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Mo lachte leise und für einen Moment sah sein Gesicht nicht mehr ganz so sorgenvoll aus. »Nein, Elinor, das werde ich nicht. Obwohl es sehr verlockend klingt. Aber ich habe mir geschworen, nie wieder vorzulesen. Wer weiß, wer das nächste Mal verschwindet, und vielleicht gibt es selbst bei Pu dem Bären einen Bösewicht, den wir übersehen haben. Oder was ist, wenn ich Pu selbst herauslese? Was soll er hier anfangen ohne seine Freunde und ohne den Hundertsechzig-Morgen-Wald? Sein dummes Herz wird ihm brechen, so wie das von Staubfinger zerbrochen ist.«

»Ach was!« Elinor winkte ungeduldig ab. »Wie oft soll ich dir noch sagen, dass dieser Bastard gar kein Herz hat? Aber gut. Kommen wir zu einer weiteren Frage, deren Antwort mich sehr interessiert.« Elinor senkte die Stimme, und Meggie musste sich große Mühe geben, sie noch zu verstehen. »Wer war dieser Capricorn eigentlich in seiner Geschichte? Vermutlich der Bösewicht, gut, aber könnte ich vielleicht noch etwas mehr über ihn erfahren?«

Ja, auch Meggie hätte gern mehr über Capricorn gewusst, aber Mo wurde plötzlich sehr schweigsam. »Je weniger ihr über ihn wisst, desto besser«, sagte er nur. Und dann schwieg er. Elinor bohrte noch eine Weile nach, aber Mo wich all ihren Fragen aus. Er schien einfach keine Lust zu haben, über Capricorn zu sprechen. Seine Gedanken waren ganz woanders, Meggie sah es seinem Gesicht an. Irgendwann nickte Elinor ein, zusammengerollt auf dem kalten Boden, als wollte sie sich an sich selbst wärmen. Mo aber saß weiter da, den Rücken gegen die Mauer gelehnt.

Sein Gesicht verfolgte Meggie in den Schlaf, als sie wieder einnickte. Es tauchte in ihren Träumen auf wie ein dunkler Mond. Er öffnete den Mund und heraus sprangen Gestalten, dicke, dünne, große, kleine, sie hüpften in einer langen Reihe davon. Auf der Nase des Mondes aber, kaum mehr als ein Schatten, tanzte die Gestalt einer Frau - und plötzlich begann der Mond zu lächeln.

Der verratene Verräter

Es war eine eigene Lust, zu sehen, wie etwas verzehrt wurde, wie es schwarz und zu etwas anderem wurde. [.] er hätte am liebsten eine aufgespießte Wurst in die Feuersbrunst hineingehalten, während die Bücher mit dem Flügelschlag weißer Tauben vor dem Haus den Flammentod staiben. Während die Bücher in Funkenwirbel aufsprühten und von einem brandgeschwärzten Wind verweht wurden.

Ray Bradbury, Fahrenheit 451

Irgendwann kurz vor Tagesanbruch begann die Glühbirne, die ihnen mit ihrem blässlichen Licht durch die Nacht geholfen hatte, zu flackern. Mo und Elinor schliefen, gleich neben der verschlossenen Tür, aber Meggie lag mit offenen Augen in der Dunkelheit und spürte, wie die Angst aus den kalten Mauern kroch. Sie lauschte dem Atem von Elinor und ihrem Vater und wünschte sich nichts mehr als eine Kerze - und ein Buch, das die Angst fern hielt. Überall schien sie zu sein, ein bösartiges, körperloses Wesen, das nur darauf gewartet hatte, dass die Glühbirne verlosch, und sich nun in der Finsternis an sie heranschlich, um sie in ihre kalten Arme zu nehmen. Meggie setzte sich auf, rang nach Atem und kroch auf allen vieren zu Mo. Sie rollte sich an seiner Seite zusammen, so wie sie es früher getan hatte, als sie noch klein war, und wartete darauf, dass das Morgenlicht unter der Tür hindurchsickerte.

Mit dem Licht kamen zwei von Capricorns Männern. Mo hatte sich gerade erst müde aufgesetzt, und Elinor rieb sich schimpfend den schmerzenden Rücken, als sie die Schritte hörten.

Basta war nicht dabei. Der eine der Männer, groß wie ein Schrank, sah aus, als hätte ihm ein Riese mit seinem Daumen das Gesicht eingedrückt. Der zweite, klein und mager, mit einem Ziegenbart auf dem fliehenden Kinn, spielte ständig an seiner Flinte herum und musterte sie so feindselig, als hätte er große Lust, sie alle drei gleich und auf der Stelle zu erschießen.

