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Jo starrte sie an. Rhapsody schüttelte ihre Erinnerungen ab, »Ich werde die Drachin finden und den Krallendolch zurückgeben und hoffen, dass sie nicht trotzdem losziehen wird, um Ylorc und alle Bolg obendrein zu vernichten«, sagte sie schlicht. »Diese Reise hat nichts mit den Cymrern zu tun.«

»Oh.« Jo nahm noch einen Bissen von dem Brötchen. »Weiß Ashe das auch?«

In der Stimme ihrer Schwester klang eine Warnung mit, die Rhapsody sehr wohl vernahm, ein Unterton, für den sie als Sängerin empfindlich war. »Ich nehme es an. Wieso?« Unbehagliche Stille senkte sich zwischen sie. »Warum sagst du es mir nicht, Jo?«

»Es ist nichts«, entgegnete Jo abwehrend. »Er wollte nur wissen, ob du Cymrerin bist, das war alles. Aber er hat mehrmals danach gefragt.«

Rhapsody spürte eine Kälte im Magen, die es mit der immer noch herrschenden Kälte im Land durchaus aufnehmen konnte. »Ich? Er hat dich über mich ausgefragt?«

»Nun, über euch drei. Über Achmed und Grunthor auch.«

»Aber nicht über dich?«

Mit ausdruckslosem Gesicht ließ sich Jo die Frage durch den Kopf gehen. »Nein, nach mir hat er nie gefragt. Ich denke, er nimmt an, dass ich keine Cymrerin bin. Ich frage mich, warum.«

Rhapsody stand auf und klopfte sich Hose und Umhang ab. »Vielleicht bist du die Einzige, die er nicht für eine Arschgeige hält.«

In Jos Augen funkelte es schalkhaft. »Ich hoffe nicht«, meinte sie und blickte unschuldig in den Himmel hinauf. »Aber Grunthor ist bestimmt auch keine Arschgeige.« Sie lachte, als der Wind ihr einen Schwall Schnee und trockene Blätter ins Gesicht blies. »Im Ernst, Rhapsody ... ich meine, hast du jemals einen Cymrer kennen gelernt? Ich dachte, die wären sowieso alle längst tot.«

Am Horizont verfärbte sich der Himmel zu einem fahlen Graublau. »Du hast selbst die Bekanntschaft eines Cymrers gemacht, Jo«, sagte sie geradeheraus, während sie die Reste ihres Frühstücks einpackte. »Herzog Stephen ist cymrischer Abstammung.«

»Nun, ich denke, das bestätigt die Theorie mit den Arschgeigen«, erwiderte Jo und wischte sich mit dem Handrücken die Krümel vom Mund. »Aber ich meinte eigentlich einen alten Cymrer, einen von denen, die den Krieg überlebt haben. Die Art, die ewig lebt.«

Rhapsody überlegte kurz. »Ja, ich glaube, ich kenne einen. Einmal wurde ich auf der Straße von Gwynwald nach Navarne vom Pferd eines widerlichen Soldaten namens Anborn um ein Haar niedergetrampelt. Wenn er derjenige aus der Geschichte ist, die uns zu Ohren gekommen ist, dann war er im Krieg Gwylliams General und ist damit heute ziemlich alt. Der Krieg war vor vierhundert Jahren zu Ende, hat aber siebenhundert Jahre gedauert.«

Jo war dabei gewesen, als sie die Bibliothek aufgebrochen und Gwylliams Leiche gefunden hatten. »Dann hat der alte Bastard ja gar nicht so übel ausgesehen. Man hatte den Eindruck, er sei höchstens zweihundert Jahre tot.« Rhapsody lachte. »War er es, der den Krieg verursachte, weil er seine Frau geschlagen hatte?«

»Ja. Ihr Name war Anwyn. Sie war die Tochter des Entdeckers Merithyn, des ersten Cymrers, und der Drachin Elynsynos ...«

»Ist das die, die du jetzt aufsuchen wirst?«

»Ja, die sich in ihn verliebte und ihm sagte, die Cymrer könnten in ihrem Land wohnen, was noch nie einem Menschen gestattet worden war.«

Jo stopfte sich den letzten Bissen in den Mund. »Wawrum hat schie dasch gemacht?«

