»Oh, verdammt, verdammt noch mal!«, fluchte Elinor, während sie ihren Gurt löste. »Alle in Ordnung?«
»Ich weiß schon, warum ich Autos nie getraut habe!«, murmelte Staubfinger und stieß seine Tür auf.
Meggie saß da und zitterte am ganzen Leib.
Mo zog sie aus dem Auto und blickte ihr besorgt ins Gesicht. »Alles in Ordnung?«
Meggie nickte.
Farid kletterte auf Staubfingers Seite heraus. Ob er immer noch an einen Traum glaubte?
Staubfinger stand auf der Straße, den Rucksack über der Schulter, und lauschte. Aus der Ferne drang das Geräusch eines Motors durch die Nacht.
»Das Auto muss von der Straße!«, sagte er.
»Was?« Elinor sah ihn entgeistert an.
»Wir müssen es den Abhang hinunter schieben.«
»Mein Auto?« Elinor schrie fast.
»Er hat Recht, Elinor«, sagte Mo. »Vielleicht können wir sie so abschütteln. Wir schieben das Auto den Abhang hinunter. Wahrscheinlich sehen sie es dann nicht mal in der Dunkelheit. Und falls doch, werden sie denken, wir wären von der Straße abgekommen. Während wir den Hang weiter hinaufklettern und uns erst mal zwischen den Bäumen verstecken.«
Elinor warf einen zweifelnden Blick hinauf. »Aber das ist viel zu steil! Und was ist mit den Schlangen?«
»Basta hat bestimmt schon ein neues Messer«, sagte Staubfinger.
Elinor schenkte ihm ihren finstersten Blick. Dann trat sie ohne ein weiteres Wort hinter ihr Auto und warf einen Blick in den Kofferraum. »Wo ist unser Gepäck?«, fragte sie.
Staubfinger musterte sie amüsiert. »Wahrscheinlich hat Basta es unter Capricorns Mägden verteilt. Er macht sich gern etwas beliebt bei ihnen.«
Elinor sah ihn an, als glaubte sie ihm nicht ein einziges Wort. Dann schlug sie den Kofferraum zu, stemmte die Arme gegen den Wagen und begann zu schieben.
Sie schafften es nicht.
Sosehr sie auch schoben und stießen, Elinors Wagen rollte zwar von der Straße, doch er rutschte kaum mehr als zwei Meter die Böschung hinab. Dann blieb er stecken, die Blechnase im Dickicht verfangen, und rührte sich nicht mehr. Das Motorengeräusch aber, das so seltsam fremd in dieser menschenfernen Wildnis klang, drang schon bedrohlich laut an ihre Ohren. Nass geschwitzt stiegen sie wieder zur Straße hinauf - nachdem Staubfinger dem starrköpfigen Wagen einen letzten Tritt versetzt hatte -, kletterten über die Mauer, die aussah, als wäre jeder einzelne Stein mehr als tausend Jahre alt, und kämpften sich den Hang hinauf. Nur weg von der Straße. Mo zog Meggie hinter sich her, und Staubfinger half Farid. Elinor hatte genug mit sich selbst zu tun. Der ganze Hang war von Mauern überzogen, mühsamen Versuchen, der kargen Erde schmale Felder und Gärten abzuringen, für ein paar Olivenbäume, Weinstöcke, was immer auf diesem Boden Früchte trug. Aber die Bäume waren längst verwildert und die Erde von Früchten bedeckt, die niemand mehr geerntet hatte, weil die Menschen längst fortgezogen waren, um irgendwo ein weniger hartes Leben zu finden.
»Runter mit den Köpfen!«, keuchte Staubfinger, während er sich mit Farid hinter eine der verfallenen Mauern duckte. »Sie kommen!«
Mo zog Meggie unter den nächsten Baum. Das Dornenge-strüpp, das zwischen den knotigen Wurzeln wuchs, war gerade hoch genug, um sie zu verbergen.
»Und die Schlangen?«, flüsterte Elinor, während sie ihnen nachstolperte.
»Denen ist es jetzt zu kalt!«, flüsterte Staubfinger aus seinem Versteck. »Haben Sie denn gar nichts aus all Ihren schlauen Büchern gelernt?«
Elinor hatte die Antwort schon auf der Zunge, doch Mo presste ihr die Hand auf den Mund. Unter ihnen tauchte das Auto auf. Es war der Lieferwagen, aus dem der verschlafene Wachtposten gekrochen war. Ohne langsamer zu werden, fuhr der Wagen an der Stelle vorbei, an der sie Elinors Kombi den Abhang hinuntergeschoben hatten, und verschwand hinter der nächsten Straßenbiegung. Meggie wollte erleichtert den Kopf aus den Dornen nehmen, aber Mo drückte sie wieder nach unten. »Noch nicht!«, flüsterte er - und lauschte.
