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Mo nickte nur, aber Meggie sah die Erleichterung auf seinem Gesicht. »Da, nehmen Sie es!«, sagte er zu Darius und drückte ihm das Buch in die Hand. »Ich hoffe, ich muss nie wieder daraus lesen. Man soll das Glück nicht zu oft herausfordern.«

»Du hast seinen Namen jedes Mal etwas falsch ausgesprochen«, flüsterte Meggie ihm zu.

Mo strich ihr zärtlich über den Nasenrücken. »Ah, du hast es gemerkt!«, flüsterte er zurück. »Ja, ich dachte mir, vielleicht hilft das. Vielleicht fühlt der grausame alte Pirat sich auf die Art nicht angesprochen und bleibt, wo er hingehört. Was siehst du mich so an?«

»Na, was denkst du?«, fragte Elinor an Meggies Stelle. »Warum sieht sie ihren Vater so bewundernd an? Weil niemand je so gelesen hat - auch wenn das mit den Münzen nicht passiert wäre. Ich hab alles gesehen, das Meer und die Insel, einfach alles, als könnte ich es anfassen, und deiner Tochter wird es da nicht anders gegangen sein.«

Mo musste lächeln. Er schob mit dem Fuß ein paar Münzen zur Seite, die vor ihm auf dem Boden lagen. Einer von Capricorns Männern hob sie auf und stopfte sie verstohlen in seine Taschen. Dabei warf er Mo einen so beunruhigten Blick zu, als fürchtete er, von ihm mit einem Zungenschlag in einen Frosch oder einen der Käfer verwandelt zu werden, die immer noch zwischen den Münzen herumkrabbelten.

»Sie haben Angst vor dir, Mo!«, flüsterte Meggie. Selbst auf Bastas Gesicht konnte sie die Furcht sehen, auch wenn er sich alle Mühe gab, sie zu verbergen, indem er besonders gelangweilt dreinblickte.

Nur Capricorn schien das, was geschehen war, immer noch vollkommen kalt zu lassen. Mit verschränkten Armen stand er da und beobachtete seine Männer dabei, wie sie die letzten Münzen zusammenklaubten. »Wie lange soll das noch dauern?«, rief er schließlich. »Lasst das Kleingeld liegen und setzt euch wieder. Und du, Zauberzunge, hol dir das nächste Buch!«

»Das nächste?« Elinors Stimme überschlug sich fast vor Empörung. »Was soll das? Das Gold, das Ihre Männer da zusammenschaufeln, reicht für mindestens zwei Leben. Wir fahren jetzt nach Hause!«

Sie wollte sich umdrehen, doch Flachnase hatte sich an sie erinnert. Grob griff er nach ihrem Arm.

Mo blickte zu Capricorn hoch.

Basta aber legte Meggie mit bösem Lächeln die Hand auf die Schulter. »Nun mach schon, Zauberzunge!«, sagte er. »Du hast es doch gehört. Da liegen noch jede Menge Bücher.«

Mo sah Meggie lange an, bevor er sich bückte und nach dem Buch griff, das er schon einmal in der Hand gehabt hatte: Die Erzählungen aus 1001 Nacht.

»Das unendliche Buch«, murmelte er, während er es aufschlug.

»Wusstest du, dass die Araber sagen, niemand könne es je zu Ende lesen, Meggie?«

Meggie schüttelte den Kopf, während sie sich wieder neben ihn auf die kalten Fliesen hockte. Basta ließ sie gewähren, aber er stellte sich dicht hinter sie. Meggie wusste nicht viel über 1001 Nacht. Sie wusste nur, dass das Buch eigentlich aus vielen Bänden bestand. Das Exemplar, das Darius Mo gegeben hatte, konnte nur ein kleiner Auszug sein. Ob die 40 Räuber darin steckten und Ala-din und seine Lampe? Was würde Mo lesen?

Diesmal glaubte Meggie zwei sich widerstreitende Gefühle auf den Gesichtern von Capricorns Männern zu entdecken: Angst vor dem, was Mo zum Leben erwecken würde, und gleichzeitig den fast sehnsüchtigen Wunsch, noch einmal von seiner Stimme davongetragen zu werden, weit fort, an einen Ort, an dem man alles vergessen konnte, sogar sich selbst.

Es roch nicht mehr nach Salz und Rum, als Mo diesmal zu lesen begann. Es wurde heiß in Capricorns Kirche. Meggies Augen begannen zu brennen, und als sie sie rieb, klebte ihr Sand an den Fingerknöcheln. Wieder lauschten Capricorns Männer Mos Stimme so atemlos, als hätte er sie in Stein verwandelt. Und wieder war Capricorn der Einzige, der von dem Zauber nichts zu spüren schien. Nur an seinen Augen sah man, dass auch er gefesselt war. Starr wie Schlangenaugen hingen sie an Mos Gesicht. Der rote Anzug ließ Capricorns Pupillen noch farbloser aussehen. Sein Körper schien gespannt wie der eines Hundes, der die Beute schon wittert.

