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»Der Schatten?« Meggies Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Tötet er Staubfinger?«

»Nein, nein. Entschuldige, ich hatte deine Frage ganz vergessen. Wenn ich erst einmal anfange, von meinen Figuren zu erzählen kann man mich schwer bremsen. Nein, einer von Capricorns Männern tötet Staubfinger. Wirklich, die Szene ist mir gut gelungen. Staubfinger hat da so einen zahmen Marder, Capricorns Mann will ihn töten, weil er großes Vergnügen daran hat, kleine Tiere zu töten, nun ja, Staubfinger will seinen pelzigen Freund retten - und stirbt für ihn.«

Meggie schwieg. Armer Staubfinger, dachte sie. Armer, armer Staubfinger. Sie konnte überhaupt nichts anderes mehr denken. »Welcher von Capricorns Männern ist es?«, fragte sie. »Flachnase? Oder Cockerell?«

Fenoglio musterte sie voll Bewunderung. »Na so was. Du kannst dir all die Namen merken? Ich vergesse sie meist schon, kurz nachdem ich sie erfunden habe.«

»Von den beiden ist es keiner, Meggie«, sagte Mo. »Im Buch ist der Name des Mörders nicht einmal erwähnt. Es ist eine ganze Rotte von Capricorns Männern, die Gwin jagt, und einer von ihnen stößt mit dem Messer zu. Einer, der vermutlich immer noch auf Staubfinger wartet.«

»Wartet?« Fenoglio sah Mo verwirrt an.

»Das ist abscheulich!«, flüsterte Meggie. »Ich bin froh, dass ich nicht weitergelesen habe.«

»Was soll denn das nun wieder heißen? Redest du etwa von meinem Buch?« Fenoglios Stimme klang gekränkt.

»Ja«, sagte Meggie. »Das tue ich.« Fragend sah sie Mo an. »Und Capricorn? Wer tötet den?«

»Niemand.«

»Niemand?«

Meggie sah Fenoglio so anklagend an, dass er sich verlegen die Nase rieb. Es war eine beachtliche Nase.

»Was siehst du mich so an?«, rief er. »Ja. Ich lasse ihn davonkommen. Er ist einer meiner besten Schurken. Wieso hätte ich ihn töten sollen? Im wahren Leben ist es nicht anders: Die großen Mörder entkommen und leben glücklich bis an ihr Lebensende, während die Guten sterben, manchmal die allerbesten. So geht es zu. Warum muss es in Büchern immer anders sein?«

»Was ist mit Basta? Bleibt der etwa auch am Leben?« Meggie fiel ein, was Farid gesagt hatte, damals an der Hütte: »Warum tötet ihr sie nicht? Das hatten sie mit uns doch auch vor!«

»Basta bleibt auch am Leben«, antwortete Fenoglio. »Ich habe damals lange mit der Idee gespielt, eine Fortsetzung von Tintenherz zu schreiben, und auf die beiden wollte ich dabei nicht verzichten. Ich war stolz auf sie! Gut, der Schatten war mir auch nicht schlecht gelungen, nein, wirklich, aber an meinen menschlichen Figuren hänge ich doch immer am meisten. Weißt du, wenn du mich fragen würdest, auf welchen von beiden ich stolzer war, auf Basta oder Capricorn - ich könnte es dir nicht sagen!«

Mo starrte wieder zum Fenster hinaus. Dann sah er Fenoglio an. »Würden Sie den beiden gern mal begegnen?«, fragte er.

»Wem?« Fenoglio sah ihn überrascht an.

»Capricorn und Basta.«

»Teufel, nein!« Fenoglio lachte so laut, dass Paula ihm erschrocken den Mund zuhielt.

»Nun, wir sind ihnen begegnet«, sagte Mo müde. »Ich und Meggie - und Staubfinger.«

Das falsche Ende

Eine Geschichte, ein Roman, ein Märchen - diese Dinge gleichen den Lebewesen, und vielleicht sind es sogar welche. Sie haben ihren Kopf, ihre Beine, ihren Blutkreislauf und ihren Anzug wie richtige Menschen.

Erich Kästner, Emil und die Detektive

Fenoglio schwieg lange, nachdem Mo mit seiner Geschichte fertig war. Paula hatte sich längst auf die Suche nach Pippo und Rico gemacht. Meggie hörte sie einen Stock höher über die Holzdielen laufen, hin und her, ein Sprung, ein Rutschen, Gekicher und Geschrei. Doch in Fenoglios Küche war es so still, dass man das Ticken der Uhr hörte, die neben dem Fenster an der Wand hing.

»Hat er diese Narben im Gesicht, Sie wissen schon ...?« Fragend sah er Mo an.

