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»Himmel, was hast du da reingepackt? Ziegelsteine?«, fragte Mo, als er Meggies Bücherkiste aus dem Haus trug.

»Du sagst es doch selbst immer: Bücher müssen schwer sein, weil die ganze Welt in ihnen steckt«, antwortete Meggie - und brachte ihn zum ersten Mal an diesem Morgen zum Lachen.

Der Bus, der wie ein bunt geschecktes plumpes Tier in der verlassenen Scheune stand, war Meggie vertrauter als alle Häuser, in denen sie mit Mo je gewohnt hatte. Nirgends schlief sie so tief und fest wie in dem Bett, das er ihr in den Bus gebaut hatte. Einen Tisch gab es natürlich auch, eine Kochecke und eine Bank, unter deren Sitzfläche, wenn man sie hochklappte, Reiseführer, Straßenkarten und zerlesene Taschenbücher zum Vorschein kamen.

Ja. Meggie liebte den Bus, aber an diesem Morgen zögerte sie hineinzuklettern. Als Mo noch mal zum Haus zurückging, um die Tür abzuschließen, hatte sie plötzlich das Gefühl, dass sie nie zurückkommen würden, dass diese Reise anders werden würde als all die anderen, dass sie weiter und weiter fahren würden auf der Flucht vor etwas, das keinen Namen hatte. Zumindest keinen, den Mo ihr verriet.

»Also, auf nach Süden!«, sagte er nur, als er sich hinter das Lenkrad klemmte. Und so machten sie sich auf den Weg - ohne von jemandem Abschied zu nehmen, an einem viel zu frühen Morgen, der nach Regen roch.

Doch am Tor wartete Staubfinger schon auf sie.

Nach Süden

»Hinter dem Wilden Wald kommt die weite Welt«, sagte die Ratte. »Und die geht uns nichts an, dich nicht und mich auch nicht. Ich war noch nie drin, und ich gehe auch nicht hinein, und du schon gar nicht, wenn du ein bißchen Verstand hast.«

Kenneth Grahame, Der Wind in den Weiden

Staubfinger musste hinter der Mauer an der Straße gewartet haben. Hundertmal und öfter war Meggie darauf hin- und herbalanciert, bis zu den rostigen Torangeln und wieder zurück, mit fest geschlossenen Augen, damit sie den Tiger deutlicher sehen konnte, der am Fuße der Mauer im Bambus lauerte, die Augen gelb wie Bernstein, oder die Stromschnellen, die rechts und links von ihr schäumten.

Jetzt stand nur Staubfinger da. Aber kein anderer Anblick hätte Meggies Herz schneller schlagen lassen. Er tauchte so plötzlich auf, dass Mo ihn fast überfuhr, nur im Pullover, die Arme fröstelnd um den Leib geschlungen. Sein Mantel war wohl noch feucht vom Regen, doch sein Haar war inzwischen getrocknet. Rotblond sträubte es sich über dem narbigen Gesicht.

Mo stieß einen unterdrückten Fluch aus, stellte den Motor ab und stieg aus dem Bus. Staubfinger setzte sein seltsames Lächeln auf und lehnte sich gegen die Mauer. »Wo willst du hin, Zauberzunge?«, fragte er. »Hatten wir nicht eine Verabredung? Auf die Art hast du mich schon einmal versetzt, erinnerst du dich?«

»Du weißt, warum ich es eilig habe«, antwortete Mo. »Es ist derselbe Grund wie damals.« Er stand immer noch neben der offenen Wagentür, angespannt, als könnte er es nicht erwarten, dass Staubfinger endlich aus dem Weg ging.

Aber der tat, als spürte er nichts von Mos Ungeduld. »Darf ich denn diesmal erfahren, wo du hinwillst?«, fragte er. »Beim letzten Mal musste ich vier Jahre lang nach dir suchen, und mit etwas Pech hätten Capricorns Männer dich vor mir gefunden.« Als er zu Meggie hinübersah, starrte sie feindselig zurück.

