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»Und Farid?« Meggie konnte nicht glauben, dass er einfach mit Staubfinger verschwunden war.

Aber Mo zuckte nur die Achseln. »Er ist ihm doch die ganze Zeit schon nicht von der Seite gewichen«, sagte er. »Obwohl ich nicht weiß, ob das mehr an Staubfinger oder an Gwin liegt.«

Das Hotel, das die Bedienung im Cafe Elinor empfohlen hatte, lag an einem Platz unweit der Hauptstraße, die sich, gesäumt von Palmen und Geschäften, durch den Ort zog. Elinor mietete zwei Zimmer im obersten Stock, von deren Balkon aus man das Meer sehen konnte. Es war ein großes Hotel. Unten neben dem Eingang stand ein seltsam gekleideter Mann, der zwar erstaunt schien über ihr fehlendes Gepäck, aber ihre schmutzige Kleidung mit freundlichem Lächeln übersah. Die Betten waren so weich und weiß, dass Meggie erst einmal ihr Gesicht darin vergrub. Das Gefühl der Unwirklichkeit verließ sie trotzdem nicht. Etwas von ihr war immer noch in Capricorns Dorf, stolperte durch Dornen und lehnte zitternd in der verfallenen Hütte, während Basta draußen näher kam. Mo schien es nicht anders zu gehen. Immer, wenn sie ihn ansah, war sein Gesicht abwesend, und statt der Erleichterung, die sie vielleicht erwartet hatte, nach all dem, was sie erlebt hatten, entdeckte sie Traurigkeit darauf - und eine Nachdenklichkeit, die ihr Angst machte.

»Du denkst doch nicht darüber nach zurückzugehen, oder?«, fragte sie ihn irgendwann, als wieder dieser Ausdruck auf seinem Gesicht lag. Sie kannte ihn so gut.

»Nein, mach dir keine Sorgen!«, antwortete er und strich ihr übers Haar. Aber sie glaubte ihm nicht.

Elinor schien dieselbe Befürchtung zu haben wie Meggie, ein paar Mal redete sie mit ernster Miene auf Mo ein - auf dem Hotelflur vor ihrem Zimmer, beim Frühstück, beim Essen - und schwieg abrupt, sobald Meggie dazukam. Elinor war es auch, die einen Arzt kommen ließ, der Mos Arm versorgte, obwohl Mo das nicht für nötig hielt, und die ihnen allen etwas Neues zum Anziehen kaufte, mit Meggie zusammen, denn, wie sie sagte: »Wenn ich dir etwas aussuche, wirst du es sowieso nicht anziehen.« Außerdem telefonierte sie viel. Sie telefonierte ständig und besuchte sämtliche Buchläden im Ort. Am dritten Tag dann erklärte sie plötzlich beim Frühstück, dass sie nach Hause fahren würde.

»Meine Füße schmerzen nicht mehr, die Sehnsucht nach meinen Büchern bringt mich um, und wenn ich noch einen Touristen in Badehose sehe, schreie ich«, sagte sie zu Mo. »Den Leihwagen hab ich schon. Aber bevor ich fahre, möchte ich dir noch das hier geben!«

Mit diesen Worten schob sie Mo einen Zettel über den Tisch. Ein Name und eine Adresse standen darauf, in Elinors großer, schwungvoller Handschrift. »Ich kenne dich, Mortimer!«, sagte sie. »Ich weiß, dass Tintenherz dir nicht aus dem Kopf geht. Deshalb habe ich dir Fenoglios Adresse besorgt. Glaub mir, es war nicht leicht, aber schließlich besteht eine gute Chance, dass er noch ein paar Exemplare besitzt. Versprich mir, dass du ihn besuchst -er wohnt gar nicht weit von hier - und dir das Buch in dem verfluchten Dorf für alle Zeiten aus dem Kopf schlägst.«

Mo starrte die Adresse an, als wollte er sie auswendig lernen, dann schob er den Zettel in seine neu gekaufte Geldbörse. »Du hast Recht, das ist wirklich einen Versuch wert!«, sagte er. »Vielen Dank, Elinor!« Er sah fast ein bisschen glücklich aus.

Meggie verstand kein Wort. Sie wusste nur eins: Sie hatte Recht gehabt. Mo dachte immer noch an Tintenherz, er konnte sich nicht damit abfinden, dass er es verloren hatte.

»Fenoglio? Wer ist das?«, fragte sie mit unsicherer Stimme. »Irgendein Buchhändler?« Der Name kam ihr bekannt vor, doch sie konnte sich nicht erinnern, woher.

Mo antwortete nicht. Er starrte aus dem Fenster.

