Als Staubfinger sich verbeugte und seine Bälle zurück in den Rucksack schob, verliefen die Zuschauer sich nur zögernd, doch schließlich standen bloß noch Mo und Meggie da. Farid hockte sich auf das Pflaster und zählte das Geld, das er gesammelt hatte. Er sah zufrieden aus - als hätte er nie etwas anderes getan.
»Du bist also doch noch hier«, sagte Mo.
»Warum nicht?« Staubfinger sammelte seine Sachen ein, die beiden Flaschen, die er schon in Elinors Garten benutzt hatte, die abgebrannten Fackeln, den Spucknapf, dessen Inhalt er achtlos auf das Straßenpflaster goss. Er hatte sich eine neue Tasche zugelegt, die alte stand wohl noch in Capricorns Dorf. Meggie schlenderte auf den Rucksack zu, aber Gwin saß nicht darin.
»Ich hatte gehofft, du würdest längst fort sein, an einem Ort, wo Basta dich nicht finden kann.«
Staubfinger zuckte die Achseln. »Erst muss ich noch etwas Geld auftreiben. Außerdem gefällt mir das Wetter hier besser und die Leute bleiben schneller stehen. Großzügig sind sie auch. Stimmt's, Farid? Wie ist die Ausbeute diesmal?«
Der Junge fuhr zusammen, als Staubfinger sich zu ihm umdrehte. Er hatte die Schale mit dem Geld zur Seite gestellt und wollte sich gerade ein brennendes Streichholz in den Mund schieben. Hastig drückte er es mit den Fingern aus. Staubfinger verkniff sich ein Lächeln. »Er will es unbedingt lernen, das Spiel mit dem Feuer. Ich habe ihm gezeigt, wie er sich kleine Übungsfackeln machen kann, aber er hat es zu eilig. Ständig hat er Brandblasen an den Lippen.«
Meggie sah unauffällig zu Farid hinüber. Er tat, als beachtete er sie nicht, während er Staubfingers Sachen zurück in die Tasche packte, doch sie war sicher, dass er jedes Wort belauschte, das sie sprachen. Zweimal fing sie seinen Blick ein, seinen dunklen Blick, und beim zweiten Mal wandte er sich so abrupt um, dass er fast eine von Staubfingers Flaschen fallen ließ.
»He, he, Vorsicht damit, ja?«, fuhr Staubfinger ihn ungeduldig an.
»Dass du noch hier bist, hat hoffentlich keinen anderen Grund?«, fragte Mo, als Staubfinger sich wieder zu ihm umdrehte.
»Was meinst du damit?« Staubfinger wich seinem Blick aus. »Ach, das. Du denkst, ich könnte noch mal zurückgehen, wegen des Buches. Du überschätzt mich. Ich bin ein Feigling.«
»Unsinn.« Mos Stimme klang ärgerlich. »Elinor fährt heute nach Hause«, sagte er.
»Schön für sie.« Staubfinger musterte Mos Gesicht mit ausdrucksloser Miene. »Und du? Fährst du nicht mit?«
Mo betrachtete die umstehenden Häuser und schüttelte den Kopf. »Ich will noch jemanden besuchen.«
»Hier? Wen?« Staubfinger schlüpfte in ein kurzärmeliges Hemd, ein buntes, groß geblümtes Ding, das so gar nicht zu seinem narbigen Gesicht passen wollte.
»Es gibt da jemanden, der noch ein Exemplar besitzen könnte. Du weißt schon ...«
Staubfingers Gesicht blieb ungerührt, aber seine Finger verrieten ihn. Sie taten sich plötzlich schwer damit, die Knöpfe seines Hemdes in die Knopflöcher zu zwängen. »Das kann nicht sein!«, sagte er heiser. »Capricorn hat beim Einsammeln bestimmt nicht eines übersehen.«
Mo zuckte die Schultern. »Vielleicht. Ich will es trotzdem versuchen. Der Mann, von dem ich spreche, ist kein Buchhändler oder Antiquar. Capricorn weiß wahrscheinlich nicht mal, dass er existiert.«
Staubfinger blickte sich um. In einem der umliegenden Häuser schloss jemand die Fensterläden, und auf der anderen Seite des Platzes spielten ein paar Kinder zwischen den Stühlen eines Restaurants, bis der Kellner sie wegscheuchte. Es roch nach warmem Essen und Staubfingers Feuerspielen, und kein schwarz gekleideter Mann war zwischen den Häusern zu entdecken, außer dem Kellner, der mit gelangweilter Miene die Stühle zurechtrückte.
»Und wer soll dieser geheimnisvolle Unbekannte sein?« Staubfinger senkte die Stimme, bis sie kaum mehr als ein Flüstern war.
