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Meggie stürzte zur Tür, schloss schluchzend auf, lief über den Flur in die Bibliothek.

Sie war leer. Kein Mo.

Die Bücher standen wohl geordnet auf ihren Regalen, nur an einer Stelle klaffte eine Lücke, breit und dunkel. Meggie glaubte zwischen den Büchern, gut verborgen, eine Klappe zu sehen, die offen stand.

»Unglaublich!«, hörte sie Elinor hinter sich sagen. »Sie haben tatsächlich nur das eine Buch gesucht.« Meggie stieß sie zur Seite und rannte den Flur hinunter.

»Meggie!«, rief Elinor ihr hinterher. »Warte!«

Aber worauf sollte sie warten? Darauf, dass die Fremden mit ihrem Vater fortfuhren? Sie hörte, wie Elinor ihr nachrannte. Ihre Arme waren vielleicht stärker, aber Meggies Beine waren schneller.

In der Eingangshalle brannte immer noch kein Licht. Die Haustür stand sperrangelweit offen und ein kühler Wind wehte Meggie entgegen, als sie atemlos in die Nacht hinausstolperte.

»Mo!«, schrie sie.

Sie glaubte Autolichter aufflammen zu sehen, hinten, wo der Weg sich zwischen den Bäumen verlor, ein Motor sprang an. Meggie rannte darauf zu. Sie stolperte auf dem taufeuchten Kies und schlug sich das Knie auf. Warm lief ihr das Blut am Schienbein hinunter, aber sie achtete nicht darauf. Sie lief weiter, hinkend und schluchzend, bis sie unten vor dem großen Eisentor stand.

Aber die Straße dahinter war leer.

Und Mo war fort.

Was die Nacht verbirgt

Tausend Feinde außerhalb des Hauses sind besser als einer drinnen.

Arabisches Sprichwort

Staubfinger verbarg sich hinter dem Stamm einer Kastanie, als Meggie an ihm vorbeirannte. Er sah, wie sie am Tor stehen blieb und die Straße hinunterstarrte. Er hörte, wie sie mit dünner Stimme den Namen ihres Vaters rief. Ihre Rufe verloren sich in der Dunkelheit, kaum lauter als das Zirpen einer Grille in der großen, schwarzen Nacht. Und dann wurde es plötzlich ganz still und Staubfinger sah, wie Meggies schmale Gestalt dastand, als würde sie sich nie wieder regen. Alle Kraft schien sie verlassen zu haben, als könnte der nächste Windstoß sie fortwehen.

So lange stand sie da, dass Staubfinger irgendwann die Augen schloss, um sie nicht mehr sehen zu müssen. Aber nun hörte er sie weinen und sein Gesicht wurde heiß vor Scham, als würde der Wind ihn mit dem Feuer verbrennen, mit dem er eben noch gespielt hatte. Ohne einen Laut stand er da, den Rücken gegen den Baumstamm gepresst, und wartete darauf, dass Meggie zum Haus zurückgehen würde. Aber sie rührte sich immer noch nicht.

Endlich, als seine Beine schon ganz taub waren, drehte sie sich um, wie eine Marionette, der man ein paar Fäden durchtrennt hat, und ging zum Haus zurück. Sie weinte nicht mehr, als sie an Staubfinger vorbeikam, sie fuhr sich nur mit der Hand über die Augen, um die Tränen fortzuwischen, und einen schrecklichen

Moment lang verspürte er den Drang, zu ihr zu laufen, sie zu trösten und ihr zu erklären, warum er Capricorn alles gesagt hatte. Aber da war Meggie auch schon an ihm vorbei. Sie beschleunigte ihre Schritte, als käme ihre Kraft zurück. Immer schneller lief sie, bis sie zwischen den pechschwarzen Bäumen verschwunden war.

Und Staubfinger kam hinter dem Baum hervor, warf sich den Rucksack auf den Rücken, nahm die zwei Taschen mit seinen Habseligkeiten auf und schritt hastig auf das immer noch offen stehende Tor zu.

Die Nacht verschluckte ihn wie einen räuberischen Fuchs.

Allein

»Mein Schätzelchen«, sagte meine Großmutter schließlich. »Bist du auch ganz bestimmt nicht traurig, dass du für den Rest deines Lebens eine Maus bleiben musst?«

»Das ist mir ganz egal«, antwortete ich. »Es spielt gar keine Rolle, wer man ist oder wie man aussieht, solange einen nur jemand liebt.«

Roald Dahl, Hexen hexen

Elinor stand in der hell erleuchteten Haustür, als Meggie zurückkam. Sie hatte sich einen Mantel über das Nachthemd gezogen. Die Nacht war warm, aber vom See wehte jetzt ein kalter Wind herauf. Wie verzweifelt das Mädchen aussah - so verloren. Elinor erinnerte sich an das Gefühl. Es gab kein schlimmeres.