Mo schwieg eine Weile, bevor er antwortete. »Capricorn ist im Norden«, sagte er schließlich. »Also fahren wir nach Süden. Oder hat er seine Zelte inzwischen woanders aufgeschlagen?«

Staubfinger blickte die Straße hinunter. In den Schlaglöchern schimmerte der Regen der vergangenen Nacht. »Nein, nein!«, sagte er. »Nein, er ist immer noch im Norden. Das ist das, was man hört, und da du dich ja offenbar wieder mal entschlossen hast, ihm nicht zu geben, was er sucht, mache ich mich wohl besser auch schleunigst auf in den Süden. Ich möchte weiß Gott nicht der sein, von dem Capricorns Männer die schlechte Nachricht hören. Wenn ihr mich also ein Stück mitnehmen würdet ... Ich bin reisefertig!« Die zwei Taschen, die er hinter der Mauer hervorzerrte, sahen aus, als wären sie bereits ein Dutzend Mal um den Globus gereist. Außer ihnen hatte Staubfinger nur noch seinen Rucksack dabei.

Meggie presste die Lippen aufeinander.

Nein, Mo!, dachte sie. Nein, wir nehmen ihn nicht mit! Aber sie brauchte ihren Vater bloß anzusehen, um zu wissen, dass seine Antwort anders lauten würde.

»Nun komm schon!«, sagte Staubfinger. »Was soll ich Capricorns Männern erzählen, wenn sie mich in die Finger bekommen?«

Verloren wie ein ausgesetzter Hund sah er aus, wie er so dastand. Und sosehr Meggie sich auch Mühe gab, etwas Unheimliches an ihm zu entdecken, im blassen Morgenlicht konnte sie nichts finden. Trotzdem wollte sie nicht, dass er mitkam. Auf ihrem Gesicht war das sicher zu deutlich zu lesen, aber keiner der beiden Männer achtete auf sie.

»Glaub mir, ich würde ihnen nicht lange verheimlichen können, dass ich dich gesehen habe«, fuhr Staubfinger fort. »Und außerdem ...«, er zögerte, bevor er den Satz vollendete, ». außerdem bist du mir immer noch was schuldig, oder?«

Mo senkte den Kopf. Meggie sah, wie sich seine Hand fester um die offene Wagentür schloss. »Wenn du es so sehen willst«, sagte er. »Ja, ich nehme an, ich schulde dir was.«

Auf Staubfingers narbigem Gesicht machte sich Erleichterung breit. Schnell warf er sich den Rucksack über die Schulter und kam mit seinen Taschen auf den Bus zu.

»Wartet!«, rief Meggie, als Mo ihm entgegenging, um ihm mit den Taschen zu helfen. »Wenn er mitkommt, will ich erst wissen, warum wir weglaufen. Wer ist dieser Capricorn?«

Mo drehte sich zu ihr um. »Meggie ...«, begann er, in dem Tonfall, den sie nur zu gut kannte: Meggie, nun sei nicht so dumm. Meggie, nun komm schon.

Sie öffnete die Bustür und sprang hinaus.

»Meggie, verdammt noch mal! Steig wieder ein. Wir müssen los ! «

»Ich steig erst wieder ein, wenn du es mir gesagt hast.«

Mo kam auf sie zu, aber Meggie schlüpfte ihm unter den Händen weg und lief durch das Tor auf die Straße.

»Warum sagst du es mir nicht?«, rief sie.

Die Straße lag so verlassen da, als gäbe es keine anderen Menschen auf der Welt. Ein sachter Wind hatte sich erhoben, er strich Meggie übers Gesicht und ließ die Blätter der Linde rauschen, die an der Straße stand. Der Himmel war immer noch fahl und grau, es wollte einfach nicht heller werden.

»Ich will wissen, was los ist!«, rief Meggie. »Ich will wissen, warum wir um fünf Uhr aufstehen mussten und warum ich nicht zur Schule muss. Ich will wissen, ob wir wiederkommen und wer dieser Capricorn ist!«

Als sie den Namen aussprach, sah Mo sich um, als könnte dieser Fremde, vor dem die beiden Männer offenbar so viel Angst hatten, im nächsten Augenblick aus der leeren Scheune treten, ebenso plötzlich, wie Staubfinger hinter der Mauer aufgetaucht war. Aber der Hof war leer und Meggie war zu wütend, um sich vor jemandem zu fürchten, von dem sie nur den Namen kannte. »Sonst hast du mir immer alles gesagt!«, rief sie ihrem Vater zu. »Immer.«

Aber Mo schwieg. »Ein paar Geheimnisse hat jeder, Meggie«, sagte er schließlich. »Und jetzt steig endlich ein. Wir müssen los.«