an der Wand neben der Eingangstür hing. »Ich hoffe, du hast dein Licht ausgemacht, bevor du zu mir kamst?«, fragte sie, während sie den Kasten aufschloss.

»Sicher«, sagte Meggie, auch wenn es nicht stimmte.

»Dreh dich um!«, befahl Elinor, bevor sie sich mit gerunzelter Stirn an der Alarmanlage zu schaffen machte. »Himmel, all diese Knöpfe, ich hoffe, ich habe nicht wieder irgendetwas falsch gemacht. Sag Bescheid, sobald die Vorstellung vorbei ist. Und komm nicht auf die Idee, die Gelegenheit zu nutzen, um in die Bibliothek zu schleichen und dir ein Buch zu holen. Denk dran, ich bin gleich nebenan, und meine Ohren sind besser als die einer Fledermaus.«

Meggie verkniff sich die Antwort, die sie auf den Lippen hatte. Elinor öffnete ihr die Eingangstür. Ohne ein Wort schob Meggie sich an ihr vorbei nach draußen. Es war eine milde Nacht, erfüllt von fremden Düften und Grillenstimmen. »Warst du zu meiner Mutter eigentlich auch immer so freundlich?«, fragte sie, als Elinor gerade die Tür hinter ihr schließen wollte.

Elinor sah sie einen Moment lang wie versteinert an. »Ich denke schon«, sagte sie. »Doch, bestimmt. Und sie war immer genauso frech wie du. Viel Spaß mit dem Streichholzfresser!« Dann schlug sie die Tür zu.

Als Meggie durch den dunklen Garten hinters Haus lief, hörte sie plötzlich Musik. Ganz unvermittelt erfüllte sie die Nacht, als hätte sie nur auf Meggies Schritte gewartet: fremdartig klingende Musik, ein närrisches Durcheinander von Schellen, Pfeifen und Trommeln, ausgelassen und traurig zugleich. Meggie hätte es nicht gewundert, wenn auf dem Rasen hinter Elinors Haus eine ganze Schar von Gauklern auf sie gewartet hätte, aber es war nur Staubfinger da.

Er wartete an derselben Stelle, an der Meggie ihn am Nachmittag gefunden hatte. Die Musik kam aus einem Kassettenrecorder, der neben dem Liegestuhl im Gras stand. Für seine Zuschauerin hatte Staubfinger eine Gartenbank an den Rand des Rasens gestellt. Links und rechts von ihr steckten brennende Fackeln in der Erde. Auch auf dem Rasen brannten zwei, sie zeichneten zitternde Schatten in die Nacht, die über das Gras tanzten wie Diener, die Staubfinger sich aus einer dunklen Welt für diesen Anlass hergerufen hatte.

Er selbst stand mit nacktem Oberkörper da, die Haut blass wie der Mond, der genau über Elinors Haus hing, als wäre auch er eigens für Staubfingers Vorstellung vorbeigekommen.

Als Meggie aus der Dunkelheit auftauchte, verbeugte Staubfinger sich vor ihr. »Bitte Platz zu nehmen, schönes Fräulein!«, rief er in die Musik hinein. »Alles hat nur auf dich gewartet.«

Meggie setzte sich verlegen auf die Bank und sah sich um. Auf dem Liegestuhl standen die zwei Flaschen aus dunklem Glas, die sie in Staubfingers Tasche gesehen hatte. In der linken schimmerte es weißlich, als hätte Staubfinger sich etwas Mondlicht abgefüllt. Zwischen den Holzsprossen des Stuhls steckte ein Dutzend Fackeln mit watteweißen Köpfen, und neben dem Kassettenrecorder standen ein Eimer und eine große, bauchige Vase, die, wenn Meggie sich recht erinnerte, aus Elinors Eingangshalle stammte.

Für einen kurzen Moment ließ sie den Blick hinauf zu den Fenstern des Hauses wandern. In Mos Zimmer brannte kein Licht, wahrscheinlich arbeitete er noch, doch ein Stockwerk tiefer sah Meggie Elinor hinter ihrem erleuchteten Fenster stehen. Sobald Meggie in ihre Richtung sah, zog sie den Vorhang zu, als hätte sie ihren Blick bemerkt, aber ihr Schatten zeichnete sich weiter dunkel auf dem blassgelben Vorhang ab.