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Beim Knarren der schweren Holztüren drehte Meggie sich um und sah Capricorn zwischen den roten Säulen auftauchen. Er warf seinem Abbild im Vorbeigehen einen kurzen Blick zu, dann kam er mit schnellen Schritten den Gang herunter. Er trug einen roten Anzug, rot wie die Wände der Kirche, nur das Hemd darunter war schwarz und die Feder, die ihm am Revers steckte. Gut ein halbes Dutzend seiner Männer folgte ihm, wie Krähen einem Papagei. Bis zur Decke hinauf schienen ihre Schritte zu hallen.

Meggie griff nach Mos Hand.

»Ah, unsere Gäste sind auch schon da«, sagte Capricorn, als er vor ihnen stehen blieb. »Gut geschlafen, Zauberzunge?« Er hatte seltsam weich geschwungene Lippen, fast wie die einer Frau, beim Sprechen strich er ab und zu mit dem kleinen Finger darüber, als müsse er sie nachziehen. Sie waren ebenso farblos wie der Rest seines Gesichtes. »War es nicht nett von mir, dir deine Kleine schon gestern Abend bringen zu lassen? Zunächst wollte ich sie dir heute als Überraschung präsentieren, doch dann dachte ich mir: Capricorn, eigentlich bist du dem Mädchen etwas schuldig, wo sie dir doch ganz freiwillig gebracht hat, wonach du schon so lange suchst.«

Er hielt Tintenherz in der Hand. Meggie sah, wie Mos Blick daran haften blieb. Capricorn war groß, aber Mo überragte ihn noch um einige Zentimeter. Capricorn gefiel das ganz offensichtlich nicht. Er hielt sich kerzengerade, als könnte er den Unterschied so wettmachen.

»Lass Elinor mit meiner Tochter nach Hause fahren«, sagte Mo.

»Lass sie fahren, und ich lese dir alles vor, was du willst, aber zuerst lass die beiden gehen.«

Was redete er da? Meggie sah ihn entgeistert an. »Nein!«, sagte sie. »Nein, Mo, ich will nicht weg!« Aber niemand beachtete sie.

»Gehen lassen?« Capricorn drehte sich zu seinen Männern um. »Habt ihr das gehört? Warum sollte ich so etwas Verrücktes tun, jetzt, wo sie schon mal hier sind?« Die Männer lachten, Capricorn aber wandte sich wieder Mo zu. »Du weißt genauso gut wie ich, dass du von nun an alles tun wirst, was ich verlange«, sagte er. »Jetzt, wo sie da ist, wirst du sicherlich nicht mehr so starrköpfig sein und uns eine Demonstration deiner Kunst verweigern.«

Mo drückte Meggies Hand so fest, dass ihr die Finger schmerzten.

»Und was dieses Buch betrifft« - Capricorn betrachtete Tintenherz so missbilligend, als habe es ihn in die blassen Finger gebissen - »dieses überaus lästige, alberne und so maßlos geschwätzige Buch, so kann ich dir versichern, dass ich nicht die Absicht habe, mich je wieder von seiner Geschichte fesseln zu lassen. All diese überflüssigen Wesen, diese Flatterfeen mit ihren zirpenden Stimmen, überall kribbelte und krabbelte es, stank nach Fell und Mist, auf dem Marktplatz stolperte man über die krummbeinigen Kobolde und auf der Jagd vertrieben einem die Riesen mit ihren plumpen Füßen das Wild. Flüsternde Bäume, wispernde Teiche ... gab es eigentlich irgendetwas, das nicht reden konnte? Und dann die endlosen schlammigen Wege bis zur nächsten Stadt, wenn man das eine Stadt nennen konnte ... das wohlgeborene, fein gekleidete Fürstenpack auf seinen Burgen, die stinkenden Bauern, so arm, dass nichts bei ihnen zu holen war, die Rumtreiber und Bettler, denen das Ungeziefer aus den Haaren fiel - was war ich sie alle leid.«

Capricorn winkte und einer seiner Männer brachte einen großen Pappkarton. An der Art, wie er ihn trug, sah man, dass der Karton sehr schwer sein musste. Mit einem erleichterten Seufzer stellte er ihn vor Capricorn auf die grauen Fliesen. Capricorn reichte Cockerell, der neben ihm stand, das Buch, das Mo so lange vor ihm verborgen hatte, und öffnete den Karton. Er war bis an den Rand mit Büchern gefüllt.

»Es hat wirklich sehr viel Mühe gekostet, sie alle zu finden«, erklärte Capricorn, während er in den Karton griff und zwei Bücher herausnahm. »Sie sehen verschieden aus, doch der Inhalt ist derselbe. Dass die Geschichte in mehreren Sprachen niedergeschrieben wurde, hat die Suche noch zusätzlich erschwert - eine sehr unnütze Eigenart dieser Welt, all diese verschiedenen Sprachen. Das war in unserer Welt einfacher, stimmt's, Staubfinger?«

Staubfinger antwortete nicht. Er stand da, mit dem Benzinkanister in der Hand, und starrte den Karton an. Capricorn schlen-derte auf ihn zu und warf die beiden Bücher in eine der Tonnen.

