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Staubfinger lehnte die narbige Wange gegen das Netz. »O ja, das kann ich. Er ist mir unvergesslich«, sagte er so leise, dass Meggie ihn nur mit Mühe verstand.

»Was redet ihr immer nur von der Bestrafung des Feuerspu-ckers?« Die Elster war wieder zwischen den Säulen hervorgetreten. »Habt ihr unser stummes Täubchen vergessen? Ihr Verrat war mindestens so schlimm wie seiner.« Voll Verachtung blickte sie zu dem zweiten Netz hinauf.

»Ja, ja, natürlich!« Aus Capricorns Stimme klang fast so etwas wie Bedauern. »Welch eine Verschwendung, aber es lässt sich nicht ändern.«

Meggie konnte das Gesicht der Frau nicht erkennen, die hinter Staubfinger in dem zweiten Netz baumelte. Sie sah nur das dunkelblonde Haar, den Stoff eines blauen Kleides und schmale Hände, die die Seile umklammerten.

Capricorn stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ach, es ist wirklich eine Schande!«, sagte er zu Staubfinger gewandt. »Musstest du dir ausgerechnet sie aussuchen? Hättest du nicht irgendeine andere überreden können, für dich herumzuschnüffeln? Ich hatte wirklich eine Schwäche für sie, seit Darius, dieser Stümper, sie mir hergelesen hat. Es hat mich nie gestört, dass sie dabei ihre Stimme eingebüßt hat. Nein, wirklich nicht, dummerweise nahm ich an, ich könne ihr deshalb besonders vertrauen. Wusstest du, dass ihr Haar früher wie gesponnenes Gold aussah?«

»Ja, daran erinnere ich mich«, antwortete Staubfinger mit heiserer Stimme. »Aber in deiner Gegenwart ist es dunkel geworden.«

»Unsinn!« Capricorn runzelte ärgerlich die Stirn. »Vielleicht sollten wir es mit Feenstaub versuchen. Mit etwas Feenstaub bestreut soll doch selbst Messing wie Gold aussehen, vielleicht funktioniert das auch bei Frauenhaaren?«

»Das wird kaum die Mühe lohnen!«, sagte die Elster höhnisch. »Außer du willst, dass sie bei ihrer Hinrichtung besonders gut aussieht.«

»Ach was.« Capricorn drehte sich abrupt um und ging wieder auf die Treppe zu. Meggie bemerkte es kaum. Sie blickte hinauf zu der fremden Frau. Capricorns Worte saßen ihr wie Fieber hinter der Stirn: Haare wie gesponnenes Gold ... der Stümper von Vorleser ... Nein, das konnte nicht sein. Sie starrte nach oben, kniff die Augen zusammen, um das Gesicht hinter den Seilen besser erkennen zu können, aber die Schatten, die es verbargen, waren schwarz.

»Gut.« Capricorn ließ sich mit einem tiefen Seufzer wieder in seinen Sessel sinken. »Wie lange werden wir für die Vorbereitungen brauchen? Schließlich sollte das Ganze in einem angemessenen Rahmen stattfinden.«

»Zwei Tage.« Die Elster stieg die Stufen hinauf und nahm erneut ihren Platz hinter ihm ein. »Falls du die Männer von den anderen Stützpunkten herkommen lassen willst.«

Capricorn runzelte die Stirn. »Ja, warum nicht? Es wird Zeit, wieder einmal ein kleines Exempel zu statuieren. Die Disziplin hat in letzter Zeit doch sehr zu wünschen übrig gelassen.« Als er Basta bei diesen Worten anblickte, senkte der den Kopf, als lasteten alle Verfehlungen der letzten Tage wie Blei auf seinen Schultern. »Übermorgen also«, fuhr Capricorn fort. »Sobald es dunkel wird. Darius soll vorher mit dem Mädchen noch einen Test machen. Lasst sie irgendetwas herauslesen, ich will nur sichergehen, dass die Fee kein Zufall war.«

Basta hatte Tinker Bell wieder in seine Jacke gehüllt. Meggie hätte sich am liebsten die Hände auf die Ohren gepresst, um das verzweifelte Klingeln der Fee nicht zu hören. Sie presste die Lippen aufeinander, damit sie aufhörten zu zittern, und sah zu Capricorn hinauf.

