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Meggie kehrte zum Bett zurück, ohne die Fee aus den Augen zu lassen. Immer schneller schwirrte sie durch den engen Raum, wie ein verirrter Schmetterling, hinauf zur Decke, zurück zur Tür, dann wieder zum Fenster. Immer wieder zum Fenster. Meggie legte Fenoglio das Buch auf den Schoß.

»Peter Pan.« Er sah das Buch an, dann die Fee, dann wieder das Buch.

»Ich hab es nicht gewollt!«, flüsterte Meggie. »Wirklich nicht.«

Die Fee flog schon wieder gegen das Fenster, wieder und wieder.

»Nein!« Meggie lief zu ihr. »Du darfst nicht da raus! Du verstehst das nicht.« Es war eine Fee. Nicht größer als deine Hand, aber sie wuchs noch. Es war ein Mädchen, und sie hieß Tinker Bell, elegant gekleidet in ein geripptes Blatt.

»Da kommt jemand!« Fenoglio richtete sich auf, so hastig, dass er sich den Kopf an dem Bett über ihm stieß. Er hatte Recht. Draußen auf dem Flur näherten sich Schritte, schnelle, entschlossene Schritte. Meggie wich ans Fenster zurück. Was hatte das zu bedeuten? Es war mitten in der Nacht. Mo ist gekommen!, dachte sie. Er ist da, und ihr Herz tat einen Sprung vor Freude, obwohl sie sich nicht freuen wollte.

»Versteck sie!«, raunte Fenoglio. »Schnell, versteck sie!«

Meggie sah ihn verwirrt an. Natürlich. Die Fee. Sie durften sie nicht entdecken. Meggie versuchte nach ihr zu greifen, aber sie schlüpfte ihr zwischen den Fingern durch und schwirrte hinauf zur Decke. Dort blieb sie, wie ein Licht aus unsichtbarem Glas.

Die Schritte waren jetzt ganz nah. »Nennst du das Wache halten?« Das war Bastas Stimme. Meggie hörte ein dumpfes Stöhnen, wahrscheinlich hatte er den Wächter mit einem Tritt geweckt. »Schließ auf, na los, ich hab nicht ewig Zeit.«

Jemand schob einen Schlüssel in das Schloss. »Das ist der fal-sche, du verschnarchter Idiot! Capricorn wartet auf das Mädchen, ich werde ihm erzählen, warum er so lange warten musste.«

Meggie kletterte auf ihr Bett. Es schwankte bedrohlich, als sie sich aufrichtete. »Tinker Bell!«, flüsterte sie. »Bitte! Komm her!« Aber so vorsichtig sie auch die Hand nach ihr ausstreckte, die Fee schwebte zurück zum Fenster - und Basta öffnete die Tür.

»He, wo kommt die denn her?«, fragte er, während er in der offenen Tür stehen blieb. »So ein Flatterdings hab ich seit Jahren nicht gesehen.«

Meggie und Fenoglio schwiegen. Was hätten sie auch sagen sollen?

»Glaubt nicht, ihr kommt um die Antwort herum!« Basta zog seine Jacke aus, nahm sie in die linke Hand und ging langsam auf das Fenster zu. »Stell dich in die Tür, für den Fall, dass sie mir entwischt!«, befahl er dem Wächter. »Wenn du sie vorbeilässt, schneid ich dir die Ohren ab.«

»Lass sie!« Meggie rutschte hastig wieder vom Bett, aber Basta war schneller. Er warf seine Jacke, und Tinker Bells Licht erlosch wie das einer ausgeblasenen Kerze. Unter dem schwarzen Stoff zuckte es matt, als die Jacke zu Boden fiel. Basta hob sie vorsichtig auf, hielt sie wie einen Sack zusammen und blieb damit vor Meggie stehen. »Also, Schätzchen, raus damit!«, sagte er mit bedrohlich ruhiger Stimme. »Wo kommt die Fee her?«

»Ich weiß nicht!«, stieß Meggie hervor, ohne ihn anzusehen. »Sie ... war plötzlich da.«

Basta sah zu dem Wächter hinüber. »Hast du hier in der Gegend schon mal so was wie eine Fee gesehen?«, fragte er.

Der Wächter hob die Zeitung auf, an der immer noch ein paar blutige Mottenflügel klebten, und schlug sie mit einem breiten Lächeln gegen den Türrahmen. »Nein, aber wenn, dann wüsste ich, was ich mit ihr mache!«, sagte er.

»Ja, die kleinen Dinger sind lästig wie Stechmücken. Aber sie sollen Glück bringen.« Basta wandte sich wieder Meggie zu. »Also, rück endlich raus damit! Wo kommt sie her? Ich frag nicht noch mal.«

Meggie konnte es nicht verhindern, ihre Augen wanderten zu dem Buch, das Fenoglio hatte fallen lassen. Basta folgte ihrem Blick und hob es auf.