»Sie haben ihn mitgenommen!« Meggies Stimme erstickte fast an ihrer hilflosen Wut. Feindselig starrte sie sie an. »Warum hast du mich festgehalten? Wir hätten ihm helfen können!« Sie hatte die Fäuste geballt, als würde sie am liebsten nach ihr schlagen.

Elinor erinnerte sich auch an dieses Gefühl. Manchmal wollte man nach der ganzen Welt schlagen, aber es nützte nichts, überhaupt nichts. Der Kummer blieb. »Red nicht so einen Unsinn!«, sagte sie barsch. »Wie hätten wir das anstellen sollen? Sie hätten dich auch mitgenommen. Hätte das deinem Vater gefallen? Hätte ihm das irgendetwas genützt? Nein. Also steh nicht länger da herum, sondern komm ins Haus.«

Doch das Mädchen rührte sich nicht. »Sie bringen ihn zu Capri-corn!«, flüsterte sie, so leise, dass Elinor sie kaum verstehen konnte.

»Zu wem?«

Meggie schüttelte nur den Kopf und fuhr sich mit dem Ärmel über das nass geweinte Gesicht.

»Die Polizei wird gleich hier sein«, sagte Elinor. »Ich habe sie mit dem Handy deines Vaters angerufen. Ich wollte mir nie so ein Ding anschaffen, aber jetzt werde ich es, denke ich, doch tun. Sie haben mir einfach das Kabel gekappt.«

Meggie hatte sich immer noch nicht gerührt. Sie zitterte. »Sie sind sowieso längst weg!«, sagte sie.

»Du meine Güte, es wird ihm schon nichts passieren!« Elinor zog den Mantel enger um sich. Der Wind wurde stärker. Es würde Regen geben, ganz bestimmt.

»Woher willst du das denn wissen?« Meggies Stimme bebte vor Wut.

Himmel, wenn Blicke töten könnten, dachte Elinor, dann wäre ich jetzt mausetot. »Weil er sogar freiwillig mit ihnen mitgehen wollte!«, antwortete sie ärgerlich. »Du hast es doch auch gehört, oder etwa nicht?«

Das Mädchen senkte den Kopf. Natürlich hatte sie es gehört. »Stimmt!«, flüsterte sie. »Er hat sich mehr Sorgen um das Buch gemacht als um mich.«

Darauf wusste Elinor nichts zu sagen. Ihr Vater war immer der festen Überzeugung gewesen, dass man sich um Bücher mehr kümmern musste als um Kinder. Und als er plötzlich tot war, hatten sie und ihre beiden Schwestern noch jahrelang das Gefühl gehabt, dass er nur wie üblich in der Bibliothek saß und seine Bücher abstaubte. Aber Meggies Vater war anders.

»Unsinn, natürlich hat er sich Sorgen um dich gemacht!«, sagte sie. »Ich kenne keinen Vater, der auch nur halb so vernarrt in seine Tochter ist wie deiner. Du wirst sehen, er wird bald zurück sein. Und nun komm endlich rein!« Sie streckte Meggie die Hand hin. »Ich mach dir eine heiße Milch mit Honig. Macht man nicht so etwas für Kinder, die kreuzunglücklich sind?«

Aber Meggie beachtete die Hand nicht mal. Sie drehte sich plötzlich um und lief los. Als wäre ihr etwas eingefallen.

»He, warte!« Elinor schob schimpfend die Füße in ihre Gartenschuhe und stolperte hinterher. Das dumme Ding lief hinters Haus, dorthin, wo der Feuerfresser ihr seine Vorstellung gegeben hatte. Aber natürlich war der Rasen leer. Nur die abgeb rannten Fackeln steckten noch in der Erde.

»Tja, der Herr Streichholzverschlucker scheint auch fort zu sein«, sagte Elinor. »Im Haus ist er jedenfalls nicht.«

»Vielleicht ist er ihnen gefolgt!« Das Mädchen ging zu einer der abgebrannten Fackeln und strich über den verkohlten Kopf. »Genau! Er hat gesehen, was passiert ist, und ist ihnen gefolgt!« Hoffnungsvoll sah sie Elinor an.