»Wer spricht denn vom Töten?«, schnurrte Basta, während er die Zellentür hinter sich zuzog.
Staubfinger wich bis an den Steinsarkophag zurück. »Ah, du willst mir das Gesicht noch etwas mehr verzieren?« Er flüsterte fast. Jetzt war da noch etwas anderes in seiner Stimme, Hass, Abscheu, Wut. »Denk nicht, dass das diesmal so leicht wird«, sagte er leise. »Ich habe mir inzwischen ein paar praktische Dinge beigebracht.«
»Tatsächlich?« Basta stand kaum noch einen Schritt von ihm entfernt. »Und was soll das sein? Dein Freund, das Feuer, ist nicht hier, um dir zu helfen. Nicht mal den stinkenden Marder hast du dabei.«
»Ich habe da mehr an Worte gedacht!« Staubfinger legte die Hand auf den Sarkophag. »Hab ich es dir noch nicht erzählt? Die Feen haben mir beigebracht, wie man jemanden verflucht. Sie hatten Mitleid mit meinem zerschnittenen Gesicht und sie wussten, wie schlecht ich mich aufs Kämpfen verstehe. Ich verfluche dich, Basta - bei den Knochen des Toten, der in diesem Sarg liegt. Ich wette, es liegt längst nicht mehr irgendein Priester darin, sondern einer, den ihr habt verschwinden lassen, stimmt's?«
Basta antwortete nicht, doch sein Schweigen war beredter als alle Worte.
»Ja, natürlich. So ein alter Sarg ist ein wunderbares Versteck.« Staubfinger strich mit den Fingern über den zersprungenen Deckel, als wollte er den Toten mit der Wärme seiner Hand ins Leben zurückrufen. »Sein Geist soll dich heimsuchen, Basta!«, sagte er mit beschwörender Stimme. »Er soll dir meinen Namen ins Ohr flüstern bei jedem Schritt, den du tust ...«
Meggie sah, wie Bastas Hand zu der Kaninchenpfote wanderte.
»Das Ding wird dir nichts helfen!« Staubfingers Hand lag immer noch auf dem Sarkophag. »Armer Basta! Wird dir schon heiß? Fangen deine Glieder an zu zittern?«
Basta stieß mit dem Messer nach ihm, doch Staubfinger wich der Klinge leichtfüßig aus.
»Gib mir den Zettel, den du ihr zugesteckt hast!« Basta schrie es ihm ins Gesicht, doch Staubfinger schob den Zettel in seine Hosentasche. Meggie stand da, reglos wie eine Puppe. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie ihre Mutter in die Tasche ihres Kleides griff. Als sie die Hand wieder herauszog, hielt sie einen Stein darin, grau und kaum größer als ein Vogelei.
Staubfinger strich mit den Händen über den Deckel des Sarkophags und streckte sie Basta entgegen. »Soll ich dich damit anfassen?«, fragte er. »Was passiert, wenn man einen Sarg berührt, in dem jemand liegt, der ermordet wurde? Sag schon. Du kennst dich mit solchen Dingen doch aus.« Wieder machte er einen Schritt zur Seite, wie ein Tänzer, der sein Gegenüber umkreist.
»Ich schneid dir deine stinkenden Finger ab, wenn du versuchst mich anzufassen!«, brüllte Basta, das Gesicht zornrot. »Jeden einzelnen und deine Zunge dazu.« Wieder stieß er mit dem Messer zu, zerschnitt die Luft mit der blanken Klinge, aber Staubfinger wich ihr aus. Immer schneller sprang er um Basta herum, duckte sich, trat zurück und wieder vor, doch plötzlich hatte er sich selbst gefangen mit seinem verwegenen Tanz. Hinter ihm war nur noch die kahle Mauer, rechts von ihm das Gitter - und Basta kam auf ihn zu.
In dem Moment hob Meggies Mutter die Hand. Der Stein traf Bastas Kopf. Verblüfft fuhr er herum, sah sie an, als versuchte er sich daran zu erinnern, wer sie sei, und presste die Hand an den blutenden Kopf. Meggie wusste nicht, wie Staubfinger es anstellte, aber plötzlich hielt er Bastas Messer in der Hand. Basta starrte die vertraute Klinge so entgeistert an, als könnte er nicht fassen, dass sie sich treulos gegen seine Brust richtete.
»Na, wie fühlt sich das an?« Staubfinger näherte die Messerspitze langsam Bastas Bauch. »Spürst du, wie weich dein Fleisch ist? So ein Körper ist ein zerbrechliches Ding, und du kannst dir keinen neuen besorgen. Wie macht ihr das noch mal mit den Katzen und Eichhörnchen? Flachnase erzählt es zu gern ...«
»Ich jage keine Eichhörnchen.« Bastas Stimme klang heiser. Er versuchte, nicht auf die Klinge zu sehen; kaum eine Handbreit war sie von seinem blütenweißen Hemd entfernt.