»Na so was!«, murmelte er, während er das Bild auf dem Einband musterte. Der Zeichner hatte Tinker Bell gut getroffen. Sie war in Wirklichkeit etwas blasser als auf dem Bild und auch eine Spur kleiner, doch Basta erkannte sie natürlich trotzdem. Er pfiff leise durch die Zähne, dann hielt er Meggie das Buch dicht vors Gesicht. »Erzähl mir jetzt nicht, dass der Alte sie hergelesen hat!«, sagte er. »Du warst es. Darauf verwette ich mein Messer. Hat dein Vater es dir beigebracht, oder hast du es nur von ihm geerbt? Na, egal.« Er schob das Buch in den Hosenbund und griff nach Meggies Arm. »Komm, lass uns Capricorn davon erzählen. Eigentlich sollte ich dich ja nur holen, damit du einen alten Bekannten wiedertriffst, aber gegen so aufregende Neuigkeiten hat Capricorn bestimmt nichts einzuwenden.«

»Ist mein Vater gekommen?« Meggie ließ sich widerstandslos aus der Tür zerren.

Basta schüttelte den Kopf und musterte sie spöttisch. »Nein, der ist immer noch nicht aufgetaucht!«, sagte er. »Offenbar ist ihm die eigene Haut doch lieber als deine. Wenn ich du wäre, wäre ich ziemlich schlecht auf ihn zu sprechen.«

Meggie spürte beides zugleich - Enttäuschung, scharf wie ein Stachel, und Erleichterung.

»Ich gebe zu, ich bin auch ziemlich enttäuscht von ihm«, fuhr Basta fort. »Schließlich hab ich meinen Kopf darauf verwettet, dass er kommt, aber nun brauchen wir ihn ja wohl gar nicht mehr, stimmt's?« Er schüttelte seine Jacke, und Meggie glaubte ein leises, verzweifeltes Klingeln zu hören.

»Schließ den Alten wieder ein!«, befahl Basta dem Wachtposten. »Und wehe, du schnarchst wieder, wenn ich zurückkomme!«

Dann zerrte er Meggie den Gang hinunter.

Eine Strafe für Verräter

»Und du?«, wollte Lobosch wissen. »Du, Krabat, hast keine Angst?«

»Mehr als du ahnst«, sagte Krabat. »Und nicht nur um mich allein.«

Otfried Preußler, Krabat

Ihr eigener Schatten folgte Meggie wie ein böser Geist, als sie mit Basta den Platz vor der Kirche überquerte. Das grelle Licht der Scheinwerfer ließ den Mond wie einen ausgedienten Lampion erscheinen.

In der Kirche war es nicht halb so hell. Capricorns Statue blickte blass aus der Dunkelheit herab, halb verschluckt von den Schatten, und zwischen den Säulen war es so finster, als hätte die Nacht sich vor dem Scheinwerferlicht hierher geflüchtet. Nur über Capricorns Platz hing eine einsame Lampe, gelangweilt lehnte er in seinem Sessel, in einem seidenen Morgenmantel, der schimmerte wie das Gefieder eines Pfaus. Auch diesmal stand die Elster hinter ihm, in dem spärlichen Licht war sie kaum mehr als ein blasses Gesicht über einem schwarzen Kleid. In einer der Tonnen am Fuß der Treppe brannte ein Feuer. Der Rauch biss Meggie in die Augen, und das zuckende Licht, das die Flammen warfen, tanzte auf den Wänden und Säulen, als stünde die ganze Kirche in Flammen.

»Legt den Lappen vor das Fenster seiner Kinder, als letzte Warnung!« Capricorns Stimme hallte bis zu Meggie, obwohl er nicht laut sprach. »Tränkt ihn mit Benzin, bis es herausleckt«, wies er Cockerell an, der mit zwei anderen Männern am Fuß der Treppe stand. »Wenn der Geruch dem Dummkopf gleich am Morgen in die Nase steigt, begreift er vielleicht endlich, dass es mit meiner Geduld ein Ende hat.«

Mit einem kurzen Nicken nahm Cockerell die Anweisung entgegen, drehte sich auf dem Absatz um und winkte den anderen beiden, ihm zu folgen. Ihre Gesichter waren rußgeschwärzt, und jeder der drei trug eine rote Hahnenfeder im Knopfloch. »Ah, Zauberzunges Tochter!«, knurrte Cockerell höhnisch, als er an Meggie vorbeihinkte. »Sieh an, hat dein Vater dich immer noch nicht abgeholt? Allzu groß scheint seine Sehnsucht ja nicht zu sein.«