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Meggie trat auf das Gitter zu, hinter dem Staubfinger stand. Sie sah ihn nur kurz an, dann blickte sie über seine Schulter. Capricorns Magd saß auf einem steinernen Sarkophag. Die Laterne, die Basta angezündet hatte, verbreitete nur spärlich Licht, aber es genügte, um ihr Gesicht zu erkennen. Es war das Gesicht von Mos Foto. Nur das Haar, das es umrahmte, war jetzt dunkler, und von einem Lächeln war auch nichts zu entdecken.

Als Meggie an das Gitter trat, hob ihre Mutter den Kopf und sah sie an, unverwandt, als gäbe es auf der Welt nichts anderes als sie.

»Mortola hat sie hergelassen?«, sagte Staubfinger. »Schwer zu glauben.«

»Die Kleine hat gedroht, dass sie sich auf die Zunge beißt.« Basta stand immer noch an der Treppe. Er spielte mit der Kaninchenpfote herum, die er als Glücksbringer um den Hals trug.

»Ich wollte mich bei dir entschuldigen.« Meggie sagte die Worte zu Staubfinger, doch sie sah dabei ihre Mutter an, die immer noch auf dem Sarkophag saß.

»Wofür?« Staubfinger lächelte sein seltsames Lächeln.

»Für heute Abend. Dass ich doch lese.«

Wie konnte sie den beiden nur von Fenoglios Plan erzählen? Wie?

»Gut, jetzt hast du dich entschuldigt!«, sagte Basta ungeduldig. »Komm, die Luft hier unten wird dein Stimmchen noch heiser machen.«

Aber Meggie drehte sich nicht um. Sie schloss die Finger um die Gitterstäbe, so fest sie konnte. »Nein«, sagte sie, »ich will noch bleiben.« Vielleicht fiel ihr ja noch etwas ein, ein paar unverdächtige Sätze ... »Ich hab noch etwas herausgelesen«, sagte sie zu Staubfinger. »Einen Zinnsoldaten.«

»Aha!« Staubfinger lächelte wieder. Eigenartig, diesmal kam ihr sein Lächeln weder rätselhaft vor noch überheblich »Nun, dann kann ja heute Abend nichts mehr schief gehen, oder?«

Er sah sie nachdenklich an und Meggie versuchte, es ihm mit den Augen zu sagen: Wir retten euch. Alles wird anders kommen, als Capricorn erwartet! Glaub mir!

Staubfinger sah sie immer noch an. Er versuchte zu verstehen. Fragend hob er die Augenbrauen. Dann sah er zu Basta hinüber. »He, Basta, wie geht es der Fee?«, fragte er. »Lebt sie noch oder hat deine Gegenwart sie schon umgebracht?«

Meggie sah, dass ihre Mutter auf sie zukam, zögernd, als ginge sie über zerbrochenes Glas.

»Sie lebt noch!«, antwortete Basta mürrisch. »Klingelt herum, dass man kein Auge zubekommt. Wenn das so weitergeht, sag ich Flachnase, er soll ihr den Hals umdrehen, so wie er es immer mit den Tauben tut, die seinen Wagen voll scheißen.« Meggie sah, wie ihre Mutter ein Stück Papier aus der Tasche ihres Kleides zog und es Staubfinger unauffällig in die Hand drückte.

»Das brächte euch beiden mindestens zehn Jahre Unglück«, sagte Staubfinger. »Glaub mir. Du weißt doch, mit Feen kenne ich mich aus. He, pass auf, da ist etwas, hinter dir ...«

Basta fuhr herum, als hätte ihn etwas in den Nacken gebissen.

Blitzschnell schob Staubfingers Hand sich durch das Gitter und drückte Meggie den Zettel in die Hand.

»Verdammt!«, fluchte Basta. »Versuch das nicht noch mal, verstanden?« Er drehte sich um, als Meggies Finger sich gerade um das Papier schlossen. »Ein Zettel! Na, sieh mal an.«

Meggie versuchte vergebens, die Hand geschlossen zu halten, Basta bog ihre Finger ohne große Mühe auseinander. Dann starrte er die winzigen Buchstaben an, die ihre Mutter geschrieben hatte.

»Los, lies!«, knurrte er und hielt ihr den Zettel vor die Augen.

Meggie schüttelte den Kopf.

»Lies!« Bastas Stimme senkte sich drohend. »Oder soll ich dir ein genauso hübsches Muster aufs Gesicht schnitzen wie deinem Freund hier?«

»Lies schon, Meggie«, sagte Staubfinger. »Der Bastard weiß sowieso, wie verrückt ich auf einen guten Schluck bin.«

»Wein?« Basta lachte auf. »Die Kleine soll dir Wein besorgen? Wie soll sie das denn anstellen?«

Meggie starrte den Zettel an. Jedes Wort prägte sie sich ein, bis sie sie auswendig konnte. Neun Jahre sind lang. Ich habe all deine Geburtstage gefeiert. Du siehst noch viel schöner aus, als ich es mir ausgemalt habe.

