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»Ich mag es nicht, wenn man in meiner Gegenwart flüstert«, erklärte Capricorn, während Fenoglio immer noch nach Atem rang. »Wie gesagt, Basta hat mir da eine abenteuerliche Geschichte erzählt - dass Sie behauptet hätten, der Mann zu sein, der ein gewisses Buch geschrieben hat ... Wie hieß es doch gleich?«

»Tintenherz.« Fenoglio rieb sich den schmerzenden Rücken. »Es heißt Tintenherz, weil es von jemandem handelt, dessen Herz schwarz vor Bosheit ist. Der Titel gefällt mir immer noch.«

Capricorn hob die Augenbrauen - und lächelte. »Oh, wie soll ich das verstehen? Als Kompliment vielleicht? Schließlich ist es meine Geschichte, von der Sie da reden.«

»Nein, ist es nicht. Es ist meine. Du kommst nur darin vor.«

Meggie sah, wie Basta Capricorn einen fragenden Blick zuwarf, doch der schüttelte fast unmerklich den Kopf und Fenoglios Rücken blieb fürs Erste verschont.

»So, so, interessant. Du bleibst also bei deinen Lügen.« Capri-corn schlug die Beine auseinander und erhob sich aus seinem Sessel. Mit langsamen Schritten kam er die Stufen herunter.

Fenoglio lächelte Meggie verschwörerisch zu.

»Was lächelst du?« Capricorns Stimme wurde scharf wie Bastas Messer. Er blieb direkt vor Fenoglio stehen.

»Ach, ich musste nur gerade daran denken, dass Eitelkeit eine der Eigenschaften ist, die ich dir auf den Leib geschrieben habe, Eitelkeit und -«, Fenoglio machte eine wirkungsvolle Pause, bevor er weitersprach, »- ein paar andere Schwächen, die ich aber vor deinen Männern besser nicht erläutere, nicht wahr?«

Capricorn musterte ihn schweigend, eine endlose kleine Ewigkeit lang. Dann lächelte er. Es war ein dünnes, blasses Lächeln, kaum mehr als das Heben der Mundwinkel, während seine Augen in der Kirche umherschweiften, als hätte er Fenoglio vollkommen vergessen. »Du bist ein dreister alter Mann«, sagte er. »Und ein Lügner obendrein. Aber wenn du hoffst, mich mit deiner Dreistigkeit und Hochstapelei zu beeindrucken, so wie du es bei Basta geschafft hast, dann muss ich dich enttäuschen. Deine Behauptungen sind lächerlich, genau wie du, und es war mehr als dumm von Basta, dich hierher zu bringen, denn nun müssen wir dich auf irgendeine Weise wieder loswerden.«

Basta wurde blass. Hastig trat er auf Capricorn zu, den Kopf zwischen die Schultern gezogen. »Aber was, wenn er doch nicht lügt?«, hörte Meggie ihn Capricorn zuraunen. »Die beiden behaupten, dass wir alle sterben müssen, wenn wir den Alten anrühren.«

Capricorn musterte ihn mit solcher Verachtung, dass Basta zurückstolperte, als hätte er ihn geschlagen.

Fenoglio aber blickte drein, als amüsierte er sich ausgezeichnet. Meggie kam es vor, als beobachtete er das Ganze wie ein Theaterstück, das eigens für ihn aufgeführt wurde. »Der arme Basta!«, sagte er zu Capricorn. »Du bist wieder einmal sehr ungerecht zu ihm, denn er hat Recht. Was, wenn ich nicht lüge? Was, wenn ich euch wirklich erschaffen habe, dich und Basta? Werdet ihr euch einfach in Luft auflösen, wenn ihr mir etwas antut? Es spricht alles dafür.«

Capricorn lachte auf, doch Meggie spürte, dass er über das nachdachte, was Fenoglio gesagt hatte, und dass es ihn beunruhigte -auch wenn er sich Mühe gab, es hinter einer Maske von Gleichgültigkeit zu verbergen.

»Ich kann dir beweisen, dass ich der bin, der ich zu sein behaupte!«, sagte Fenoglio so leise, dass außer Capricorn nur Basta und Meggie seine Worte hören konnten. »Soll ich es hier tun, vor deinen Männern und den Frauen? Soll ich ihnen von deinen Eltern erzählen?«

Es war still geworden in der Kirche. Keiner regte sich, weder Basta noch die Männer, die vor den Stufen warteten. Selbst die Frauen, die dabei waren, den Boden unter den Tischen zu wischen, richteten sich auf und sahen zu Capricorn und dem fremden alten Mann hinüber. Mortola stand immer noch neben seinem Sessel, sie hatte das Kinn vorgeschoben, als könne sie so besser hören, was dort unten geflüstert wurde.

