»In was für Buchstaben willst du ihn denn schreiben?«, fragte Mo. »Wird Basta sie mit seinem Messer aufs Papier ritzen?«
»Oh, Basta kann nicht schreiben«, antwortete Capricorn gelassen. »All meine Männer können weder schreiben noch lesen. Ich habe es ihnen verboten. Nur ich habe es mir beibringen lassen, von einer meiner Mägde. Ja, glaube mir, ich bin sehr wohl in der Lage, dieser Welt meinen Stempel aufzudrücken. Und wenn es einmal etwas zu schreiben gibt, so übernimmt das der Vorleser.«
Das Kirchenportal wurde aufgestoßen, als hätte Cockerell nur auf sein Stichwort gewartet. Der Mann, den er mitbrachte, zog den Kopf zwischen die Schultern und blickte weder nach rechts noch nach links, während er Cockerell folgte. Er war klein und dünn und bestimmt nicht älter als Mo, aber er krümmte den Rücken wie ein alter Mann und schlenkerte beim Gehen die Glieder, als wisse er nicht, wohin mit ihnen. Er trug eine Brille, die er beim Gehen immer wieder nervös hochschob, das Gestell war über seiner Nase mit Klebeband umwickelt, als wäre sie ihm schon oft zerbrochen. Mit dem linken Arm drückte er einen Stapel Bücher an die Brust, so fest, als böten sie ihm Schutz gegen die Blicke, die sich von allen Seiten auf ihn richteten, und gegen den unheimlichen Ort, an den man ihn geschleppt hatte.
Als die zwei endlich am Fuß der Treppe angelangt waren, stieß Cockerell seinem Begleiter den Ellbogen in die Seite und der verbeugte sich mit solcher Hast, dass ihm zwei Bücher auf den Boden fielen. Eilig hob er sie auf und verbeugte sich ein zweites Mal vor Capricorn.
»Wir warten schon auf dich, Darius!«, sagte Capricorn. »Ich hoffe, du hast gefunden, womit ich dich beauftragt habe.«
»O ja, ja!«, stammelte Darius, während er Mo einen fast andächtigen Blick zuwarf. »Ist er das?«
»Ja. Zeig ihm die Bücher, die du ausgewählt hast.«
Darius nickte und verbeugte sich wieder, diesmal vor Mo. »Dies smd alles Geschichten, in denen große Schätze vorkommen«, stammelte er. »Es war nicht so leicht, sie zu finden, wie ich dachte, schließlich« - es klang ein leiser, ganz leiser Vorwurf aus seiner Stimme - »schließlich gibt es nicht sehr viele Bücher in diesem Dorf. Und sooft ich das auch sage, man bringt mir keine neuen mit, und wenn, dann taugen sie nichts. Aber wie dem auch sei ... hier sind sie nun. Ich denke, du wirst trotzdem mit der Auswahl zufrieden sein.« Er kniete sich vor Mo auf den Boden und begann seine Bücher auf den Steinfliesen auszubreiten, eins neben dem anderen, bis Mo alle Titel lesen konnte.
Gleich der erste gab Meggie einen Stich. Die Schatzinsel. Beunruhigt sah sie Mo an. Nicht das!, dachte sie. Nicht das, Mo. Aber Mo hatte schon ein anderes in der Hand: Die Erzählungen aus 1001 Nacht.
»Ich denke, das hier ist das Richtige«, sagte er. »Darin wird sich sicherlich genug Gold finden. Aber ich sage es dir noch einmaclass="underline" Ich weiß nicht, was geschehen wird. Es geschieht nie, wenn ich es will. Ich weiß, ihr haltet mich hier alle für einen Zauberer, aber ich bin keiner. Der Zauber kommt aus den Büchern, und ich weiß ebenso wenig wie du oder einer deiner Männer, wie er funktioniert.«
Capricorn lehnte sich in seinem Stuhl zurück und musterte Mo mit ausdruckslosem Gesicht. »Wie oft willst du mir das noch erzählen, Zauberzunge?«, sagte er gelangweilt. »Du kannst es mir erzählen, so oft du willst, ich werde es nicht glauben. In der Welt, deren Tür wir heute endgültig zugeschlagen haben, hatte ich bisweilen mit Zauberern zu tun, mit Zauberern und Hexen, und ich musste mich sehr oft mit ihrem Starrsinn herumschlagen. Basta hat dir ja schon sehr eindrücklich geschildert, wie wir Starrsinn zu brechen pflegen. Doch in deinem Fall werden solche schmerzhaften Methoden ja sicherlich jetzt, wo deine Tochter unser Gast ist, nicht mehr nötig sein.« Mit diesen Worten warf Capricorn Basta einen kurzen Blick zu.