»Der Mann, der Tintenherz geschrieben hat. Er lebt nicht weit von hier.«
Farid kam auf sie zugeschlendert, die Silberschale mit dem Geld in der Hand. »Gwin kommt gar nicht zurück«, sagte er zu Staubfinger. »Und wir haben nichts mehr, um ihn anzulocken. Soll ich ein paar Eier kaufen?«
»Nein, der versorgt sich schon selbst.« Staubfinger strich mit dem Finger über eine seiner Narben. »Steck das Geld, das wir eingenommen haben, in den Lederbeutel, du weißt schon, der in meinem Rucksack!«, sagte er zu Farid. Seine Stimme klang ungeduldig. Meggie hätte Mo vorwurfsvoll angesehen, wenn er so mit ihr gesprochen hätte, doch Farid schien nichts dabei zu finden. Eilfertig sprang er davon.
»Ich dachte wirklich, es wäre vorbei, kein Zurück, niemals ...« Staubfinger brach ab und blickte zum Himmel hinauf. Ein Flugzeug zog mit bunt blinkenden Lichtern über den Nachthimmel. Auch Farid sah hinauf. Er hatte das Geld weggesteckt und stand abwartend neben dem Rucksack. Etwas Pelziges huschte über den Platz auf ihn zu, krallte sich an seinen Hosenbeinen fest und kletterte ihm auf die Schulter. Mit einem Lächeln griff Farid in die Hosentasche und hielt Gwin ein Stück Brot hin.
»Was ist, wenn es wirklich noch ein Buch gibt?« Staubfinger strich sich das lange Haar aus der Stirn. »Gibst du mir dann noch eine Chance? Versuchst du noch mal, mich zurückzulesen? Nur ein einziges Mal?« Seine Stimme klang so sehnsüchtig, dass es Meggie wehtat.
Aber Mos Gesicht wurde abweisend. »Du kannst nicht zurück, nicht in dieses Buch!«, sagte er. »Ich weiß, du willst kein Wort darüber hören, doch es ist so. Finde dich endlich damit ab. Vielleicht kann ich dir irgendwann helfen, ich habe da so eine Idee, sie ist ziemlich verrückt, aber ...« Er sprach nicht weiter, schüttelte nur den Kopf und trat nach einer leeren Streichholzschachtel, die auf den Steinen lag.
Meggie sah ihn verblüfft an. Von was für einer Idee sprach er? Gab es sie wirklich oder wollte er Staubfinger nur trösten? Wenn ja, dann hatte er sein Ziel nicht erreicht. Staubfinger musterte ihn mit der alten Feindseligkeit. »Ich werde mitkommen«, sagte er. Seine Finger hatten etwas Ruß auf seinem Gesicht hinterlassen, als er sich über die Narbe strich. »Ich werde mitkommen, wenn du diesen Mann besuchst, und dann sehen wir weiter.«
Hinter ihnen erklang lautes Gelächter. Staubfinger sah sich um. Gwin versuchte Farid auf den Kopf zu klettern, und der Junge lachte, als gäbe es nichts Köstlicheres als ein paar spitze Marderkrallen auf der Kopfhaut.
»Er hat überhaupt kein Heimweh!«, murmelte Staubfinger. »Ich habe ihn gefragt. Keine Spur! All das hier« - er wies mit der Hand um sich - »gefällt ihm. Sogar der Lärm und der Gestank der Autos. Er ist froh, hier zu sein. Ihm hast du offenbar einen Gefallen getan.« Der Blick, den er ihrem Vater bei diesen Worten zuwarf, war so vorwurfsvoll, dass Meggie unwillkürlich nach Mos Hand griff.
Gwin war von Farids Schulter gesprungen und schnüffelte neugierig auf dem Pflaster herum. Eins der Kinder, die zwischen den Tischen herumgetobt waren, bückte sich und musterte ungläubig die kleinen Hörner. Aber bevor es die Hand nach dem Tier ausstrecken konnte, sprang Farid dazwischen, griff nach Gwin und setzte sich den Marder wieder auf die Schulter.
»Wo wohnt denn dieser ...?« Staubfinger ließ den Satz unbeendet.
»Etwa eine Stunde von hier.«
Staubfinger schwieg. Am Himmel blinkten schon wieder die Lichter eines Flugzeugs. »Manchmal, wenn man frühmorgens zum Brunnen ging, um sich zu waschen«, murmelte er, »schwirrten diese winzigen Feen über dem Wasser, kaum größer als eure Libellen und blau wie Veilchenblüten. Sie flogen einem gern ins Haar, manchmal spuckten sie einem auch ins Gesicht. Sehr freundlich waren sie nicht, aber nachts schimmerten sie wie Glühwürmchen. Ich habe mir manchmal eine gefangen und in ein Glas gesperrt. Wenn man sie dann nachts vor dem Schlafen herausließ, hatte man wunderbare Träume.«