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Elinor schwang widerstrebend die Beine aus dem Auto. Meggie stieg auch aus und stellte sich neben sie. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie hatte noch nie einen Mann mit einem Gewehr gesehen. Im Fernsehen, ja, aber doch nicht in Wirklichkeit.

»Hören Sie mal, mir gefällt Ihr Ton nicht!«, fuhr Elinor Basta an. »Wir haben eine unerfreuliche Autofahrt hinter uns und sind nur in diese Einöde gekommen, um Ihrem Chef oder Boss oder wie sonst Sie ihn nennen, etwas zu bringen, das er schon lange haben will. Also benehmen Sie sich gefälligst.«

Basta warf ihr einen so abfälligen Blick zu, dass Elinor scharf Luft holte und Meggie unwillkürlich ihre Hand drückte.

»Wo hast du die denn her?«, fragte Basta und drehte sich wieder zu Staubfinger um, der mit so unbeteiligter Miene dastand, als ginge ihn das alles nicht das Geringste an.

»Ihr gehört das Haus, du weißt schon ...« Staubfinger sprach mit gesenkter Stimme, doch Meggie konnte ihn trotzdem verstehen. »Ich wollte sie nicht mitbringen, aber sie ist stur.«

»Das kann ich mir vorstellen!« Basta musterte Elinor noch einmal, dann sah er Meggie an. »Und das da ist dann wohl Zauberzunges Töchterchen, was? Sehr ähnlich sieht sie ihm nicht.«

»Wo ist mein Vater?«, fragte Meggie. »Wie geht es ihm?« Es waren die ersten Worte, die sie über die Lippen brachte. Ihre Stimme klang heiser, als hätte sie sie lange nicht benutzt.

»Oh, es geht ihm gut«, antwortete Basta mit einem Blick zu Staubfinger. »Obwohl man ihn zurzeit wohl eher Bleizunge nennen müsste, so wenig, wie er spricht.«

Meggie biss sich auf die Lippen. »Wir wollen ihn abholen«, sagte sie. Ihre Stimme klang hoch und dünn, obwohl sie sich alle Mühe gab, erwachsen zu klingen. »Wir haben das Buch, aber Capricorn bekommt es nur, wenn er meinen Vater freilässt.«

Basta drehte sich wieder zu Staubfinger um. »Irgendwie erinnert sie mich doch an ihren Vater. Siehst du, wie sie die Lippen aufeinander presst? Und dann der Blick. Doch, die Verwandtschaft ist eindeutig.« Seine Stimme klang spaßhaft, als er sprach, aber sein Gesicht war es nicht, als er Meggie wieder ansah. Es war ein schmales Gesicht, scharf geschnitten, mit eng zusammenstehenden Augen, die er etwas zusammenkniff, als könnte er so besser sehen.

Basta war kein großer Mann, seine Schultern waren fast so schmal wie die eines Jungen, und doch hielt Meggie den Atem an, als er einen Schritt auf sie zu machte. Sie hatte noch nie vor einem Menschen so viel Angst gehabt, und das lag nicht an der Flinte in seiner Hand. Da war etwas an ihm, etwas Zorniges, Bissiges ...

»Meggie, hol die Tüte aus dem Kofferraum.« Elinor schob sich dazwischen, als Basta Meggie festhalten wollte. »Sie hat nichts Gefährliches dadrin!«, sagte sie ärgerlich. »Nur das, weshalb wir hier sind.«

Basta zog zur Antwort nur die Hunde aus dem Weg. Sie jaulten auf, so grob zerrte er sie an seine Seite.

»Meggie, hör mir zu!«, flüsterte Elinor, als sie das Auto stehen ließen und Basta einen steilen Pfad hinunter folgten, der auf die erleuchteten Fenster zuführte. »Gib das Buch erst aus der Hand, wenn sie uns deinen Vater zeigen, verstanden?«

Meggie nickte und drückte die Plastiktüte fest gegen die Brust. Für wie dumm hielt Elinor sie? Andererseits, wie sollte sie das Buch festhalten, wenn Basta versuchen würde, es ihr abzunehmen? Aber diesen Gedanken dachte sie vorsorglich nicht zu Ende ...

Es war eine schwüle Nacht. Der Himmel über den schwarzen Hügeln war gesprenkelt von Sternen. Der Pfad, den Basta sie hinunterführte, war steinig und so dunkel, dass Meggie kaum ihre Füße sehen konnte, aber jedes Mal, wenn sie stolperte, war eine Hand da, um sie aufzufangen, Elinors, die dicht neben ihr ging, oder die von Staubfinger, der ihr mit so leisen Schritten folgte, als wäre er ihr Schatten. Gwin steckte noch in seinem Rucksack, und Bastas Hunde hoben immer wieder witternd die Schnauzen, als zöge ihnen der scharfe Geruch des Marders in die Nase.

