»Akzeptiert«, murmelte sie und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. »Drei Schritte.« Ihre Finger kribbelten vor Begierde.
»Kluges Kind«, sagte Elinor in so herablassendem Ton, dass Meggie ihre Entscheidung beinahe rückgängig gemacht hätte. Dann betraten sie Elinors Allerheiligstes.
»Du hast sie renovieren lassen!«, hörte Meggie Mo sagen. Er sagte noch etwas, aber sie hörte nicht mehr zu. Sie starrte nur die Bücher an. Die Regale, in denen sie standen, dufteten nach frisch geschlagenem Holz. Sie reichten bis hinauf zu einer himmelblauen Decke, von der winzige Lampen wie angebundene Sterne hingen. Schmale Holztreppen, versehen mit Rollen, standen vor den Regalen, bereit, jeden begierigen Leser hinauf zu den oberen Borden zu tragen. Es gab Lesepulte, auf denen aufgeschlagene Bücher lagen, angekettet mit messinggoldenen Ketten. Es gab Glasvitrinen, in denen Bücher mit altersfleckigen Seiten jedem, der näher trat, die wunderbarsten Bilder zeigten. Meggie konnte nicht anders. Ein Schritt, ein hastiger Blick zu Elinor, die ihr zum Glück den Rücken zukehrte, und sie stand vor der Vitrine. Tiefer und tiefer beugte sie sich über das Glas, bis sie sich die Nase daran stieß.
Stachlige Blätter rankten sich um blassbraune Buchstaben. Ein winziger roter Drachenkopf spuckte Blüten auf das fleckige Papier. Reiter auf weißen Pferden blickten Meggie an, als wäre kaum ein Tag vergangen, seit jemand sie mit winzigen Pinseln aus Marderhaar gemalt hatte. Neben ihnen stand ein Paar, vielleicht war es ein Brautpaar. Ein Mann mit feuerrotem Hut musterte die beiden feindselig.
»Das sollen drei Schritte sein?«
Meggie fuhr erschrocken herum, aber Elinor schien nicht allzu verärgert zu sein. »Ja, die Kunst der Buchmalerei!«, sagte sie. »Früher konnten nur die Reichen lesen. Deshalb gab man den Armen Bilder zu den Buchstaben, damit sie die Geschichten verstehen konnten. Natürlich dachte man nicht an ihr Vergnügen, die Armen waren zum Arbeiten auf der Welt, nicht, um glücklich zu sein oder sich schöne Bilder anzusehen. Das war den Reichen vorbehalten. Nein. Man wollte sie belehren. Meistens waren es Geschichten aus der Bibel, die ohnehin jeder kannte. Die Bücher lagen in den Kirchen aus, und jeden Tag wurde eine Seite umgeblättert, um ein anderes Bild zu zeigen.«
»Und dieses Buch?«, fragte Meggie.
»Oh, ich denke, das lag nie in der Kirche«, antwortete Elinor. »Das diente wohl eher dem Vergnügen eines sehr reichen Mannes, aber es ist fast sechshundert Jahre alt.« Der Stolz in ihrer Stimme war nicht zu überhören. »Wegen eines solchen Buches hat es schon Mord und Totschlag gegeben. Ich brauchte es zum Glück nur zu kaufen.«
Bei den letzten Worten drehte sie sich abrupt um und musterte Staubfinger, der ihnen lautlos wie eine Katze auf der Jagd gefolgt war. Für einen Moment dachte Meggie, Elinor würde ihn auf den Flur zurückschicken, doch Staubfinger stand mit so ehrfürchtiger Miene vor den Regalen, die Hände auf dem Rücken verschränkt, dass er ihr keinen Anlass bot, und so warf sie ihm nur einen letzten missbilligenden Blick zu und kehrte zu Mo zurück.
Er stand vor einem der Lesepulte und hielt ein Buch in der Hand, dessen Rücken nur noch an ein paar Fäden hing. Ganz vorsichtig hielt er es, wie einen Vogel, der sich den Flügel gebrochen hatte.
»Nun?«, fragte Elinor besorgt. »Kannst du es retten? Ich weiß, es ist in furchtbarem Zustand, und die anderen sind, fürchte ich, nicht viel besser dran, aber ...«
»Das lässt sich alles beheben.« Mo legte das Buch zur Seite und begutachtete ein weiteres. »Aber ich denke, ich werde mindestens zwei Wochen brauchen. Wenn ich nicht zusätzliches Material besorgen muss. Das könnte die Sache noch um einiges verlängern. Erträgst du unsere Gegenwart so lange?«
»Selbstverständlich.« Elinor nickte, doch Meggie bemerkte den Blick, den sie in Staubfingers Richtung warf. Er stand immer noch vor den Regalen gleich neben der Tür und schien vollkommen in die Betrachtung der Bücher versunken zu sein, doch Meggie hatte den Eindruck, dass ihm nichts von dem entging, was hinter seinem Rücken gesprochen wurde.
