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»Schaurige Geschichten«, antwortete Staubfinger. »Die Leute hier sind abergläubisch, wie überall. Die beliebteste Geschichte ist die, dass der Teufel persönlich hinter dem Hügel dort wohnt.«

Meggie ärgerte sich über sich selbst, aber sie konnte den Blick nicht von der dunklen Hügelkuppe wenden. »Mo sagt, den Teufel haben die Menschen erfunden«, sagte sie.

»Nun, das mag sein.« Staubfinger klebte wieder das rätselhafte Lächeln auf dem Mund. »Aber du wolltest hören, was man sich erzählt. Man sagt, dass die Männer, die in dem Dorf hausen, keine Kugel töten kann, dass sie durch Wände gehen können und sich in jeder Neumondnacht drei Jungen holen, die Capricorn das Stehlen, das Brandschatzen und das Morden lehrt.«

»Himmel, wer hat sich das alles ausgedacht? Die Leute hier oder dieser Capricorn selbst?« Elinor beugte sich tief über das Steuer. Die Straße war voller Schlaglöcher und sie musste im Schritttempo fahren, um nicht stecken zu bleiben.

»Beides.« Staubfinger lehnte sich zurück und ließ Gwin an seinen Fingern knabbern. »Capricorn belohnt jeden, der sich eine neue Geschichte einfallen lässt. Der Einzige, der bei diesem Spiel nie mitmacht, ist Basta, denn er ist selbst so abergläubisch, dass er jeder schwarzen Katze aus dem Weg geht.«

Basta. An den Namen erinnerte Meggie sich, doch bevor sie nachfragen konnte, sprach Staubfinger schon weiter. Das Erzählen schien ihm Spaß zu machen.

»Ach ja! Fast hätte ich es vergessen! Natürlich haben alle, die in dem verfluchten Dorf wohnen, den bösen Blick, selbst die Frauen.«

»Den bösen Blick?« Meggie sah ihn an.

»O ja. Ein Blick und du wirst sterbenskrank. Und spätestens nach drei Tagen bist du mausetot.«

»Wer glaubt denn so was?«, murmelte Meggie und sah wieder nach vorn.

»Dummköpfe glauben so was.« Elinor trat wieder auf die Bremse. Der Wagen schlitterte über den Schotter. Vor ihnen lag die Brücke, von der Staubfinger gesprochen hatte. Die grauen Steine leuchteten bleich im Scheinwerferlicht, und der Abgrund darunter schien bodenlos.

»Weiter, weiter!«, sagte Staubfinger ungeduldig. »Sie hält, auch wenn sie nicht so aussieht!«

»Sie sieht aus, als hätten die alten Römer sie gebaut«, brummte Elinor. »Und zwar für Esel, nicht für Autos.«

Aber weiter fuhr sie trotzdem. Meggie kniff die Augen zu und öffnete sie erst wieder, als sie erneut den Straßenschotter unter den Reifen knirschen hörte.

»Capricorn schätzt diese Brücke sehr«, sagte Staubfinger leise. »Ein einziger gut bewaffneter Mann reicht aus, sie unpassierbar zu machen. Aber zum Glück steht nicht jede Nacht ein Posten hier.«

»Staubfinger ...« Meggie drehte sich zögernd zu ihm um, während Elinors Wagen sich den letzten Hügel hinaufquälte. »Was sollen wir erzählen, wenn man uns fragt, wie wir das Dorf gefunden haben? Es ist doch bestimmt nicht gut, wenn Capricorn erfährt, dass du es uns gezeigt hast, oder?«

»Nein, da hast du Recht«, murmelte Staubfinger, ohne Meggie anzusehen. »Obwohl wir ihm schließlich das Buch bringen.« Er fing Gwin ein, der auf der Lehne der Rückbank herumkletterte, packte ihn so, dass er nicht nach ihm schnappen konnte, und lockte ihn mit einem Stück Brot in den Rucksack. Der Marder war unruhig geworden, seit es draußen dunkel war. Er wollte auf die Jagd gehen.

Sie hatten den Kamm des Hügels erreicht. Um sie herum war die Welt verschwunden, verschluckt von der Nacht, aber nicht weit entfernt zeichneten sich ein paar bleiche Vierecke in der Dunkelheit ab. Erleuchtete Fenster.

»Da ist es«, sagte Staubfinger, »Capricorns Dorf. Oder, wenn euch das besser gefällt: das Dorf des Teufels.« Er lachte leise.

Elinor drehte sich ärgerlich zu ihm um. »Nun hören Sie schon auf!«, fuhr sie ihn an. »Diese Geschichten scheinen Ihnen ja wirklich sehr zu gefallen. Wer weiß, vielleicht haben Sie selbst sie erfunden und dieser Capricorn ist nichts als ein etwas wunderlicher Büchersammler.«

Darauf sagte Staubfinger nichts. Er sah nur aus dem Fenster, mit seinem seltsamen Lächeln, das Meggie ihm manchmal zu gern von den Lippen gewischt hätte. Auch diesmal schien es nur eins zu sagen: Was seid ihr doch dumm!

