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Pippo ließ Meggies Hand nicht ein einziges Mal los, während sie Flachnase hinterherstolperten. Er klammerte sich so fest daran, dass seine kurzen Fingernägel sich in ihre Haut gruben. Warum hat Mo nur nicht auf mich gehört?, dachte sie. Wir hätten nach Hause fahren können.

Es regnete immer noch heftig. Die Tropfen rannen Meggie übers Gesicht und liefen ihr den Nacken hinunter. Die Gassen waren menschenleer, niemand war da, der ihnen helfen konnte. Basta ging dicht hinter ihr, sie hörte, wie er leise auf den Regen schimpfte. Als sie Fenoglios Haus erreichten, waren Meggies Füße klitschnass und Pippo klebten die Locken am Kopf. Vielleicht ist er ja nicht zu Hause!, dachte Meggie hoffnungsvoll - und fragte sich gerade, was Basta in dem Fall tun würde, als die rot gestrichene Tür sich öffnete und Fenoglio vor ihnen stand.

»Ja, seid ihr denn von allen guten Geistern verlassen, bei dem Wetter draußen herumzurennen?«, polterte er. »Gerade wollte ich mich auf die Suche nach euch machen. Kommt rein, aber schnell.«

»Können wir auch rein?«

Basta und Flachnase hatten sich dicht neben die Tür gestellt, den Rücken gegen die Mauer gelehnt, damit Fenoglio sie nicht gleich bemerkte, doch nun trat Basta hinter Meggie und legte ihr die Hände auf die Schultern. Während Fenoglio ihn noch verblüfft musterte, trat Flachnase vor und setzte den Fuß in die geöffnete Tür. Pippo huschte flink wie ein Wiesel an ihm vorbei und verschwand im Haus.

»Wer ist das?« Fenoglio sah Meggie so vorwurfsvoll an, als hätte sie die beiden Fremden freiwillig mitgebracht. »Sind das Freunde deines Vaters?«

Meggie wischte sich den Regen aus dem Gesicht und gab ihm den vorwurfsvollen Blick zurück. »Du müsstest sie eigentlich besser kennen als ich!«, sagte sie.

»Kennen?« Fenoglio blickte sie verständnislos an. Dann musterte er Basta noch einmal - und sein Gesicht wurde starr. »Gütiger Gott!«, murmelte er. »Das gibt's nicht.« Hinter seinem Rücken lugte Paula hervor.

»Pippo weint!«, sagte sie. »Er hat sich im Schrank versteckt.«

»Geh zu ihm!«, sagte Fenoglio, ohne Basta aus den Augen zu lassen. »Ich komm gleich.«

»Wie lange wollen wir noch hier draußen stehen, Basta?«, brummte Flachnase. »Bis wir einlaufen?«

»Basta!«, wiederholte Fenoglio, ohne zur Seite zu treten.

»Ja, das ist mein Name, Alter!« Bastas Augen wurden jedes Mal schmal, wenn er lächelte. »Wir sind hier, weil du etwas hast, das uns sehr interessiert, ein Buch ...«

Natürlich. Meggie hätte fast losgelacht. Er begriff gar nichts! Basta wusste nicht, wer Fenoglio war. Woher auch? Woher sollte er wissen, dass dieser alte Mann ihn erfunden hatte, erschaffen aus Tinte und Papier, sein Gesicht, sein Messer und seine Bosheit.

»Schluss mit dem Gerede!«, knurrte Flachnase. »Mir läuft der Regen schon in die Ohren.« Wie eine lästige Fliege wischte er Fenoglio zur Seite und drängte sich an ihm vorbei ins Haus. Basta folgte ihm mit Meggie. In der Küche schluchzte Pippo immer noch im Schrank. Paula stand davor und redete durch die geschlossene Tür beruhigend auf ihn ein. Als Fenoglio mit den Fremden in die Küche kam, fuhr sie herum und musterte besorgt Flachnases Gesicht. Es war finster wie immer, für ein Lächeln schien es einfach nicht gemacht.

Fenoglio setzte sich an den Tisch und winkte Paula wortlos zu sich.

»Also, wo ist es?« Basta sah sich suchend um, doch Fenoglio war viel zu versunken in den Anblick seiner beiden Geschöpfe, um zu antworten. Vor allem an Basta klebten seine Augen, als könne er nicht glauben, was er sah.

»Ich hab es doch schon gesagt: Es ist keins mehr hier!«, antwortete Meggie an seiner Stelle.

Basta tat, als hätte er sie nicht gehört, und gab Flachnase ungeduldig ein Zeichen. »Such es!«, befahl er, und Flachnase gehorchte murrend. Meggie hörte, wie er die schmale Holztreppe hochpolterte, die zum Dachboden hinaufführte.

»Na, sag schon, kleine Hexe! Wie seid ihr auf den Alten gekommen?« Basta gab ihr einen Stoß in den Rücken. »Woher wusstet ihr, dass er noch ein Exemplar hat?«

Meggie warf Fenoglio einen warnenden Blick zu, aber die Zunge saß bei ihm leider ebenso locker wie bei Pippo.

