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Sie brachten ihre beiden Gefangenen in das verfallene Haus. »Nett von uns, nicht wahr? Da werden die Schlangen euch fürs Erste in Ruhe lassen«, sagte Staubfinger, während sie Basta durch die enge Tür trugen. »Zur Mittagszeit wird es natürlich auch hier ziemlich heiß, doch vielleicht hat euch bis dahin ja jemand gefunden. Die Hunde werden wir freilassen. Wenn sie klug sind, laufen sie nicht ins Dorf zurück, aber Hunde sind selten klug - und so wird euch die ganze Bande wohl spätestens heute Nachmittag suchen.«

Flachnase wachte erst auf, als er neben Basta unter dem löchrigen Dach lag. Er rollte wütend mit den Augen und verfärbte sich purpurrot, aber er konnte ebenso wenig einen Ton herausbringen wie Basta, denn Farid hatte die beiden geknebelt, auch das sehr fachmännisch.

»Einen Moment noch«, sagte Staubfinger, bevor sie die zwei ihrem Schicksal überließen. »Eine Sache gibt es da noch zu erledigen, etwas, das ich immer schon tun wollte.« Und zu Meggies

Schreck zog er Bastas Messer aus dem Gürtel und trat damit auf die Gefangenen zu.

»Was soll das?«, fragte Mo und stellte sich ihm in den Weg. Offenbar hatte er dasselbe gedacht wie Meggie, doch Staubfinger lachte nur. »Keine Sorge, ich will ihm nicht dasselbe Muster ins Gesicht schnitzen, mit dem er meins verschönert hat«, sagte er. »Ich will ihm bloß etwas Angst machen.«

Und schon bückte er sich und durchtrennte mit einem Schnitt das Lederband, das Basta um den Hals trug. Ein kleiner Beutel hing daran, zugezurrt mit einem roten Band. Staubfinger beugte sich über Basta und ließ den Beutel über seinem Gesicht hin-und herschwingen. »Ich nehme dein Glück mit, Basta!«, sagte er leise, während er sich aufrichtete. »Nun schützt dich nichts mehr vor dem bösen Blick, vor Geistern und Dämonen, vor Flüchen, schwarzen Katzen und wovor du sonst noch Angst hast.«

Basta versuchte mit den gefesselten Beinen nach ihm zu treten, aber Staubfinger wich ihm ohne Mühe aus. »Auf Nimmerwiedersehen, Basta!«, sagte er. »Und sollten sich unsere Wege doch noch einmal kreuzen, dann hab ich ja jetzt das hier.« Er knotete das Lederband in seinem Nacken zusammen. »Bestimmt ist eine Haarsträhne von dir drin, oder? Nein? Vielleicht sollte ich mir lieber noch eine mitnehmen. Hat es nicht eine ganz und gar grässliche Wirkung, wenn man das Haar eines anderen ins Feuer hält?«

»Schluss jetzt!«, sagte Mo und zog ihn mit sich. »Lass uns machen, dass wir fortkommen. Wer weiß, wann Capricorn die zwei vermisst. Hab ich dir eigentlich schon erzählt, dass er nicht alle Bücher verbrannt hat? Ein Exemplar von Tintenherz gibt es noch.«

Staubfinger blieb so abrupt stehen, als hätte ihn eine Schlange gebissen.

»Ich dachte, ich muss es dir sagen.« Mo sah ihn nachdenklich an. »Auch wenn es dich vielleicht auf dumme Ideen bringt.«

Staubfinger nickte nur. Dann ging er ohne ein Wort weiter.

»Warum nehmen wir nicht ihren Wagen?«, schlug Elinor vor, als sie zu dem Pfad zurückkehrten, auf dem sie gekommen waren. »Sie haben ihn bestimmt an der Straße stehen lassen.«

»Zu gefährlich«, antwortete Staubfinger. »Wer weiß, wer an der Straße auf uns wartet. Zurück würden wir außerdem länger brauchen als zum nächsten Ort. Und so ein Auto ist leicht zu finden. Wollen Sie Capricorn auf unsere Spur locken?«

Elinor seufzte. »War ja nur so eine Idee«, murmelte sie und massierte ihre schmerzenden Knöchel.

Sie blieben auf dem Weg, denn im hohen Gras regten sich wirklich bereits die Schlangen. Einmal kroch eine schwarz und schmal vor ihnen über die gelbe Erde, und Staubfinger schob ihr einen Stock unter den schuppigen Leib und warf sie zurück in das Dor-nengestrüpp, aus dem sie gekrochen war. Meggie hatte sich die Schlangen größer vorgestellt, doch Elinor versicherte ihr, dass die kleinsten auch die gefährlichsten waren. Elinor humpelte, aber sie tat ihr Bestes, die anderen nicht aufzuhalten. Auch Mo ging langsamer als sonst. Er versuchte es zu verbergen, aber der Hundebiss machte ihm zu schaffen.