»Ach ja, stimmt. Ich erinnere mich. Daran hast du weniger Spaß als die anderen.«
Bastas Gesicht war weiß. Alle Zornesröte war daraus verschwunden. Die Angst ist nicht rot. Die Angst ist blass wie das Gesicht eines Toten. »Was hast du jetzt vor?«, stieß er hervor. Er atmete schwer, als wäre er am Ersticken. »Glaubst du etwa, du kommst lebend aus dem Dorf heraus? Sie werden euch erschießen, bevor du über den Platz bist.«
»Nun, das ziehe ich einer Begegnung mit dem Schatten vor«, erwiderte Staubfinger. »Außerdem kann keiner von euch besonders gut schießen.«
Meggies Mutter trat neben ihn. Sie tat, als schriebe sie mit dem Finger in die Luft. Staubfinger griff in seine Hosentasche und gab ihr den Zettel. Basta folgte dem Papier mit den Augen, als könnte er es mit seinen Blicken an sich ziehen. Resa schrieb etwas darauf und gab es Staubfinger zurück. Mit gerunzelter Stirn las er, was sie geschrieben hatte. »Warten, bis es dunkel wird? Nein, ich will nicht warten. Aber vielleicht sollte das Mädchen besser hier bleiben.« Er sah Meggie an. »Capricorn wird ihr nichts tun. Sie ist schließlich seine neue Zauberzunge und irgendwann wird ihr Vater kommen und sie holen.« Staubfinger steckte den Zettel wieder ein und fuhr mit der Messerspitze an Bastas Hemdknöpfen entlang. Sie klickten, als das Metall sie berührte. »Geh schon zur Treppe, Resa«, sagte er. »Ich werde das hier erledigen, und dann schlendern wir über Capricorns Platz davon, als wären wir ein unschuldiges Liebespaar.«
Zögernd öffnete Resa die Zellentür. Sie trat vor das Gitter und griff nach Meggies Hand. Ihre Finger waren kalt und etwas rau, die Finger einer Fremden, doch das Gesicht war vertraut, auch wenn es auf dem Foto jünger und nicht so besorgt ausgesehen hatte.
»Resa! Wir können sie nicht mitnehmen!« Staubfinger griff nach Bastas Arm und stieß ihn mit dem Rücken gegen die Mauer. »Ihr Vater bringt mich um, wenn sie da draußen erschossen wird. Und jetzt dreh dich um und halt ihr die Augen zu, oder willst du, dass sie zusieht ...« Das Messer zitterte in seiner Hand. Resa sah ihn erschrocken an, sie schüttelte heftig den Kopf, aber Staubfinger tat, als sähe er sie nicht.
»Du musst fest zustoßen, Schmutzfinger!«, zischte Basta, während er die Hände gegen den Stein hinter sich presste. »Das Töten ist keine leichte Angelegenheit. Man muss es üben, um es gut zu machen.«
»Unsinn!« Staubfinger packte ihn an der Jacke und hielt ihm das Messer unters Kinn, so wie Basta es bei Mo gemacht hatte, damals, in der Kirche. »Jeder Dummkopf kann töten. Es ist leicht, so leicht wie ein Buch ins Feuer zu werfen, eine Tür einzutreten oder einem Kind Angst zu machen.«
Meggie begann zu zittern, sie wusste selbst nicht, warum. Ihre Mutter machte einen Schritt auf das Gitter zu, doch als sie Staubfingers versteinertes Gesicht sah, blieb sie stehen. Dann drehte sie sich um, zog Meggies Gesicht an ihre Brust und schlang die Arme fest um sie. Ihr Geruch kam Meggie vertraut vor, wie etwas lang Vergessenes, sie schloss die Augen und versuchte, an nichts zu denken, nicht an Staubfinger, nicht an das Messer und nicht an Bastas weißes Gesicht. Und dann, für einen schrecklichen Moment, hatte sie nur einen Wunsch - Basta tot auf dem Boden liegen zu sehen, reglos wie eine weggeworfene Puppe, ein hässliches, dummes Ding, vor dem man sich immer ein bisschen gefürchtet hatte ... Kaum einen Fingerbreit war das Messer von Bastas weißem Hemd entfernt, doch plötzlich griff Staubfinger ihm in die Hosentasche, zerrte die Zellenschlüssel heraus und machte einen Schritt zurück. »Ach was, du hast Recht, ich versteh nichts vom Töten«, sagte er, während er sich rückwärts aus der Zelle schob. »Und für dich werd ich es nicht lernen.«
Auf Bastas Gesicht machte sich ein höhnisches Lächeln breit, doch Staubfinger beachtete es nicht. Er schloss die Gittertür zu, griff nach Resas Hand und zog sie zur Treppe. »Lass sie los!«, drängte er, als er sah, dass sie Meggie immer noch festhielt. »Glaub mir doch, ihr wird nichts geschehen und wir können sie nicht mitnehmen!« Aber Resa schüttelte nur den Kopf und schlang Meggie den Arm um die Schultern.