Meggie wurde ganz schlecht von so viel Bosheit, und Mo machte einen Schritt vor, als wollte er Staubfinger zu Hilfe kommen, doch Basta trat ihm in den Weg. Plötzlich hielt er sein Messer in der Hand. Die Klinge war schmal und blank und sah entsetzlich scharf aus, als er sie Mo an den Hals hielt.
Elinor schrie auf und übergoss Basta mit einer Flut von Schimpfwörtern, die Meggie noch nie gehört hatte, sie selbst konnte sich nicht rühren. Sie stand nur da und starrte auf die Klinge an Mos nacktem Hals.
»Gib mir eins, Capricorn, nur eins!«, stieß ihr Vater hervor, und erst da begriff Meggie, dass er nicht Staubfinger hatte helfen wollen, sondern dass es ihm um das Buch ging. »Ich verspreche dir, ich werde nicht einen Satz daraus in den Mund nehmen, in dem dein Name vorkommt.«
»Dir? Bist du des Teufels? Du bist der Letzte, dem ich eins geben würde«, antwortete Capricorn. »Womöglich kannst du eines Tages deine Zunge doch nicht zügeln und ich lande wieder in dieser lächerlichen Geschichte! Nein, danke.«
»Unsinn!«, rief Mo. »Ich könnte dich nicht zurücklesen, selbst wenn ich es wollte, wie oft soll ich das noch sagen? Frag Staubfinger, tausendmal habe ich es ihm erklärt. Ich versteh selbst nicht, wie und wann es passiert, glaubt mir das doch endlich!«
Capricorns Antwort war nur ein Lächeln. »Es tut mir Leid, Zauberzunge, ich glaube grundsätzlich niemandem, das solltest du doch inzwischen wissen. Wir sind alle Lügner, wenn es uns nützt.« Und mit diesen Worten ließ er das Feuerzeug aufflammen und hielt es an eins der Bücher. Fast durchsichtig waren die Seiten durch das Benzin geworden, wie Pergament sahen sie aus, und sie fingen auf der Stelle Feuer. Selbst der Einband, fest und stoffumhüllt, brannte sofort. Das Leinen färbte sich schwarz unter den leckenden Flammen.
Als das dritte Buch Feuer fing, trat Staubfinger Flachnase so heftig gegen die Kniescheibe, dass er ihn mit einem Schmerzensschrei losließ. Flink wie sein Marder entschlüpfte Staubfinger den mächtigen Armen und stolperte auf die Tonnen zu. Ohne Zögern griff er in die Flammen, doch das Buch, das er herausriss, brannte schon wie eine Fackel. Staubfinger ließ es auf den Steinboden fallen und griff wieder ins Feuer, diesmal mit der anderen Hand, doch da hatte Flachnase ihn bereits erneut am Kragen gepackt und schüttelte ihn so grob, dass er nach Luft schnappte.
»Seht euch den Verrückten an!«, spottete Basta, während Staubfinger mit schmerzverzerrtem Gesicht auf seine Hände starrte. »Kann mir irgendwer hier erklären, wonach er solche Sehnsucht hat? Vielleicht nach den hässlichen Moosweibchen, die ihn ange-himmelt haben, wenn er auf dem Marktplatz mit seinen Bällen herumgespielt hat? Oder nach den dreckigen Löchern, in denen er mit den anderen Rumtreibern gehaust hat? Teufel, es roch dort noch schlimmer als in dem Rucksack, in dem er den stinkenden Marder herumträgt.«
Capricorns Männer lachten, während die Bücher langsam zu Asche zerfielen. Es roch immer noch nach Benzin in der leeren Kirche, so beißend, dass Meggie husten musste. Mo legte ihr schützend den Arm um die Schultern, als hätte Basta nicht ihn, sondern sie bedroht. Doch wer konnte ihn beschützen?
Elinor musterte seinen Hals so besorgt, als fürchtete sie, Bastas Messer hätte dort doch blutige Spuren hinterlassen. »Diese Kerle sind völlig verrückt!«, wisperte sie. »Du kennst doch bestimmt diesen Satz: Wo man Bücher verbrennt, da werden bald auch Menschen brennen. Was, wenn wir als Nächste auf so einem Holzstapel landen?«
Basta sah zu ihr herüber, als hätte er ihre Worte gehört. Er warf ihr einen spöttischen Blick zu und küsste die Klinge seines Messers. Elinor verstummte, als hätte sie ihre Zunge verschluckt.
Capricorn hatte ein schneeweißes Taschentuch aus seiner Hosentasche gezogen. Er säuberte sich so sorgfältig die Hände damit, als wollte er selbst die Erinnerung an Tintenherz von seinen Fingern wischen. »Gut, das wäre endlich erledigt«, stellte er mit einem letzten Blick auf die rauchende Asche fest. Dann stieg er mit selbstzufriedenem Gesicht zu dem Stuhl hinauf, der den Platz des Altars eingenommen hatte. Mit einem tiefen Seufzer ließ er sich auf das blassrote Polster sinken.