Der nickte.

Fenoglio wischte sich mit der Hand ein paar Krümel von der Hose. »Die Narben hat Basta ihm beigebracht«, sagte er. »Weil den beiden dasselbe Mädchen gefiel.«

Mo nickte. »Ja, ich weiß.«

Fenoglio sah aus dem Fenster. »Die Feen haben die Schnitte verarztet«, sagte er. »Deshalb blieben nur feine Narben, kaum mehr als drei blasse Striche auf der Haut, stimmt's?« Fragend sah der alte Mann sich zu Mo um.

Der nickte. Und Fenoglio blickte erneut nach draußen. Im Haus gegenüber stand ein Fenster offen und man hörte, wie eine Frau mit einem Kind stritt.

»Eigentlich müsste ich jetzt sehr, sehr stolz sein«, murmelte Fenoglio. »Jeder Schriftsteller wünscht sich Figuren, die voller Leben sind, und meine sind geradewegs aus Ihrem Buch herausspaziert!«

»Weil mein Vater sie herausgelesen hat«, sagte Meggie. »Er kann das auch bei anderen Büchern.«

»Ah, natürlich.« Fenoglio nickte. »Gut, dass du mich daran erinnerst. Sonst würde ich mich womöglich noch für einen kleinen Gott halten, nicht wahr? Aber das mit deiner Mutter tut mir Leid. Obwohl, so besehen, es dann ja eigentlich auch nicht meine Schuld ist.«

»Für meinen Vater ist es schlimmer«, sagte Meggie. »Ich erinnere mich nicht an sie.«

Mo sah sie überrascht an.

»Natürlich. Du warst jünger als meine Enkel!«, stellte Fenoglio nachdenklich fest. Er trat ans Fenster. »Ich würde ihn wirklich gern mal sehen«, sagte er. »Staubfinger, meine ich. Nun tut es mir natürlich Leid, dass ich dem armen Kerl so ein schlimmes Ende angedichtet habe. Aber irgendwie passte es zu ihm. Wie es so schön bei Shakespeare heißt: Jeder spielt seine Rolle, und meine ist eine traurige.« Er blickte auf die Gasse hinunter. Im Stockwerk über ihnen ging etwas zu Bruch, doch Fenoglio schien das nicht sonderlich zu interessieren.

»Sind das eigentlich Ihre Kinder?«, fragte Meggie und wies nach oben.

»Gott bewahre, nein. Es sind meine Enkel. Eine meiner Töchter lebt auch hier im Ort. Sie kommen ständig zu mir und ich erzähle ihnen Geschichten. Ich erzähle dem halben Dorf Geschichten, aber ich habe keine Lust mehr, sie aufzuschreiben. Wo ist er jetzt?« Fragend drehte sich Fenoglio zu Mo um.

»Staubfinger? Das darf ich nicht sagen. Er will Sie nicht sehen.«

»Er hat einen ziemlichen Schreck bekommen, als mein Vater ihm von Ihnen erzählt hat«, fügte Meggie hinzu. Aber Staubfinger muss erfahren, was mit ihm passiert, dachte sie, er muss. Dann wird er verstehen, dass er wirklich nicht zurückkann. Und trotzdem weiter Heimweh haben, dachte sie. Für alle Zeit.

»Ich muss ihn sehen! Nur einmal. Verstehen Sie das nicht?« Fenoglio sah Mo bittend an. »Ich könnte euch einfach unauffällig folgen. Woran soll er mich schon erkennen? Ich will mich doch nur vergewissern, ob er wirklich so aussieht, wie ich ihn mir vorgestellt habe.«

Aber Mo schüttelte den Kopf. »Ich denke, Sie sollten ihn besser in Ruhe lassen.«

»Unsinn! Ich kann ihn mir ansehen, wann ich will. Schließlich habe ich ihn erfunden!«

»Und umgebracht«, fügte Meggie hinzu.

»Nun ja.« Fenoglio hob hilflos die Hände. »Ich wollte es spannend machen. Magst du keine spannenden Geschichten?«

»Nur wenn sie ein gutes Ende haben.«

»Ein gutes Ende!« Fenoglio ließ ein verächtliches Schnauben hören - und lauschte nach oben. Etwas oder jemand war unsanft auf die Holzdielen gefallen, lautes Weinen folgte dem Aufprall. Fenoglio hastete zur Tür. »Warten Sie hier! Ich bin gleich zurück!«, rief er und verschwand auf den Flur.

»Mo!«, wisperte Meggie. »Du musst es Staubfinger sagen! Du musst ihm sagen, dass er nicht zurückkann.«

Aber Mo schüttelte den Kopf. »Er will es nicht hören, glaub mir.