»Wie sie auf mich gekommen sind? Ich habe das Buch geschrieben!«, verkündete der alte Mann stolz. Vielleicht erwartete er, dass Basta auf der Stelle vor ihm auf die Knie sinken würde, doch der verzog die Lippen nur zu einem mitleidigen Lächeln.

»Natürlich!«, sagte er und zog sein Messer aus dem Gürtel.

»Er hat es wirklich geschrieben!« Meggie konnte die Worte einfach nicht hinunterschlucken. Sie wollte dieselbe Angst auf Bastas Gesicht sehen, die Staubfinger hatte erblassen lassen, als er von Fenoglio erfuhr, doch Basta lachte nur noch einmal und begann Kerben in Fenoglios Küchentisch zu schnitzen.

»Wer hat sich die Geschichte denn ausgedacht?«, fragte er. »Dein Vater? Wie dumm sehe ich aus, he? Jeder weiß, dass gedruckte Geschichten uralt sind, und dass sie aufgeschrieben wurden von irgendwelchen Leuten, die längst tot und begraben sind.« Er stieß die Messerklinge in das Holz, zog sie wieder heraus und stieß sie erneut hinein. Über ihren Köpfen trampelte Flachnase herum.

»Tot und begraben, interessant.« Fenoglio zog Paula auf seinen Schoß. »Hast du das gehört, Paula? Dieser junge Mann glaubt, alle Bücher wären in grauer Vorzeit verfasst worden, von toten Leuten, die die Geschichten wunderweißwo aufgeschnappt haben. Vielleicht haben sie sie aus der Luft gepflückt?«

Paula musste kichern. Im Schrank war es still geworden. Wahrscheinlich lauschte Pippo mit angehaltenem Atem an der Tür.

»Was ist daran so komisch?« Basta richtete sich auf wie eine Schlange, der man auf den Schwanz getreten war.

Fenoglio beachtete ihn nicht. Er betrachtete lächelnd seine Hände - als erinnerte er sich an den Tag, an dem sie begonnen hatten, Bastas Geschichte aufzuschreiben. Dann blickte er Basta an »Du ... trägst immer lange Ärmel, nicht wahr?«, sagte er. »Soll ich dir sagen, warum?«

Basta kniff die Augen zusammen und warf einen Blick zur Decke hinauf. »Verdammt, warum braucht dieser Idiot so lange, um ein Buch zu finden?«

Fenoglio betrachtete ihn mit verschränkten Armen. »Ganz einfach: Er kann nicht lesen!«, sagte er leise. »Du kannst doch auch nicht lesen, oder hast du es inzwischen gelernt? Nicht einer von Capricorns Männern kann es, ebenso wenig wie Capricorn selbst.«

Basta stieß das Messer so tief in die Tischplatte, dass er Mühe hatte, es wieder herauszuziehen. »Natürlich kann er lesen, was redest du da?« Drohend beugte er sich über den Tisch. »Dein Geschwätz gefällt mir nicht, alter Mann. Wie wär's, wenn ich dir noch ein paar Falten mehr in dein Gesicht schneide?«

Fenoglio lächelte. Vielleicht glaubte er, Basta könnte ihm nichts tun, weil er ihn erfunden hatte. Meggie war sich da nicht so sicher. »Du trägst lange Ärmel«, fuhr Fenoglio so langsam fort, als wolle er Basta Zeit geben, jedes einzelne Wort ganz genau zu verstehen, »weil dein Herr gern mit Feuer spielt. Beide Arme hast du dir verbrannt, bis zu den Schultern, als du für ihn das Haus eines Mannes angezündet hast, der gewagt hatte, Capricorn seine Tochter zu verweigern. Seither legt ein anderer das Feuer und du beschränkst dich auf Messerspiele.«

Basta sprang so plötzlich auf, dass Paula von Fenoglios Schoß rutschte und sich unter dem Tisch versteckte. »Du spielst wohl gern den Neunmalschlauen!«, knurrte er, während er Fenoglio das Messer unters Kinn hielt. »Dabei hast du nur das verfluchte Buch gelesen. Na und?«

Fenoglio sah ihm in die Augen. Das Messer unter seinem Kinn schien ihn nicht halb so zu erschrecken wie Meggie. »Ich weiß alles über dich, Basta«, sagte er. »Ich weiß, dass du jederzeit dein Leben für Capricorn hergeben würdest und dass du jeden Tag nach einem Lob von ihm lechzt. Ich weiß, dass du jünger als Meggie warst, als seine Männer dich aufgelesen haben, und dass du ihn seither für so etwas wie deinen Vater hältst. Aber soll ich dir etwas verraten? Capricorn hält dich für dumm und er verachtet dich dafür. Er verachtet euch alle, seine so ergebenen Söhne, obwohl er selbst dafür gesorgt hat, dass ihr dumm bleibt. Und er würde jeden von euch, ohne zu zögern, an die Polizei verraten, wenn es für ihn von Nutzen wäre. Ist dir das klar?«