»Na gut! Fulvio ist entbehrlich!«, rief er, ohne Mo aus den Augen zu lassen. »Aber wen wird er als Nächstes in Luft auflösen, der verdammte Hexer? Ich will nicht in einer dreimal verfluchten Wüstengeschichte enden und plötzlich mit einem Turban herumlaufen!«
Die Männer, die bei ihm standen, nickten zustimmend und musterten Mo so finster, dass Meggie fast das Atmen vergaß.
»Basta, ich sage es nicht noch einmal.« Capricorns Stimme klang bedrohlich ruhig. »Ihr lasst ihn weiterlesen! Und wem von euch dabei vor Angst die Zähne klappern, der verschwindet besser nach draußen und hilft den Frauen beim Wäschewaschen.«
Ein paar der Männer blickten sehnsüchtig zum Kirchenportal, aber nicht einer traute sich zu gehen. Schließlich drehten sich auch die zwei, die bei Basta gestanden hatten, wortlos um und hockten sich zu den anderen.
»Für Fulvio bezahlst du mir noch!«, raunte Basta Mo zu, bevor er sich wieder hinter Meggie stellte. Warum war nicht er verschwunden?
Der Junge hatte immer noch keinen Ton von sich gegeben.
»Sperrt ihn ein, wir werden später sehen, ob wir ihn brauchen können«, befahl Capricorn.
Der Junge sträubte sich nicht einmal, als Flachnase ihn mit sich zog, wie betäubt stolperte er hinterher, als wartete er darauf, endlich aufzuwachen. Wann er wohl begriff, dass dieser Traum kein Ende nehmen würde?
Als die Tür hinter den beiden zufiel, kehrte Capricorn zu seinem Stuhl zurück. »Lies weiter, Zauberzunge«, sagte er. »Der Tag ist noch lang.«
Aber Mo blickte auf die Bücher zu seinen Füßen und schüttelte den Kopf. »Nein!«, sagte er. »Du hast gesehen, es ist wieder passiert. Ich bin müde. Gib dich zufrieden mit dem, was ich dir von der Schatzinsel geholt habe. Die Münzen sind ein Vermögen wert. Ich will nach Hause und dein Gesicht nie wieder sehen.« Seine Stimme klang rauer als sonst, als hätte sie sich durch zu viele Wörter gelesen.
Capricorn blickte ihn einen Moment lang abschätzend an. Dann musterte er die Säcke und Kisten, die seine Männer mit Münzen gefüllt hatten, als rechnete er im Geist nach, wie lange ihr Inhalt ihm das Leben versüßen würde.
»Du hast Recht«, sagte er schließlich. »Wir machen morgen weiter. Sonst erscheint hier womöglich als Nächstes ein stinkendes Kamel oder noch so ein halb verhungerter Junge.«
»Morgen?« Mo machte einen Schritt auf ihn zu. »Was soll das heißen? Gib dich zufrieden! Einer deiner Männer ist schon verschwunden, willst du der Nächste sein?«
»Mit dem Risiko kann ich leben«, antwortete Capricorn unbeeindruckt. Seine Männer sprangen auf, als er sich aus seinem Stuhl erhob und langsam die Altarstufen hinunterschritt. Wie die Schuljungen standen sie da, obwohl etliche größer als Capricorn waren, die Hände auf dem Rücken verschränkt, als hätten sie Angst, er würde im nächsten Moment die Sauberkeit ihrer Fingernägel kontrollieren. Meggie musste an das denken, was Basta gesagt hatte: wie jung er gewesen war, als er zu Capricorn kam. Und sie fragte sich, ob es Angst oder Bewunderung war, die die Männer die Köpfe senken ließ.
Capricorn war vor einem der prall gefüllten Säcke stehen geblieben. »Glaub mir, ich habe noch viel mit dir vor, Zauberzunge«, sagte er, während er in den Sack griff und sich die Münzen durch die Finger gleiten ließ. »Das heute war nur ein Test. Schließlich musste ich mich erst mit eigenen Augen und Ohren von deiner Gabe überzeugen, nicht wahr? All das Gold kann ich wirklich gut gebrauchen, doch morgen wirst du mir etwas anderes herbeilesen.«
Er schlenderte zu den Kartons, in denen die Bücher gelegen hatten, die nun nichts als Asche und ein paar Fetzen verbranntes Papier waren, und griff hinein. »Überraschung!«, verkündete er und hielt mit einem Lächeln ein Buch hoch. Es sah ganz anders aus als das Buch, das Meggie und Elinor ihm gebracht hatten. Es trug noch einen Schutzumschlag aus Papier, bunt, mit einem Bild darauf, das Meggie aus der Ferne nicht erkennen konnte. »Ja, eins habe ich noch!«, stellte Capricorn fest, während er zufrieden die fassungslosen Gesichter musterte. »Mein ganz persönliches Exemplar, könnte man sagen, und morgen, Zauberzunge, wirst du mir daraus vorlesen. Wie ich schon sagte, diese Welt gefällt mir ausgesprochen gut, doch es gibt da einen Freund aus alten Tagen, den ich hier vermisse. Deinem Vertreter habe ich nie erlaubt, seine Kunst an ihm zu erproben, ich hatte zu große Sorge, dass er ihn mir ohne Kopf oder mit nur einem Bein hierher holen würde, aber nun bist du ja da - ein Meister deines Faches.«
Mo starrte das Buch in Capricorns Hand immer noch so ungläubig an, als erwartete er, es würde sich im nächsten Moment in Luft auflösen.