Aber diesmal enttäuschte Mo ihn. Die Worte gaben sie nicht frei, all die Schatzkisten, die Perlen und juwelenbesetzten Säbel, die Mos Stimme blinken und blitzen ließ, bis Capricorns Männer glaubten, sie aus der Luft pflücken zu können. Etwas anderes rutschte aus den Seiten, etwas Atmendes, aus Fleisch und Blut.

Ein Junge stand plötzlich zwischen den immer noch rauchenden Tonnen, in denen Capricorn die Bücher hatte brennen lassen. Meggie war die Einzige, die ihn bemerkte. Alle anderen waren zu versunken in die Geschichte. Selbst Mo bemerkte ihn nicht, so weit fort war er, irgendwo zwischen Sand und Wind, während seine Augen sich durch das Geflecht der Buchstaben tasteten.

Der Junge war vielleicht drei oder vier Jahre älter als Meggie. Der Turban um seinen Kopf war schmutzig, die Augen in dem braunen Gesicht dunkel vor Angst. Er fuhr sich mit der Hand darüber, als könnte er es fortwischen, das falsche Bild, den falschen Ort. Er blickte sich in der leeren Kirche um, als hätte er noch nie ein Gebäude wie dieses gesehen. Wie auch? In seiner Geschichte gab es bestimmt keine spitztürmigen Kirchen und grüne Hügel, wie sie ihn draußen erwarteten, auch nicht. Das Gewand, das er trug, hing ihm bis auf die braunen Füße, es leuchtete blau wie ein Stück vom Himmel in der dämmrigen Kirche.

Was passiert, wenn sie ihn sehen?, dachte Meggie. Er ist bestimmt nicht das, was Capricorn sich erhofft hat.

Aber da hatte der ihn auch schon bemerkt. »Halt!«, rief er so scharf, dass Mo mitten im Satz abbrach und den Kopf hob.

Abrupt und etwas unwillig, kehrten Capricorns Männer in die Wirklichkeit zurück. Cockerell war als Erster auf den Beinen. »He, wo kommt der her?«, knurrte er.

Der Junge duckte sich, sah sich mit angststarrem Gesicht um und rannte los, hakenschlagend wie ein Kaninchen. Aber er kam nicht weit. Gleich drei Männer rannten ihm nach und fingen ihn ein, vor den Füßen von Capricorns Statue.

Mo legte das Buch neben sich auf die Fliesen und vergrub das Gesicht in den Händen.

»He! Fulvio ist weg!«, rief einer von Capricorns Männern. »Hat sich einfach in Luft aufgelöst.« Alle starrten Mo an. Da war sie wieder, die Angst auf ihren Gesichtern, doch diesmal mischte sie sich nicht mit Bewunderung, sondern mit Wut.

»Schaff den Jungen fort, Zauberzunge!«, befahl Capricorn ärgerlich. »Von der Sorte habe ich mehr als genug. Und bring mir Fulvio zurück.«

Mo nahm die Hände vom Gesicht und stand auf.

»Zum hunderttausendsten Maclass="underline" Ich kann niemanden zurückbringen!«, stieß er hervor. »Und das ist keine Lüge, nur weil du es nicht glaubst. Ich kann es nicht. Ich kann weder bestimmen, was oder wer herauskommt, noch, wer geht.«

Meggie fasste nach seiner Hand. Ein paar von Capricorns Männern kamen näher, zwei von ihnen hielten den Jungen gepackt. Sie zerrten an seinen Armen, als wollten sie ihn mittendurch reißen. Mit schreckgeweiteten Augen starrte er in ihre fremden Gesichter.

»Zurück an euren Platz!«, rief Capricorn den aufgebrachten Männern zu. Ein paar waren Mo schon bedrohlich nahe gekommen. »Was soll die Aufregung? Habt ihr vergessen, wie dumm Fulvio sich beim letzten Auftrag angestellt hat? Fast hätten wir die Polizei am Hals gehabt. Es hat also genau den Richtigen getroffen. Und wer weiß? Vielleicht steckt in dem Jungen da ja ein begabter Brandstifter? Trotzdem möchte ich jetzt Perlen sehen, Gold, Juwelen. Diese Geschichte dreht sich schließlich um nichts anderes, also heraus damit!«

Unter den Männern erhob sich beunruhigtes Gemurmel. Trotzdem kehrten die meisten zur Treppe zurück und hockten sich wieder auf die ausgetretenen Stufen. Nur drei standen immer noch vor Mo und starrten ihn feindselig an. Einer von ihnen war Basta.