Die Nacht war so still, wie Meggie es noch nie erlebt hatte. Als könnte man die Bäume atmen hören, die Bäume, das Gras und die Nacht selbst.
Sie sahen die Scheinwerfer des Lieferwagens drüben am Hang eines anderen Hügels auftauchen: zwei Lichtfinger in der Dunkelheit, die sich eine unsichtbare Straße entlangtasteten. Doch plötzlich kamen sie nicht mehr von der Stelle.
»Sie wenden!«, flüsterte Elinor. »O mein Gott. Was jetzt?«
Sie wollte sich aufrichten, aber Mo hielt sie fest. »Bist du verrückt?«, flüsterte er. »Es ist zu spät, um weiterzuklettern. Sie würden uns sehen.«
Mo hatte Recht. Der Lieferwagen kam schnell zurück. Meggie sah, wie er nur ein paar Meter entfernt von der Stelle hielt, an der sie Elinors Wagen von der Straße geschoben hatten. Sie hörte, wie die Autotüren aufsprangen, und sah zwei Männer aussteigen. Beide kehrten ihnen den Rücken zu, aber als einer von ihnen sich umdrehte, glaubte Meggie Bastas Gesicht zu erkennen, obwohl es kaum mehr war als ein heller Fleck in der Nacht.
»Da ist der Wagen!«, sagte der andere. War es Flachnase? Groß und breit genug war er.
»Sieh nach, ob sie drin sind.« Ja, das war Basta. Meggie hätte seine Stimme aus tausend anderen herausgehört.
Flachnase stieg tapsig wie ein Bär den Abhang hinunter. Meggie hörte ihn fluchen, auf die Dornen, auf die Stacheln, auf die Dunkelheit und das verdammte Gesindel, für das er in der Nacht herumstolpern musste. Basta stand immer noch auf der Straße. Sein Gesicht bekam scharfe Schatten, als er ein Feuerzeug aufflammen ließ, um sich eine Zigarette anzuzünden. Der Rauch tanzte weiß zu ihnen herauf, bis Meggie ihn zu riechen glaubte.
»Sie sind nicht da!«, rief Flachnase. »Sie müssen zu Fuß weitergegangen sein. Verdammt, glaubst du, wir müssen ihnen nach?«
Basta trat an den Straßenrand und blickte hinunter. Dann drehte er sich um und betrachtete den Hang, auf dem Meggie sich mit pochendem Herzen an Mos Seite kauerte. »Sehr weit können sie noch nicht sein«, sagte er. »Aber in der Dunkelheit wird es schwer sein, ihre Spur zu finden.«
»Genau!« Flachnase keuchte, als er wieder auf der Straße auftauchte. »Schließlich sind wir keine verfluchten Indianer, stimmt's?«
Basta antwortete nicht. Er stand nur da, lauschte und zog an seiner Zigarette. Dann flüsterte er Flachnase etwas zu. Meggie blieb das Herz fast stehen.
Flachnase blickte sich besorgt um. »Nein, lass uns lieber die Hunde holen!«, hörte Meggie ihn sagen. »Selbst wenn sie sich hier irgendwo versteckt haben, woher sollen wir wissen, ob sie rauf- oder runtergegangen sind?«
Basta warf einen Blick auf die Bäume, blickte die Straße hinunter und trat seine Zigarette aus. Dann ging er zurück zum Wagen und holte zwei Flinten heraus. »Wir versuchen es erst mal mit runter«, sagte er und warf Flachnase eine Flinte zu. »Die Dicke klettert bestimmt lieber bergab.« Ohne ein weiteres Wort verschwand er in der Dunkelheit. Flachnase warf dem Lieferwagen einen sehnsüchtigen Blick zu - und stapfte Basta murrend hinterher.
Die beiden waren kaum außer Sicht, als Staubfinger sich aufrichtete, lautlos wie ein Schatten, und den Hang hinaufzeigte. Das Herz klopfte Meggie bis zum Hals, als sie ihm folgten. Von Baum zu Baum huschten sie, von Strauch zu Strauch, immer wieder einen Blick zurückwerfend. Bei jedem Zweig, der unter ihren Schuhen zerbrach, schrak Meggie zusammen, doch zum Glück machten auch Basta und Flachnase einigen Lärm, während sie sich durch das Dickicht den Berg hinabbewegten.