»Lass uns mit Elinor fahren, Mo!«, sagte Meggie. »Bitte!«

Es war schön, morgens ans Meer zu gehen, und sie mochte die bunten Häuser, aber sie wollte trotzdem fort. Jedes Mal, wenn sie die Hügel sah, die sich hinter dem Ort erhoben, klopfte ihr Herz schneller, und immer wieder glaubte sie im Menschengedränge auf den Straßen das Gesicht von Basta oder von Flachnase zu entdecken. Sie wollte nach Hause, oder wenigstens zu Elinor. Sie wollte zusehen, wie Mo Elinors Büchern zu neuen Kleidern ver-half, wie er mit seinen Stempeln brüchiges Gold in Leder drückte, Vorsatzpapier auswählte, den Leim anrührte, die Presse festzog. Sie wollte, dass alles wieder so war wie vor der Nacht, in der Staubfinger aufgetaucht war.

Doch Mo schüttelte den Kopf. »Ich muss erst noch diesen Besuch erledigen, Meggie«, sagte er. »Danach fahren wir zu Elinor. Spätestens übermorgen.«

Meggie starrte auf ihren Teller. Was für unglaubliche Dinge man in einem teuren Hotel zum Frühstück bekommen konnte ... aber sie hatte keinen Appetit mehr auf frische Waffeln mit Erdbeeren.

»Gut, dann seh ich euch in zwei Tagen. Gib mir dein Ehrenwort darauf, Mortimer!« Die Sorge in Elinors Stimme war nicht zu überhören. »Du kommst, selbst wenn du bei Fenoglio keinen Erfolg hast. Versprich es mir!«

Mo musste lächeln. »Heiliges Ehrenwort, Elinor«, sagte er.

Eiinor stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus und biss in das Croissant, das schon die ganze Zeit auf ihrem Teller wartete.

»Frag mich nicht, was ich anstellen musste, um die Adresse zu bekommen!«, sagte sie mit vollem Mund. »Der Mann wohnt wirklich nicht weit von hier, mit einem Auto ist es bestimmt kaum eine Stunde Fahrt. Seltsam, dass Capricorn und er so nah beieinander wohnen, nicht wahr?«

»Ja, seltsam«, murmelte Mo und blickte aus dem Fenster. Durch die Palmen im Hotelgarten strich der Wind.

»Seine Geschichten spielen fast alle in dieser Gegend«, fuhr Elinor fort, »aber soweit ich weiß, hat er lange im Ausland gelebt und ist erst vor wenigen Jahren wieder hergezogen.« Sie winkte einer Bedienung und ließ sich Kaffee nachschenken.

Meggie schüttelte den Kopf, als die Kellnerin sie fragte, ob sie ihr noch etwas bringen sollte. »Mo, ich will nicht mehr hier bleiben!«, sagte sie leise. »Ich will auch niemanden besuchen. Ich will nach Hause. Oder wenigstens zu Elinor.«

Mo griff nach seinem Kaffee. Er verzog immer noch das Gesicht, wenn er den linken Arm bewegte. »Wir machen diesen Besuch gleich morgen, Meggie«, sagte er. »Du hast ja gehört, es ist gar nicht weit von hier. Und spätestens übermorgen Abend schläfst du wieder in Elinors riesigem Bett, in dem eine ganze Schulklasse Platz hätte.«

Er wollte sie zum Lachen bringen, aber Meggie war nicht zum Lachen zumute. Sie betrachtete die Erdbeeren auf ihrem Teller. Wie rot sie waren.

»Ich werde mir auch ein Auto mieten müssen, Elinor«, sagte Mo. »Kannst du mir das Geld dafür leihen? Ich gebe es dir zurück, sobald wir zu dir kommen.«

Elinor nickte und warf Meggie einen langen Blick zu. »Weißt du was, Mortimer«, sagte sie. »Ich glaube, deine Tochter ist zurzeit auf Bücher nicht gut zu sprechen. Ich erinnere mich an das Gefühl. Jedes Mal, wenn mein Vater wieder so tief in einem versank, dass wir unsichtbar wurden, hätte ich es am liebsten mit einer Schere zerschnitten. Und heute? Heute bin ich genauso verrückt wie er. Ist das nicht seltsam? Na gut!« Sie faltete ihre Serviette zusammen und schob ihren Stuhl zurück. »Ich werde jetzt packen, und du erzählst deiner Tochter, wer Fenoglio ist.«

Dann war sie fort. Und Meggie saß allein mit Mo am Tisch. Er bestellte sich noch einen Kaffee, obwohl er sonst nie mehr als eine Tasse trank.

»Was ist mit deinen Erdbeeren?«, fragte er. »Willst du sie nicht?«