Capricorn betrachtete schweigend seine Manschettenknöpfe. Wie Blutstropfen saßen sie auf seinem hellen Hemd. Dann richtete er die farblosen Augen erneut auf Fenoglios Gesicht. »Sag, was du sagen willst, alter Mann! Doch wenn dir dein Leben lieb ist, sag es so, dass nur ich es höre.« Er sprach leise, doch Meggie hörte die mühsam unterdrückte Wut in seiner Stimme. Noch nie hatte sie mehr Angst vor ihm gehabt.

Capricorn gab Basta ein Zeichen, und der wich widerstrebend ein paar Schritte zurück.

»Die Kleine wird es doch wohl hören dürfen?« Fenoglio legte Meggie die Hand auf die Schulter. »Oder hast du vor ihr auch Angst?«

Capricorn sah Meggie nicht einmal an. Er hatte nur Augen für den alten Mann, der ihn erfunden hatte. »Nun rede schon, auch wenn du nichts zu sagen hast! Du bist nicht der Erste, der in dieser Kirche versucht, seine Haut mit ein paar Lügen zu retten, aber wenn du noch länger dumm herumredest, werde ich Basta anweisen, dir eine hübsche kleine Viper um den Hals zu legen. Für Gelegenheiten wie diese habe ich immer ein paar Exemplare im Haus.«

Fenoglio beeindruckte auch diese Drohung nicht sonderlich. »Gut!«, sagte er, während er einen Blick in die Runde warf, als bedauerte er nicht mehr Publikum zu haben. »Wo fange ich an? Zunächst etwas Grundsätzliches: Ein Geschichtenerzähler schreibt nie alles auf, was er über seine Figuren weiß. Die Leser müssen nicht alles erfahren. Manches bleibt besser ein Geheimnis, das sich der Erzähler mit seinen Geschöpfen teilt. Bei ihm zum Beispiel« -er wies auf Basta - »wusste ich immer, dass er ein sehr unglücklicher Junge war, bevor du ihn aufgelesen hast. Wie heißt es so schön in einem wunderbaren Buch? Es ist schrecklich leicht, Kinder davon zu überzeugen, dass sie abscheulich sind. Basta war überzeugt davon. Nicht, dass du ihn eines Besseren belehrt hast, nein! Warum solltest du? Doch plötzlich war da jemand, an den er sein Herz hängen konnte, der ihm sagte, was er tun sollte ... er hatte einen Gott gefunden, Capricorn, und wenn du ihn auch schlecht behandeltest, wer sagt, dass alle Götter gütig sind? Die meisten sind streng und grausam, nicht wahr? In das Buch habe ich das alles nicht geschrieben. Ich wusste es, das reichte. Aber genug von Basta, kommen wir zu dir.«

Capricorn wandte den Blick nicht von Fenoglio, sein Gesicht war so starr, als hätte es sich in Holz verwandelt.

»Capricorn.« Fenoglios Stimme klang fast zärtlich, als er den Namen aussprach. Er blickte über Capricorns Schulter, als hätte er vergessen, dass der, über den er sprach, direkt vor ihm stand und nicht länger in einer ganz anderen Welt steckte, einer Welt zwischen zwei Buchdeckeln. »Natürlich hat er noch einen anderen Namen, aber nicht einmal er selbst erinnert sich an ihn. Capricorn nennt er sich, seit er fünfzehn ist, nach dem Sternzeichen, unter dem er geboren wurde. Capricorn, der Unnahbare, der Unergründliche, der Unersättliche, der gern Gott spielt oder den Teufel, je nachdem. Aber hat der Teufel eine Mutter?« Zum ersten Mal sah Fenoglio Capricorn wieder in die Augen. »Du hast eine.«

Meggie sah zu der Elster hoch. Sie war an den Rand der Stufen getreten, die knochigen Hände zu Fäusten geballt, aber Fenoglio sprach sehr leise.

»Du lässt gern verbreiten, dass sie aus adligem Hause stammte«, fuhr er fort. »Ja, manchmal gefällt es dir sogar zu erzählen, dass sie die Tochter eines Königs war. Dein Vater, behauptest du, war ein Waffenschmied am Hof ihres Vaters. Wirklich eine schöne Geschichte. Soll ich dir meine Version erzählen?«

Zum ersten Mal sah Meggie so etwas wie Furcht auf Capricorns Gesicht, eine Furcht ohne Namen, ohne Anfang und ohne Ende, und hinter ihr, wie ein riesiger schwarzer Schatten, erhob sich der Hass. Meggie war sich sicher: Capricorn hätte Fenoglio in diesem Augenblick zu gern erschlagen, doch die Furcht fesselte seinem Hass die Hände und machte ihn noch größer.

Sah Fenoglio das auch?

»Ja, erzähl sie, deine Geschichte. Warum nicht?« Capricorns Augen wurden starr wie die einer Schlange.