Sie hörte Basta lachen.

»Ja, das sieht dir ähnlich, Staubfänger«, sagte er. »Denkst, du kannst deine Angst im Wein ertränken. Aber dafür würde ein ganzes Fass nicht ausreichen.«

Staubfinger zuckte die Schultern. »Es war einen Versuch wert.« Vielleicht sah er etwas zu zufrieden aus, als er das sagte.

Basta runzelte die Stirn und musterte nachdenklich sein narbiges Gesicht. »Andererseits«, sagte er langsam, »warst du schon immer ein gerissener Hund. Und für eine Flasche Wein stehen da ziemlich viele Buchstaben. Was meinst du, Schätzchen?« Er hielt Meggie den Zettel noch einmal hin. »Willst du ihn mir nun vorlesen oder soll ich ihn der Elster zeigen?«

Meggie griff so schnell zu, dass sie den Zettel schon hinter dem Rücken verbarg, als Basta noch seine leeren Finger anstarrte.

»Her damit, du kleines Biest!«, zischte er sie an. »Her mit dem Zettel, oder ich schneid ihn dir aus den Fingern.«

Aber Meggie wich vor ihm zurück, bis sie mit dem Rücken gegen das Gitter stieß.

»Nein!«, stieß sie hervor, klammerte sich mit der einen Hand an die Stäbe und schob mit der anderen den Zettel hindurch. Staubfinger verstand sofort. Sie spürte, wie er ihr das Papier aus den Fingern zog.

Basta schlug ihr so heftig ins Gesicht, dass ihr Kopf gegen das Gitter prallte. Eine Hand strich ihr übers Haar, und als sie sich wie betäubt umsah, sah sie ihrer Mutter ins Gesicht. Gleich merkt er es, dachte sie, gleich weiß er alles. Doch Basta hatte nur Augen für Staubfinger, der den Zettel hinter dem Gitter hin und her schwenkte wie einen Wurm vorm Schnabel eines hungrigen Vogels.

»Na, wie ist es?«, sagte Staubfinger, während er einen Schritt zurücktrat. »Traust du dich zu mir herein oder willst du dich lieber weiter mit dem Mädchen schlagen?«

Basta stand regungslos da, wie ein Kind, das jemand plötzlich und ganz unerwartet geohrfeigt hat. Dann packte er Meggies Arm und riss sie an sich. Sie spürte etwas Kaltes an ihrem Hals. Sie musste es nicht sehen, um zu wissen, was es war.

Ihre Mutter schrie auf und zerrte an Staubfingers Hand, doch der hielt den Zettel nur noch höher. »Wusste ich's doch!«, sagte er. »Du bist ein Feigling, Basta! Hältst lieber einem Kind das Messer an den Hals, statt dich hier hereinzutrauen. Ja, wenn du jetzt Flachnase bei dir hättest, mit seinem breiten Kreuz und seinen fleischigen Fäusten - aber er ist nicht da. Nun komm schon, du hast das Messer! Ich habe nur meine Hände, und du weißt, wie ungern ich sie zum Kämpfen missbrauche.«

Meggie spürte, wie Bastas Griff sich lockerte. Die Klinge drückte sich nicht mehr in ihre Haut. Sie schluckte und fasste nach ihrem Hals. Fast erwartete sie, warmes Blut zu fühlen, aber da war nichts. Basta stieß sie so heftig von sich, dass sie stolperte und auf dem feuchtkalten Boden landete. Dann griff er in die Hosentasche und zerrte einen Schlüsselbund heraus. Die Wut ließ ihn keuchen wie einen Mann, der weit und zu schnell gelaufen ist. Mit zitternden Fingern schob er einen Schlüssel in das Zellenschloss.

Staubfinger beobachtete ihn mit ausdruckslosem Gesicht. Er winkte Meggies Mutter vom Gitter weg und wich selbst ebenfalls zurück, behände wie ein Tänzer. Sein Gesicht verriet nicht, ob er Angst hatte, die Narben schienen nur noch dunkler als sonst.

»Was soll das?«, sagte er, als Basta in die Zelle trat und ihm sein Messer entgegenhielt. »Steck das Ding weg. Wenn du mich tötest, verdirbst du Capricorn den ganzen Spaß. Das würde er dir kaum verzeihen.« Ja, er hatte Angst. Meggie hörte sie in seiner Stimme, die Worte kamen ihm etwas zu schnell über die Lippen.