In Elinors Küche gab es keine Bücher, nicht ein einziges, aber sie bekamen dort ein ausgezeichnetes Abendessen, an einem Holztisch, der, wie Elinor versicherte, aus der Schreibstube eines Klosters in Italien stammte. Meggie bezweifelte das. Soweit sie wusste, hatten die Mönche in den Skriptorien der Klöster an Tischen mit schrägen Schreibflächen gearbeitet, doch sie beschloss, dieses Wissen besser für sich zu behalten. Stattdessen nahm sie sich noch ein Stück Brot und fragte sich gerade, ob der Käse genießbar war, der auf dem angeblichen Schreib-Tisch stand, als sie sah, wie Mo Elinor etwas zuraunte. Elinors Augen weiteten sich begierig, woraus Meggie schloss, dass es nur um ein Buch gehen konnte, und sie musste sofort an Packpapier denken, an einen blassgrünen Leineneinband und den Zorn in Mos Stimme.
Neben ihr ließ Staubfinger unauffällig ein Stück Schinken in seinem Rucksack verschwinden: Gwins Abendbrot. Meggie sah, wie sich eine runde Nase schnuppernd aus dem Rucksack schob, in der Hoffnung auf noch mehr Köstlichkeiten. Staubfinger lächelte Meggie zu, als er ihren Blick bemerkte, und steckte Gwin noch etwas Schinkenspeck zu. An Mos und Elinors Getuschel schien er nichts zu finden, doch Meggie war sich sicher, dass die beiden einen geheimen Handel vorhatten.
Nach einer kleinen Weile stand Mo auf und ging hinaus. Meggie fragte Elinor, wo die Toilette sei - und folgte ihm.
Es war ein seltsames Gefühl, Mo nachzuspionieren. Sie konnte sich nicht erinnern, es jemals zuvor getan zu haben - außer in der Nacht, in der Staubfinger gekommen war. Und damals, als sie versucht hatte herauszufinden, ob Mo der Weihnachtsmann war. Sie schämte sich, so hinter ihm herzuhuschen. Aber er war selbst schuld. Warum versteckte er dieses Buch vor ihr? Und jetzt wollte er es womöglich dieser Elinor geben - ein Buch, das sie nicht sehen durfte! Seit Mo es so hastig hinter seinem Rücken verborgen hatte, ging es Meggie nicht mehr aus dem Kopf. Sie hatte sogar schon danach gesucht, in der Tasche mit Mos Sachen, bevor er sie in den Bus gebracht hatte, aber es war nicht zu entdecken gewesen.
Sie musste es einfach sehen, bevor es womöglich in einer von Elinors Vitrinen verschwand! Sie musste wissen, warum es Mo so viel wert war, dass er sie dafür hierher schleppte ...
In der Eingangshalle sah er sich noch einmal um, bevor er das Haus verließ, aber Meggie duckte sich rechtzeitig hinter eine Truhe, die nach Mottenkugeln und Lavendel roch. Sie beschloss, in ihrem Versteck zu bleiben, bis Mo zurückkam. Draußen auf dem Hof hätte er sie bestimmt entdeckt. Die Zeit verging quälend langsam, so wie sie es immer tut, wenn man mit pochendem Herzen auf etwas wartet. Die Bücher in den weißen Regalen schienen Meggie zu beobachten, doch sie schwiegen, als spürten sie, dass Meggie im Moment nur an ein einziges Buch denken konnte.
Schließlich kam Mo zurück, in der Hand ein in braunes Papier eingeschlagenes Päckchen. Vielleicht will er es hier auch nur verstecken!, dachte Meggie. Wo konnte man ein Buch besser verstecken als zwischen zehntausend anderen? Ja. Mo würde es hier lassen und sie würden wieder nach Hause fahren. Aber ich möchte es einmal sehen, dachte Meggie, nur einmal, bevor es in einem Regal steht, dem ich mich nur auf drei Schritte nähern darf.
Mo ging so dicht an ihr vorbei, dass sie ihn hätte berühren können, doch er bemerkte sie nicht. »Meggie, sieh mich nicht so an!«, sagte er manchmal. »Du liest wieder meine Gedanken.« Jetzt sah er besorgt aus - als wäre er nicht sicher, ob das, was er vorhatte, richtig war. Meggie zählte langsam bis drei, bevor sie ihm folgte, doch ein paar Mal blieb Mo so abrupt stehen, dass sie fast in ihn hineinlief. Er kehrte gar nicht erst in die Küche zurück, er ging gleich zur Bibliothek. Ohne sich noch einmal umzublicken öffnete er die Tür mit dem Zeichen des venezianischen Druckers und zog sie leise hinter sich zu.