Elinor hatte den Motor abgestellt, und die Stille, die sie daraufhin umgab, war so vollkommen, dass Meggie kaum zu atmen wagte. Sie blickte hinab zu den erleuchteten Fenstern. Sonst fand sie helle Fenster in der Nacht stets einladend, aber diese schienen bedrohlicher als die Dunkelheit ringsum.

»Hat dieses Dorf auch irgendwelche normalen Einwohner?«, fragte Elinor. »Harmlose Großmütter, Kinder, Männer, die nichts mit Capricorn zu tun haben ...«

»Nein. Nur Capricorn und seine Männer wohnen dort«, raunte Staubfinger, »und die Frauen, die für sie kochen, putzen und was sonst noch so anfällt.«

»Was sonst noch so anfällt ... Na, wunderbar!« Elinor schnaubte vor Abscheu. »Dieser Capricorn wird mir immer sympathischer. Nun gut, bringen wir die Sache hinter uns. Ich will wieder nach Hause, zu meinen Büchern, zu einer anständigen Beleuchtung und einer Tasse Kaffee.«

»Tatsächlich? Ich dachte, Sie sehnen sich nach ein bisschen Abenteuer?« Wenn Gwin sprechen könnte, dachte Meggie, dann hätte er Staubfingers Stimme.

»Es ist mir lieber, wenn dabei die Sonne scheint«, entgegnete Elinor ihm barsch. »Herrgott, wie ich diese Dunkelheit hasse, aber wenn wir hier noch bis zum Morgengrauen herumsitzen, sind meine Bücher verschimmelt, bevor Mortimer sich um sie kümmern kann. Meggie, geh nach hinten und hole die Tüte. Du weißt schon.«

Meggie nickte und wollte gerade ihre Tür öffnen, als grelles Licht sie blendete. Jemand stand vor der Fahrertür, das Gesicht war nicht zu erkennen, und leuchtete mit einer Taschenlampe in den Wagen. Dann klopfte er unsanft damit gegen die Scheibe.

Elinor fuhr so erschrocken zusammen, dass sie sich das Knie am Lenkrad stieß, doch sie hatte sich schnell wieder gefasst. Fluchend rieb sie sich das schmerzende Bein und öffnete ihr Fenster.

»Was soll das?«, fuhr sie den Fremden an. »Müssen Sie uns zu Tode erschrecken? Man kann leicht überfahren werden, wenn man so in der Dunkelheit herumschleicht.«

Als Antwort schob der Fremde den Lauf einer Flinte durch das offene Fenster. »Das hier ist Privatbesitz!«, sagte er. Meggie glaubte die Katzenstimme aus Elinors Bibliothek zu erkennen. »Und man kann sehr leicht erschossen werden, wenn man nachts auf Privatbesitz herumfährt.«

»Ich klär das!« Staubfinger beugte sich über Elinors Schulter.

»Ach, sieh einer an. Staubfinger!« Der Fremde zog den Flintenlauf zurück. »Musst du mitten in der Nacht hier aufkreuzen?«

Elinor drehte sich um und warf Staubfinger einen mehr als misstrauischen Blick zu. »Ich wusste gar nicht, dass Sie mit diesen angeblichen Teufeln auf so vertrautem Fuß stehen!«, stellte sie fest.

Aber Staubfinger war schon ausgestiegen. Auch Meggie fand es seltsam, wie vertraulich die beiden Männer die Köpfe zusammensteckten. Sie erinnerte sich noch sehr genau an das, was Staubfinger ihr über Capricorns Männer gesagt hatte. Wie konnte er so mit einem von ihnen sprechen? Von dem, was die beiden redeten, war kein Wort zu verstehen, so sehr Meggie auch die Ohren spitzte, nur eins hörte sie heraus: Staubfinger nannte den Fremden Basta.

»Das gefällt mir nicht!«, flüsterte Elinor. »Sieh dir die beiden an. Die zwei reden miteinander, als ginge unser streichholzfressender Freund hier ein und aus!«

»Wahrscheinlich weiß er, dass sie ihm nichts tun werden, weil wir das Buch bringen!«, wisperte Meggie, während sie die beiden Männer nicht aus den Augen ließ. Der Fremde hatte zwei Hunde dabei, Schäferhunde. Sie beschnupperten Staubfingers Hände und stießen ihm schwanzwedelnd die Schnauzen in die Seite.

»Siehst du das?«, zischte Elinor. »Sogar die verdammten Hunde behandeln ihn wie einen alten Freund. Was, wenn ...«

Bevor sie weitersprechen konnte, öffnete Basta die Fahrertür. »Raus mit euch«, befahl er.