Langsam kamen die erleuchteten Fenster näher. Meggie erkannte Häuser, alte Häuser aus grauem, grob behauenem Stein, über deren Dächer sich bleich ein Kirchturm erhob. Viele der Häuser sahen unbewohnt aus, als sie an ihnen vorbeigingen, durch Gassen, die so eng waren, dass Meggie das Atmen schwer fiel. Einigen Häusern fehlte das Dach, andere waren kaum mehr als ein paar halb eingestürzte Mauern. Es war dunkel in Capricorns Dorf, nur wenige Laternen brannten, sie hingen an gemauerten Bögen über den Gassen. Schließlich kamen sie auf einen engen Platz. Auf der einen Seite erhob sich der Kirchturm, den sie schon von ferne gesehen hatten, und nicht weit entfernt davon, nur durch eine schmale Gasse getrennt, lag ein großes, zweistöckiges Haus, das nichts Baufälliges an sich hatte. Der Platz war heller erleuchtet als der Rest des Dorfes, gleich vier Laternen malten bedrohliche Schatten auf sein Pflaster.

Basta führte sie direkt auf das große Haus zu. Hinter drei Fenstern im obersten Stock brannte Licht. Ob Mo dort war? Meggie horchte in sich hinein, als könnte sie dort die Antwort finden, aber Angst war das Einzige, wovon ihr Herzschlag erzählte. Angst und Sorge.

Der erfüllte Auftrag

»Es hat keinen Zweck, ihn zu suchen«, knurrte der Biber.

»Was soll das heißen?«, fragte Suse. »Er kann doch nicht weit sein! Wir müssen ihn finden! Warum behaupten Sie, dass es keinen Zweck hat, ihn zu suchen?« »Weil es ganz klar ist, wo er ist«, antwortete der Biber. »Begreift ihr denn nicht? Er ist zu ihr gegangen, zur Weißen Hexe. Und er hat uns verraten!«

C. S. Lewis, Der König von Narnia

Meggie hatte sich Capricorns Gesicht hundertmal ausgemalt, von dem Moment an, in dem Staubfinger ihr von ihm erzählt hatte: auf der Fahrt zu Elinors Haus, als Mo noch neben ihr saß, in dem riesigen Bett, und schließlich auf der Fahrt hierher; hundertmal, ach was, tausendmal hatte sie versucht, es sich vorzustellen, und sich dabei alle Bösewichter zu Hilfe gerufen, die ihr in ihren Büchern begegnet waren: Hook, krummnasig und hager, Long John Silver, immer mit einem falschen Lächeln auf den Lippen, Indianer-Joe mit seinem Messer und dem fettigen schwarzen Haar, dem sie in so vielen bösen Träumen begegnet war ...

Doch Capricorn sah ganz anders aus.

Meggie gab es schnell auf, die Türen zu zählen, an denen sie vorbeikamen, bevor Basta endlich vor einer stehen blieb. Aber sie zählte die schwarz gekleideten Männer. Vier waren es, mit gelangweilten Gesichtern standen sie auf den Fluren herum. Neben jedem lehnte eine Flinte an der weiß verputzten Wand. Sie sahen aus wie Saatkrähen in ihren engen schwarzen Anzügen. Nur Basta trug ein weißes Hemd, blütenweiß, wie Staubfinger gesagt hatte, und am Kragen seiner Jacke steckte eine rote Blüte, wie eine Warnung.

Capricorns Morgenmantel war ebenso rot. Er saß in einem Sessel, als Basta mit den drei nächtlichen Besuchern eintrat, und vor ihm kniete eine Frau und schnitt ihm die Fußnägel. Der Sessel schien zu klein für ihn, Capricorn war ein großer Mann, hager, als hätte man ihm die Haut zu straff über die Knochen gezogen. Seine Haut war blass wie unbeschriebenes Papier, das Haar auf seinem Kopf bürstenkurz. Meggie hätte nicht sagen können, ob es grau oder weißblond war.

Er hob den Kopf, als Basta die Tür öffnete. Seine Augen waren fast ebenso blass wie der Rest von ihm, farblos und hell wie Silbermünzen. Auch die Frau zu seinen Füßen sah kurz auf, als sie hereinkamen, doch dann beugte sie sich wieder über ihre Arbeit.

»Entschuldigt, aber der erwartete Besuch ist da«, sagte Basta. »Ich dachte, Ihr wolltet vielleicht gleich mit ihnen reden.«

Capricorn lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und warf Staubfinger einen kurzen Blick zu. Dann wanderten seine ausdruckslosen Augen zu Meggie. Unwillkürlich drückte sie die Plastiktüte mit dem Buch noch fester gegen die Brust. Capricorn starrte die Tüte an, als wüsste er, was sich darin verbarg. Er gab der Frau zu seinen Füßen ein Zeichen. Unwillig richtete sie sich auf, strich ihr kohlschwarzes Kleid glatt und warf Elinor und Meggie einen wenig freundlichen Blick zu. Wie eine alte Elster sah sie aus mit ihrem streng zurückgesteckten grauen Haar und der spitzen Nase, die so gar nicht zu ihrem kleinen, faltigen Gesicht passen wollte. Mit einem Kopfnicken in Capricorns Richtung verließ sie das Zimmer.