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Fenoglio lächelte spitzbübisch wie einer seiner Enkel. »Gut, fahren wir fort. Das mit dem Waffenschmied ist natürlich gelogen.« Meggie hatte immer noch das Gefühl, dass der alte Mann sich köstlich amüsierte. Er benahm sich, als spielte er mit einem jungen Kätzchen. Wusste er so wenig über sein eigenes Geschöpf? »Capricorns Vater war ein einfacher Hufschmied«, führ er fort, ohne sich von der kalten Wut in Capricorns Augen beirren zu lassen. »Er ließ seinen Sohn mit heißen Kohlen spielen, und manchmal schlug er fast so heftig auf ihn ein wie auf das Eisen, das er schmiedete. Für Mitleid gab es Prügel, für Tränen sowieso und für jedes >Ich kann nicht< und >Ich schaff das nicht<. >Die Kraft ist das, was zählt! <, das brachte er seinem Jungen bei. >Der Stärkere macht die Regeln, nur er, also sorg dafür, dass du sie machst. < Auch Capricorns Mutter hielt das für die einzige Wahrheit auf der Welt, die unumstößlich war. Und sie erzählte ihrem Sohn tagaus, tagein, dass er einmal der Allerstärkste sein würde. Sie war keine Prinzessin, sie war eine Magd, mit rauen Händen und rauen Knien, und sie folgte ihrem Sohn wie ein Schatten, auch dann noch, als er sich für sie zu schämen begann und sich eine neue Mutter erfand und einen neuen Vater. Sie bewunderte ihn für seine Grausamkeit, sie liebte es, die Angst zu sehen, die er verbreitete. Und sie liebte sein tintenschwarzes Herz. Ja, dein Herz ist ein Stein, Capricorn, ein schwarzer Stein, etwa so mitfühlend wie ein Stück Kohle, und du bist sehr, sehr stolz darauf.«

Capricorn spielte wieder mit seinem Manschettenknopf, er drehte ihn und betrachtete ihn so gedankenverloren, als gelte all seine Aufmerksamkeit dem kleinen roten Stück Metall und nicht Fenoglios Worten. Als der alte Mann schwieg, zog Capricorn den Jackenärmel sorgfältig über sein Handgelenk und wischte sich eine Fluse vom Ärmel. Den Zorn schien er genauso fortgewischt zu haben, den Zorn, den Hass, die Angst, nichts war mehr davon zu finden in seinem gleichgültigen, blassen Blick.

»Das ist wirklich eine ganz erstaunliche Geschichte, alter Mann«, sagte er mit leiser Stimme. »Sie gefällt mir. Du bist ein guter Lügner, und deshalb werde ich dich hier behalten. Fürs Erste. Bis ich deine Geschichten leid bin.«

»Hier behalten?« Fenoglio richtete sich kerzengerade auf. »Ich habe nicht vor, hier zu bleiben! Was ...«

Aber Capricorn drückte ihm die Hand auf den Mund. »Kein Wort mehr!«, raunte er ihm zu. »Basta hat mir von deinen drei Enkelkindern berichtet. Wenn du mir Ärger machst oder deine Lügen nicht mir, sondern meinen Männern erzählst, werde ich Basta bitten, ein paar junge Vipern in Geschenkpapier zu wickeln und sie deinen Enkeln vor die Tür zu legen. Habe ich mich deutlich ausgedrückt, alter Mann?«

Fenoglio ließ den Kopf sinken, als hätte Capricorn ihm das Genick gebrochen, mit nichts als ein paar leisen Worten. Als er den Kopf wieder hob, nistete die Angst in jeder Falte seines Gesichtes.

Mit zufriedenem Lächeln schob Capricorn die Hände in die Hosentaschen. »Ja, an irgendetwas hängt ihr alle eure ach so weichen Herzen«, sagte er. »Kinder, Enkel, Geschwister, Eltern, Hunde, Katzen, Kanarienvögel ... Jeder tut es: Bauern, Ladenbesitzer, sogar Polizisten haben Familie oder wenigstens einen Hund. Du brauchst dir bloß ihren Vater anzusehen!« Capricorn wies so plötzlich auf Meggie, dass sie zusammenfuhr. »Er wird herkommen, obwohl er weiß, dass ich ihn nicht wieder gehen lasse, ihn ebenso wenig wie seine Tochter. Trotzdem wird er kommen. Ist die Welt nicht wunderbar eingerichtet?«

»Ja!«, murmelte Fenoglio. »Wunderbar.« Und zum ersten Mal musterte er sein Geschöpf nicht mit Bewunderung, sondern mit Abscheu. Capricorn schien das besser zu gefallen.