»Ich werd aber nicht für dich lesen!«, sagte sie. Ihre Stimme hallte wie die Stimme einer Fremden durch die Kirche. »Kein einziges Wort! Ich werd dir kein Gold herlesen und schon gar nicht irgendeinen ... Henker!« Sie spuckte Capricorn das Wort ins Gesicht.

Der aber spielte nur gelangweilt mit dem Gürtel seines Morgenmantels. »Bring sie zurück!«, befahl er Basta. »Es ist spät. Das Mädchen muss schlafen.«

Basta gab Meggie einen Stoß in den Rücken. »Los, du hast es gehört. Beweg dich.«

Meggie sah ein letztes Mal zu Staubfinger hinauf, dann ging sie zögernd vor Basta den Gang hinunter. Als sie unter dem zweiten Netz stand, blickte sie nochmals hoch. Das Gesicht der fremden Frau lag immer noch im Dunkeln, aber sie glaubte die Augen zu erkennen, eine schmale Nase ... und wenn sie sich das Haar heller vorstellte ...

»Los, geh weiter!«, fuhr Basta sie an.

Meggie gehorchte, aber sie blickte immer wieder zurück. »Ich werd es nicht tun!«, rief sie, als sie schon fast vor dem Portal stand. »Ich verspreche es! Ich lese ihm niemanden her. Niemals!«

»Versprich nichts, was du nicht halten kannst!«, raunte Basta ihr zu, während er das Portal aufstieß. Dann zog er sie wieder auf den hell erleuchteten Platz hinaus.

Das schwarze Pferd der Nacht

Er bückte sich und holte Sophiechen aus seiner Westentasche. Da stand sie nun in ihrem Nachthemdchen mit nackten Füßen. Sie zitterte und schaute um sich in die wirbelnden Nebelschwaden und gespensterhaft wogenden Dünste.

»Wo sind wir denn hier?«, fragte sie.

»Im Traumland sind wir«, sagte der GuRié. »Wir sind da, wo die Träume herkommen.«

Roald Dahl, Sophiechen und der Riese

Fenoglio lag auf dem Bett, als Basta Meggie durch die Tür stieß.

»Was habt ihr mit ihr angestellt?«, fuhr er Basta an, während er hastig auf die Füße kam. »Sie ist ja weiß wie die Wand!«

Doch Basta hatte die Tür längst wieder hinter sich zugezogen. »In zwei Stunden kommt deine Ablösung!«, hörte Meggie ihn zu dem Posten sagen. Dann war er fort.

Fenoglio legte ihr die Hände auf die Schultern und blickte ihr besorgt ins Gesicht. »Nun? Sag schon! Was wollten sie von dir? Ist dein Vater da?«

Meggie schüttelte den Kopf. »Sie haben Staubfinger gefangen«, antwortete sie. »Und eine Frau.«

»Was für eine Frau? Himmel, du bist ja völlig durcheinander.« Fenoglio zog sie zum Bett. Meggie setzte sich neben ihn.

»Ich glaub, sie ist meine Mutter«, flüsterte sie.

»Deine Mutter?« Fenoglio sah sie entgeistert an. Seine Augen waren blutunterlaufen von der schlaflosen Nacht.

Meggie strich abwesend ihr Kleid glatt. Der Stoff war schmutzig und zerknittert. Kein Wunder, sie schlief seit Tagen darin. »Ihr Haar ist dunkler«, stammelte sie. »Und das Foto, das Mo von ihr hat, ist mehr als neun Jahre alt ... Capricorn hat sie in ein Netz gesteckt, genau wie Staubfinger. In zwei Tagen will er sie beide hinrichten lassen, und ich soll dafür jemanden aus Tintenherz herauslesen, diesen Freund, wie Capricorn ihn nennt, ich hab es dir erzählt! Mo sollte ihn auch schon herlocken, du wolltest mir nicht erzählen, wer es ist, aber jetzt musst du es mir sagen!« Flehend sah sie Fenoglio an.

Der alte Mann schloss die Augen. »Grundgütiger!«, murmelte er.

Draußen war es immer noch dunkel. Der Mond hing genau vor ihrem Fenster. Eine Wolke trieb an ihm vorbei wie ein zerfetztes Kleid.

»Ich erzähl es dir morgen«, sagte Fenoglio. »Versprochen.«

»Nein! Erzähl es jetzt.«

Nachdenklich blickte er sie an. »Es ist keine Geschichte für die Nacht. Du wirst schlecht träumen danach.«