Mo wollte Meggie festhalten, doch Basta war schneller. Er zog sie an seine Seite und schlang ihr von hinten den Arm um den Hals.
»Von heute an, Zauberzunge«, fuhr Capricorn fort, und immer noch klang seine Stimme so unbeteiligt, als redete er über das Wetter, »wird Basta der ganz persönliche Schatten deiner Tochter sein. Das wird sie zuverlässig vor Schlangen und bissigen Hunden schützen, aber natürlich nicht vor Basta, der nur so lange freundlich zu ihr ist, wie ich es sage. Und das wiederum hängt davon ab, wie zufrieden ich mit deinen Diensten sein werde. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?«
Mo sah erst ihn und dann Meggie an. Sie gab sich alle Mühe, unerschrocken dreinzublicken, um Mo davon zu überzeugen, dass er sich um sie keine Sorgen machen musste, schließlich hatte sie schon immer sehr viel besser lügen können als er. Doch diesmal nahm er ihr die Lüge nicht ab. Er wusste, dass ihre Angst ebenso groß war wie die, die sie in seinen Augen sah.
Vielleicht ist das hier ja auch nur eine Geschichte!, dachte Meggie verzweifelt. Und gleich schlägt irgendjemand das Buch zu, weil sie einfach so furchtbar und abscheulich ist, und Mo und ich sitzen wieder zu Hause und ich koche ihm einen Kaffee. Sie schloss die Augen, ganz fest, als könnte sie ihre Gedanken auf diese Weise wahr machen, doch als sie durch die Wimpern blinzelte, stand Basta immer noch hinter ihr und Flachnase rieb sich die eingedrückte Nase und betrachtete Capricorn mit seinem Hundeblick.
»Gut«, sagte Mo müde in die Stille hinein. »Ich lese dir vor. Aber Meggie und Elinor bleiben nicht hier.«
Meggie wusste genau, woran er dachte. Er dachte an ihre Mutter und daran, wer diesmal verschwinden würde.
»Unsinn. Natürlich bleiben sie hier.« Capricorns Stimme klang nicht mehr ganz so gelassen. »Und du fängst endlich an, bevor dir das Buch da in den Fingern zu Staub zerfällt.«
Mo schloss für einen Moment die Augen. »Gut, aber Basta lässt das Messer stecken«, sagte er heiser. »Wenn er Meggie oder Elinor auch nur ein Haar krümmt, ich schwöre es dir, dann lese ich dir und deinen Männern die Pest an den Hals.«
Cockerell warf Mo einen erschrockenen Blick zu und selbst über Bastas Gesicht huschte ein Schatten, aber Capricorn lachte nur.
»Darf ich dich daran erinnern, dass du von einer ansteckenden Krankheit redest, Zauberzunge?«, sagte er. »Und sie macht keineswegs vor kleinen Mädchen Halt. Also, lass die leeren Drohungen und fang an zu lesen. Jetzt. Auf der Stelle. Und als Erstes möchte ich etwas aus dem Buch da hören!«
Er wies auf das Buch, das Mo gleich zur Seite gelegt hatte.
Die Schatzinsel.
Zauberzunge
Squire Trelawney, Doktor Livesey und die anderen Herren hatten mich aufgefordert, die ganze Geschichte von der Schatzinsel vom Anfang bis zum Ende niederzuschreiben und nichts zu verschweigen als die Lage der Insel; und so greife ich jetzt, im Jahre des Heils 17.., zur Feder und beginne mit der Zeit, da mein Vater Wirt im »Admiral Benbow« war und der sonnenverbrannte alte Seemann mit der Säbelnarbe sich unter unserem Dach einquartierte.