»Nun kommt schon. Raus mit euch!«, fuhr er sie an, als sie blinzelnd hinaus in das helle Tageslicht stolperten. Meggie versuchte sich zu erinnern, ob sie auch diese Stimme in Elinors Bibliothek gehört hatte, aber sie war nicht sicher. Capricorn hatte viele Männer.

Es war ein warmer, schöner Morgen. Der Himmel wölbte sich wolkenlos blau über Capricorns Dorf, und in einem verwilderten Rosenbusch, der zwischen den alten Häusern wuchs, zwitscherten ein paar Finken, als gäbe es bis auf ein paar hungrige Katzen nichts Bedrohliches auf der Welt. Mo griff nach Meggies Arm, als sie nach draußen traten. Elinor musste erst noch in ihre Schuhe schlüpfen, und als der Ziegenbart sie grob ins Freie zerren wollte, weil ihm das nicht schnell genug ging, stieß sie seine Hände weg und übergoss ihn mit einer Flut von Schimpfwörtern. Die beiden Männer brachte das bloß zum Lachen, worauf Elinor die Lippen aufeinander presste und es bei feindseligen Blicken beließ.

Capricorns Männer hatten es eilig. Sie führten sie auf demselben Weg zurück, auf dem Basta sie in der vergangenen Nacht hergebracht hatte. Das Flachgesicht ging vor, der Ziegenbart hinter ihnen, die Flinte im Anschlag. Er zog das Bein nach beim Gehen, aber er trieb sie trotzdem immer wieder an, als wollte er beweisen, dass er allemal schneller zu Fuß war als sie.

Selbst tagsüber sah Capricorns Dorf seltsam verlassen aus, und das lag nicht nur an den vielen leer stehenden Häusern, die im Sonnenlicht noch trauriger schienen. Kaum ein Mensch war auf den Gassen zu sehen, nur ein paar von den Schwarzjacken, wie Meggie sie insgeheim getauft hatte, oder magere Jungen, die ihnen wie junge Hunde nachliefen. Zweimal sah Meggie eine Frau vorbeihasten. Kinder entdeckte sie keine, Kinder, die spielten oder hinter ihrer Mutter herliefen, nur Katzen, schwarz, weiß, rostrot, gefleckt, getigert, auf warmen Mauersimsen, Türschwellen und Dachstürzen. Es war still zwischen den Häusern in Capricorns Dorf, und was geschah, schien im Verborgenen zu geschehen. Nur die Männer mit den Flinten verbargen sich nicht. Sie lungerten in Toreingängen und an Häuserecken, steckten die Köpfe zusammen und stützten sich verliebt auf ihre Flinten. Es gab keine Blumen vor den Häusern, wie Meggie sie in den Orten an der Küste gesehen hatte. Stattdessen gab es Häuser mit eingestürzten Dächern und blühende Büsche, die aus leeren Fensterhöhlen wuchsen. Einige dufteten so betäubend, dass Meggie schwindelig davon wurde.

Als sie den Platz vor der Kirche erreichten, dachte Meggie, die beiden Männer würden sie wieder zu Capricorns Haus bringen, aber sie ließen es links liegen und führten sie direkt auf das große Kirchenportal zu. Der Turm der Kirche sah aus, als hätten Wind und Wetter schon bedrohlich lange an seinem Mauerwerk genagt. Die Glocke hing rostig unter dem spitzen Dach, und kaum einen Meter tiefer hatte irgendein vom Wind herbeigetragenes Samenkorn einen schmächtigen Baum hervorgebracht, der sich nun dort oben an die sandfarbenen Steine krallte.

Auf das Kirchenportal waren Augen gemalt, schmale rote Augen, und zu beiden Seiten des Eingangs standen hässliche mannshohe Steinteufel, die ihre Zähne wie bissige Hunde bleckten.

»Willkommen im Haus des Teufels!«, sagte der Ziegenbart mit einer spöttischen Verbeugung, bevor er das schwere Portal öffnete.

»Lass das, Cockerell!«, fuhr das Flachgesicht ihn an und spuckte dreimal auf das staubige Pflaster zu seinen Füßen. »So was bringt Unglück.«

Der Ziegenbart lachte nur und tätschelte einem der Steinteufel den fetten Bauch. »Ach, komm, Flachnase. Du bist ja schon fast so schlimm wie Basta. Es fehlt nicht viel und du hängst dir auch eine stinkende Kaninchenpfote um den Hals.«