»Ruh dich aus, Zauberzunge«, sagte Capricorn. »Schone deine kostbare Stimme. Du wirst viel Zeit dazu haben, denn ich muss fort und werde erst morgen Mittag zurück sein. Bringt die drei zurück in ihr Quartier!«, befahl er seinen Männern. »Gebt ihnen genug zu essen und ein paar Decken für die Nacht. Ach ja, und Mortola soll ihm Tee bringen lassen, so etwas soll Wunder wirken bei Heiserkeit und einer müden Stimme. Hast du nicht immer auf Tee mit Honig geschworen, Darius?« Fragend drehte er sich zu seinem alten Vorleser um.
Der nickte nur und sah Mo voll Mitgefühl an.
»Zurück in ihr Quartier? Reden Sie etwa von dem Loch, in das Ihr Messermensch uns letzte Nacht gesteckt hat?« Elinors Gesicht bekam rote Flecken, ob vor Entsetzen oder Entrüstung, konnte Meggie nicht erraten. »Das ist Freiheitsberaubung, was Sie hier treiben! Ach was, Menschenraub! Ja, Menschenraub. Wissen Sie, wie viele Jahre Gefängnis darauf stehen?«
»Menschenraub!« Basta ließ sich das Wort auf der Zunge zergehen. »Das klingt gut. Wirklich.«
Capricorn lächelte ihm zu. Dann musterte er Elinor, als sähe er sie zum ersten Mal. »Basta«, sagte er. »Nützt uns diese Dame da irgendetwas?«
»Nicht, dass ich wüsste«, antwortete Basta und lächelte wie ein Junge, dem man gerade erlaubt hatte, ein Spielzeug zu zerschlagen. Elinor wurde blass und wollte einen Schritt zurücktreten, doch Cockerell trat ihr in den Weg und hielt sie fest.
»Was tun wir normalerweise mit unnützen Dingen, Basta?«, fragte Capricorn leise.
Basta lächelte immer noch.
»Hör auf damit!«, fuhr Mo Capricorn an. »Hör sofort auf, ihr Angst zu machen, oder ich lese kein Wort mehr.«
Capricorn drehte ihm mit gelangweilter Miene den Rücken zu. Und Basta lächelte.
Meggie sah, wie Elinor sich die Hand auf die zitternden Lippen presste. Schnell trat sie an ihre Seite. »Sie ist nicht unnütz. Sie kennt sich mit Büchern aus, besser als irgendjemand sonst!«, sagte sie, während sie Elinors Hand drückte.
Capricorn drehte sich um. Der Blick seiner Augen ließ Meggie schaudern, als striche ihr jemand mit kalten Fingern über den Rücken. Seine Wimpern waren hell wie Spinnweben.
»Elinor kennt bestimmt mehr Geschichten mit Schätzen als dein dünner Vorleser!«, stammelte sie. »Ganz bestimmt.«
Elinor drückte Meggies Finger so fest, dass sie sie fast zerdrückte. Ihre eigenen Finger waren schweißnass. »Ja! Sicher, ganz bestimmt!«, stieß sie mit belegter Stimme hervor. »Da fallen mir bestimmt noch etliche ein.«
»So, so!«, sagte Capricorn nur und verzog die wohlgeformten Lippen. »Nun, wir werden sehen.« Dann gab er seinen Männern ein Zeichen und sie schubsten Elinor, Meggie und Mo vor sich her - an den Tischen vorbei, an Capricorns Statue und den roten Säulen, hinaus aus der schweren Tür, die ächzte, als sie sie aufstießen.
Die Kirche warf ihren Schatten auf den Platz zwischen den Häusern. Es roch nach Sommer und die Sonne schien vom wolkenlos blauen Himmel, als wäre nichts geschehen.