»Staubfinger, lass dir in der Küche von Mortola die Hände verarzten!«, befahl er mit gelangweilter Stimme. »Ohne deine Hände bist du nun wirklich zu gar nichts nütze.«
Staubfinger warf Mo einen langen Blick zu, bevor er der Aufforderung folgte. Mit unsicheren Schritten, den Kopf gesenkt, ging er an Capricorns Männern vorbei. Endlos lang schien der Weg bis zum Portal. Für einen kurzen Augenblick fiel gleißend helles Sonnenlicht in die Kirche, als Staubfinger es öffnete. Dann fielen die Türen hinter ihm zu, und Meggie, Mo und Elinor waren allein mit Capricorn und seinen Männern - und dem Geruch von Benzin und verbranntem Papier.
»Kommen wir zu dir, Zauberzunge!«, sagte Capricorn und streckte die Beine aus. Er trug schwarze Schuhe. Voll Wohlgefallen betrachtete er das glänzende Leder und pflückte sich einen Fetzen verkohltes Papier von der Schuhspitze. »Bisher sind ich und Basta und der bedauernswerte Staubfinger der einzige Beweis dafür, dass du ganz Erstaunliches zwischen kleinen schwarzen Buchstaben hervorlocken kannst. Du selbst scheinst deiner Gabe nicht zu trauen, wenn man deinen Worten Glauben schenkt - was ich, wie ich schon sagte, nicht tue. Im Gegenteil, ich glaube, dass du ein Meister deines Faches bist, und ich kann es kaum noch erwarten, dass du uns endlich ein paar Kostproben deines Könnens lieferst. Cockerell!« Seine Stimme klang gereizt. »Wo ist der Vorleser? Hatte ich dir nicht gesagt, du sollst ihn herbringen?«
Cockerell strich sich nervös über den Ziegenbart. »Er war noch damit beschäftigt, die Bücher herauszusuchen«, stammelte er. »Aber ich werde ihn gleich holen.« Mit einer hastigen Verbeugung hinkte er davon.
Capricorn begann mit den Fingern auf die Armstütze seines Stuhles zu trommeln. »Bestimmt hast du schon gehört, dass ich auf die Dienste eines anderen Vorlesers zurückgreifen musste, während du dich so erfolgreich vor mir versteckt hieltest«, sagte er zu Mo. »Ich habe ihn vor fünf Jahren gefunden, aber er ist ein furchtbarer Stümper. Du brauchst dir nur Flachnases Gesicht anzusehen.« Flachnase senkte verlegen den Kopf, als alle Blicke sich auf ihn richteten. »Das Hinken von Cockerell ist auch ihm zu verdanken. Und du hättest erst die Mädchen sehen sollen, die er mir aus seinen Büchern herausgelesen hat. Man bekam schon Alpträume, wenn man sie bloß ansah. Schließlich habe ich mir von ihm nur noch vorlesen lassen, wenn ich mich über seine Missgeburten amüsieren wollte, und meine Männer habe ich mir in dieser Welt gesucht. Ich habe sie einfach zu mir geholt, solange sie noch jung waren. In fast jedem Dorf gibt es einen einsamen Jungen, der gern mit Feuer spielt.« Lächelnd betrachtete er seine Fingernägel, wie ein Kater, der zufrieden seine Krallen mustert. »Ich habe den Vorleser damit beauftragt, für dich die richtigen Bücher auszusuchen. Mit Büchern kennt der arme Tropf sich wirklich aus, er lebt in ihnen wie einer dieser blassen Würmer, die sich von Papier ernähren.«
»Ach ja, und was soll ich dir aus seinen Büchern herauslesen?« Mos Stimme klang bitter. »Ein paar Ungeheuer, ein paar menschliche Scheusale, die zu denen da« - er wies mit dem Kopf in Bastas Richtung - »passen würden?«
»Um Himmel willen, bring ihn nicht auf Ideen!«, flüsterte Elinor mit einem besorgten Blick in Capricorns Richtung.
Doch der wischte sich nur etwas Asche von der Hose und lächelte. »Nein, danke, Zauberzunge«, sagte er. »Männer habe ich genug, und was die Ungeheuer betrifft, so kommen wir dazu vielleicht später. Zurzeit behelfen wir uns recht gut mit den Hunden, die Basta abgerichtet hat, und mit den Schlangen dieser Gegend. Sie eignen sich hervorragend als tödliche Mitbringsel. Nein, Zauberzunge, alles, was ich heute als Probe deines Könnens verlange, ist Gold. Ich bin hoffnungslos geldgierig. Meine Männer tun wirklich ihr Bestes, diesem Landstrich abzupressen, was er hergibt.« Bei diesen Worten von Capricorn strich Basta zärtlich über sein Messer. »Aber es reicht nie für all die wundervollen Dinge, die es in dieser grenzenlosen Welt zu kaufen gibt. Sie hat so viele Seiten, Zauberzunge, so unendlich viele Seiten, eure Welt, und ich möchte zu gern auf jede meinen Namen schreiben.«