»Basta!«, rief er und winkte ihn zu sich. Basta schlenderte betont langsam herbei. Er blickte immer noch beleidigt drein. »Bring den Alten in das Zimmer, in das wir früher Darius gesperrt haben!«, befahl Capricorn ihm. »Und postier eine Wache vor der Tür.«

»Du willst, dass ich ihn in dein Haus bringe?«

»Ja, wieso nicht? Schließlich behauptet er, so etwas wie mein Vater zu sein. Außerdem amüsieren mich seine Geschichten.«

Basta zuckte die Achseln und griff nach Fenoglios Arm. Meggie sah den alten Mann erschrocken an. Gleich würde sie ganz allein sein, allein mit den fensterlosen Mauern und einer verschlossenen Tür in Capricorns Verschlag. Aber Fenoglio fasste nach ihrer Hand, bevor Basta ihn mit sich ziehen konnte. »Lass das Mädchen bei mir«, sagte er zu Capricorn. »Du kannst sie nicht wieder in dieses Loch sperren, mutterseelenallein.«

Capricorn wandte ihm mit gleichgültiger Miene den Rücken zu. »Wie du willst. Ihr Vater wird ohnehin bald hier sein.«

Ja, Mo würde kommen. Meggie konnte an nichts anderes denken, während Fenoglio sie mit sich zog, den Arm um ihren Schultern, als könnte er sie tatsächlich beschützen vor Capricorn und Basta und all den anderen. Aber er konnte es nicht. Würde Mo es können? Natürlich nicht. Bitte!, dachte sie. Vielleicht findet er ja den Weg nicht mehr! Er darf nicht kommen. Und doch wünschte sie sich nichts mehr. Nichts auf der ganzen Welt.

Unterschiedliche Ziele

Faber steckte die Nase ins Buch. »Wissen Sie, daß Bücher nach Muskatnuß oder nach sonst welchen fremdländischen Gewürzen riechen? Als Junge habe ich immer gerne daran geschnuppert.«

Ray Bradbury, Fahrenheit 451

Farid entdeckte das Auto.

Staubfinger lag unter den Bäumen, als es die Straße heraufkam. Er versuchte nachzudenken, aber seit er wusste, dass Capricorn zurück war, konnte er keinen klaren Gedanken fassen. Capricorn war zurück und er wusste immer noch nicht, wo er nach dem Buch suchen sollte. Die Blätter malten ihm Schatten aufs Gesicht, die Sonne stach mit weißen heißen Nadeln durch die Äste und seine Stirn fühlte sich fiebrig an. Basta und Flachnase waren auch wieder da, natürlich, was hatte er gedacht? Dass sie ewig fortbleiben würden? »Was regst du dich auf, Staubfinger?«, flüsterte er zu den Blättern hinauf. »Du hättest nicht wieder herkommen müssen. Du wusstest, dass es gefährlich wird.« Er hörte Schritte näher kommen, hastige Schritte.

»Ein graues Auto!« Farid keuchte, als er sich neben ihm ins Gras kniete, so schnell war er gelaufen. »Ich glaub, es ist Zauberzunge!«

Staubfinger sprang auf. Der Junge wusste, wovon er redete. Er konnte diese stinkenden Blechkäfer tatsächlich auseinander halten. Ihm war das nie gelungen.

Hastig folgte er Farid zu der Stelle, von der aus man die Brücke sah. Wie eine träge Schlange wand die Straße sich von dort aus auf Capricorns Dorf zu. Es blieb ihnen nicht viel Zeit, wenn sie Zauberzunge den Weg abschneiden wollten. Hektisch stolperten sie den Hang hinunter. Farid sprang als Erster auf den Asphalt. Staubfinger war immer stolz auf seine Behändigkeit gewesen, doch der Junge war noch flinker als er, schnell wie ein Reh, mit ebenso dünnen Beinen. Mit dem Feuer spielte er inzwischen wie mit einem jungen Hund, so selbstvergessen, dass Staubfinger ihn ab und zu mit einem brennenden Streichholz daran erinnerte, wie heiß die Zähne dieses Hundes waren.

Zauberzunge bremste scharf, als er Staubfinger und Farid auf der Straße stehen sah. Er sah so müde aus, als hätte er ein paar Nächte schlecht geschlafen. Neben ihm saß Elinor. Wo kam die her? War sie nicht nach Hause gefahren, zurück in ihre Büchergruft? Und wo war Meggie?

Zauberzunges Gesicht hatte sich abrupt verfinstert, als er Staubfinger sah und aus dem Auto stieg. »Natürlich!«, rief er, während er auf ihn zukam. »Du hast ihnen erzählt, wo wir sind! Wer sonst? Was hat Capricorn dir diesmal versprochen?«

»Wem hab ich was erzählt?« Staubfinger wich vor ihm zurück. »Ich habe niemandem irgendwas erzählt! Frag den Jungen.«