Meggie ging dicht neben ihm, den Blick immer wieder besorgt auf das rote Tuch geheftet, das Staubfinger um die Wunde geschlungen hatte. Irgendwann stießen sie auf eine befestigte Straße. Ein Laster kam ihnen darauf entgegen, beladen mit rostigen Gasflaschen. Sie waren zu müde, sich zu verstecken, außerdem kam er ja nicht aus Capricorns Richtung; Meggie sah, wie verwundert der Mann hinter dem Steuer sie musterte, als er an ihnen vorbeifuhr. Sie mussten einen abenteuerlichen Anblick bieten in ihren verschmutzten Sachen, schweißnass und zerrissen von all den Dornbüschen, durch die sie sich gekämpft hatten.

Kurz darauf kamen sie an den ersten Häusern vorbei, immer mehr klebten an den Hängen, bunt verputzt, Blumen vor der Tür. Bald stießen sie auf die Ausläufer eines größeren Ortes. Meggie sah mehrstöckige Häuser, Palmen mit staubigen Blättern und plötzlich, noch weit entfernt und silbern von der Sonne, das Meer.

»Herrgott, ich hoffe, sie lassen uns in irgendeine Bank hinein«, sagte Elinor. »Wir sehen aus, als wären wir unter die Räuber gefallen.«

»Na, das sind wir ja auch«, sagte Mo. »Oder?«

In Sicherheit

Die Tage schleppten sich trübselig dahin, zum Glück aber nahm jeder neu anbrechende ein klein wenig von der Seelenangst weg, die auf dem armen Jungen lastete.

Mark Twain, Die Abenteuer des Tom Sawyer

Man ließ Elinor trotz ihrer zerrissenen Strümpfe in eine Bank. Aber zunächst verschwand sie im ersten Cafe, das an der Straße lag, in der Damentoilette. Meggie erfuhr nie, wo genau sie ihre Wertsachen zu verstecken pflegte, doch als Elinor zurückkam, war ihr Gesicht gewaschen, das Haar nicht mehr ganz so verklettet und sie hielt triumphierend eine goldene Kreditkarte hoch. Dann bestellte sie für alle Frühstück.

Es war ein eigenartiges Gefühl, plötzlich in einem Cafe zu sitzen, zu essen und draußen auf der Straße ganz gewöhnliche Menschen zu beobachten, die zur Arbeit gingen, einkauften oder einfach nur dastanden und sich unterhielten. Meggie konnte kaum glauben, dass sie nur zwei Nächte und einen Tag in Capricorns Dorf verbracht hatte und dass all dies - das alltägliche Gedränge da draußen - die ganze Zeit über nicht stillgestanden hatte.

Trotzdem hatte sich etwas geändert. Seit Meggie gesehen hatte, wie Basta sein Messer an Mos Hals presste, schien es, als hätte die Welt einen Fleck, einen hässlichen schwarzbraunen Brandfleck, der sich stinkend und knisternd weiterfraß.

Selbst die harmlosesten Dinge hatten plötzlich einen schmutzigen Schatten. Eine Frau lächelte Meggie zu und blieb danach vor den Auslagen einer Schlachterei stehen. Ein Mann zog ein Kind so ungeduldig hinter sich her, dass es stolperte und sich weinend das aufgeschlagene Knie rieb. Und bei dem dort, warum wölbte sich seine Jacke so über dem Gürtel? Trug er vielleicht ein Messer wie Basta?

Der Frieden schien unwirklich, unecht. Die Flucht durch die Nacht und die Angst bei der verfallenen Hütte schienen Meggie wirklicher als die Limonade, die Elinor ihr hinschob.

Farid rührte sein Glas nicht an. Er schnupperte einmal an dem gelben Inhalt, nahm einen Schluck und blickte dann nur noch aus dem Fenster. Seine Augen konnten sich kaum entscheiden, wem oder was sie zuerst folgen sollten. Sein Kopf fuhr hin und her, als folgte er einem unsichtbaren Spiel, dessen Regeln er verzweifelt zu verstehen versuchte.

Nach dem Frühstück erkundigte Elinor sich am Tresen nach dem besten Hotel der Stadt. Während sie mit ihrer Kreditkarte die Rechnung beglich, betrachtete Meggie mit Mo all die Köstlichkeiten, die hinter dem Glas des Tresens standen, und als sie sich umdrehten, waren Staubfinger und Farid verschwunden. Elinor beunruhigte das sehr, doch Mo beschwichtigte ihre Sorge. »Mit einem Hotelbett kannst du Staubfinger nicht locken. Er schläft ungern unter einem festen Dach«, sagte er, »und er ist immer schon seine eigenen Wege gegangen. Vielleicht will er nur fort, vielleicht stellt er sich auch erst einmal an die nächste Straßenecke und gibt eine Vorstellung für die Touristen. Glaub mir, zu Capricorn wird er bestimmt nicht zurückgehen.«