»Was tut ihr da?« Staubfinger griff nach den Büchern, aber Basta stieß ihn zurück. »Die bleiben, wo sie sind«, sagte er.

Staubfinger wich zurück und verbarg den Kanister hinter dem Rücken, doch Basta riss ihn ihm aus den Händen. »Es sieht fast so aus, als wollte unser Feuerspucker das Feuermachen heute anderen überlassen«, spottete er.

Staubfinger warf ihm einen hasserfüllten Blick zu. Mit starrem Gesicht beobachtete er, wie Capricorns Männer immer mehr Bücher in die Tonnen warfen. Mehr als zwei Dutzend Exemplare von Tintenherz lagen schließlich auf dem aufgeschichteten Holz, die Seiten verknickt, die Einbände von sich gestreckt wie gebrochene Flügel.

»Weißt du, was mich in unserer alten Welt auch stets aufs Neue in den Wahnsinn getrieben hat, Staubfinger?«, fragte Capricorn, während er Basta den Benzinkanister aus der Hand nahm. »Wie mühsam es war, Feuer zu machen. Für dich natürlich nicht, du konntest ja sogar mit ihm sprechen, wahrscheinlich hat es dir irgendeiner dieser grunzenden Kobolde beigebracht, aber für unsereins war es ein mühsames Geschäft. Ständig war das Holz feucht oder der Wind drückte auf den Kamin. Ich weiß, du verzehrst dich vor Sehnsucht nach den guten alten Zeiten und vermisst all deine zirpenden, flatternden Freunde, aber ich weine alldem keine Träne nach. Diese Welt ist unendlich viel besser eingerichtet als die, mit der wir uns jahrelang begnügen mussten.«

Staubfinger schien kein Wort von dem zu hören, was Capricorn zu ihm sagte. Er starrte nur auf das Benzin, das sich stinkend über die Bücher ergoss. Die Seiten saugten es so gierig auf, als hießen sie ihr eigenes Ende willkommen. »Wo kommen die alle her?«, stammelte er. »Du hast mir immer gesagt, es gäbe nur noch ein Exemplar, das von Zauberzunge.«

»Ja, ja, ich habe dir so einiges erzählt.« Capricorn schob die Hand in die Hosentasche. »Du bist so ein leichtgläubiger Bursche, Staubfinger. Es macht Spaß, dir Lügen zu erzählen. Deine Ahnungslosigkeit hat mich immer wieder verblüfft, schließlich lügst du doch selbst mit großem Geschick. Aber du glaubst einfach zu gern, was du glauben möchtest, das ist es. Nun, jetzt kannst du mir glauben: Dies hier« - er tippte mit dem Finger auf den benzingetränkten Bücherstapel - »sind tatsächlich die letzten Exemplare unserer tintenschwarzen Heimat. Basta und all die anderen haben Jahre gebraucht, um sie in schäbigen Leihbibliotheken und Antiquariaten aufzustöbern.«

Staubfinger starrte die Bücher an wie ein Verdurstender das letzte Glas Wasser. »Aber du kannst sie nicht verbrennen!«, stammelte er. »Du hast mir versprochen, dass du mich zurückbringst, wenn ich dir Zauberzunges Buch beschaffe. Dafür habe ich dir gesagt, wo er steckt, dafür habe ich dir seine Tochter gebracht ...«

Capricorn zuckte nur die Schultern und nahm Cockerell das Buch aus der Hand - das Buch mit dem mattgrünen Einband, das Meggie und Elinor ihm so bereitwillig gebracht hatten, für das er Mo hatte herschleppen lassen und für das Staubfinger sie alle verraten hatte.

»Ich hätte dir auch versprochen, dir den Mond vom Himmel zu holen, wenn es mir genutzt hätte«, sagte Capricorn, während er Tintenherz mit gelangweilter Miene auf den Stapel seiner Artgenossen warf. »Ich gebe gern Versprechen, vor allem solche, die ich nicht halten kann.« Dann zog er ein Feuerzeug aus der Hosentasche. Staubfinger wollte auf ihn zuspringen, es ihm aus der Hand schlagen, doch Capricorn gab Flachnase ein Zeichen.

Flachnase war so groß und breit, dass Staubfinger neben ihm fast wie ein Kind aussah, und genau so packte er ihn sich - wie ein ungezogenes Kind. Mit gesträubtem Fell sprang Gwin von Staubfingers Schulter, einer von Capricorns Männern trat nach ihm, als er ihm zwischen den Beinen durchhuschte, aber der Marder entkam und verschwand hinter einer der roten Säulen. Die übrigen Männer standen da und lachten über Staubfingers verzweifelte Versuche, sich aus Flachnases eisernem Griff zu befreien. Flachnase hatte großen Spaß daran, ihn gerade so nah an die benzingetränkten Bücher heranzulassen, dass er die obersten mit den Fingern streifte.