»Der König von Serendair, Gwylliam ...«

»Dessen Leiche wir gefunden haben?«

Rhapsody lachte. »Genau der. Er hatte vorausgesehen, dass die Insel in einer vulkanischen Feuersbrunst vernichtet werden würde. Aus dem Grunde wollte er einen möglichst großen Teil der Bevölkerung seines Königreichs umsiedeln, und zwar an einen Ort, an dem sie ihre Kultur bewahren konnte und wo er ihr König bleiben würde.«

»Machtgierige Arschgeige.«

»So sagt man. Aber er hat die meisten Angehörigen seines Volkes vor dem sicheren Tod bewahrt, sie halb um die Welt herumgeführt und Canrif erbaut...«

»Also, das war wirklich eine Leistung. Ein vornehmer Ort mit fließend Wasser, das die Bolg nicht mal nutzen.«

»Unterbrich mich nicht dauernd. Später haben die Bolg Canrif überrannt. Gwylliam und dann Anwyn haben fast aus dem Nichts eine außergewöhnliche Zivilisation aufgebaut und in Frieden über eine Ära nie da gewesenen Fortschritts geherrscht, bis zu der Nacht, als er sie geschlagen hat. Der Vorfall ist als ›Schwerer Schlag‹ bekannt geworden, weil mit diesem Klaps zwischen König und Königin der Krieg angefangen hat, der ungefähr ein Viertel der Bevölkerung des Kontinents und ein gut Teil der cymrischen Zivilisation ausrotten sollte.«

»Eindeutige Arschgeigen«, stellte Jo lautstark fest. »Soll ich irgendetwas für dich erledigen, so lange du weg bist?«

Rhapsody lächelte. »Jetzt, wo du fragst ja. Könntest du meine Firbolg-Enkel ein bisschen im Auge behalten?« Jo verzog das Gesicht und gab ein würgendes Geräusch von sich, was ihre Schwester beides ignorierte. »Und vergiss deine Lernprojekte nicht.«

»Tut mir schon Leid, dass ich gefragt habe«, brummte Jo.

»Und schau hin und wieder in Elysian vorbei, ja? Wenn die neuen Pflanzungen Wasser brauchen, gib ihnen zu trinken.«

Jo rollte die Augen. »Du weißt, dass ich Elysian nicht mal finden kann.« Außer Achmed und Grunthor kannte niemand den genauen Weg zu Rhapsodys Zuhause, einer winzigen Hütte auf einer Insel in einer unterirdischen Grotte. Die. Gefährten bewahrten das Geheimnis geflissentlich.

»Bring Grunthor dazu, dass er dich mal mitnimmt. Tut mir Leid, dass dir meine Aufträge so lästig erscheinen. Was hattest du denn im Sinn, als du fragtest?«

Jos blasses Gesicht hellte sich auf. »Zum Beispiel könnte ich für dich auf die Tagessternfanfare aufpassen.«

Rhapsody lachte. »Aber ich nehme das Schwert mit, Jo.« Schon lange war Jo fasziniert von der brennenden Klinge und hatte die züngelnden Flammen wie hypnotisiert beobachtet. Als sie zusammen über Land gereist waren, hatte Rhapsody das Schwert nachts draußen behalten, bis Jo eingeschlafen war, und das Licht der Sterne, das von der Klinge ausstrahlte, hatte sie in der Dunkelheit beruhigt.

»Oh.«

»Schließlich könnte es sein, dass ich es brauche. Du möchtest doch, dass ich zurückkomme, oder nicht?«, meinte Rhapsody und tätschelte Jos Gesicht, das ihre Niedergeschlagenheit widerspiegelte.

»Ja«, antwortete Jo hastig, und in ihrer Stimme war eine unbeabsichtigte Dringlichkeit zu hören. »Wenn du mich hier bei den Bolg allein lässt, dann werde ich nicht rasten und ruhen, bis ich dich gefunden habe, und dann bringe ich dich um.«

Inzwischen war der Himmel im Osten hellrosa überzogen, mit einem hellgelben Band, das den Horizont darunter berührte. Rhapsody schloss die Augen und spürte die nahende Sonne. Am Rand ihres Wahrnehmungsvermögens hörte sie leise einen Ton erklingen, getragen vom Wind; es war re, die zweite Note der Tonleiter. In der Sangeskunde kündigte re einen friedlichen Tag an, einen Tag ohne Unglücksfälle.

Leise stimmte sie ihre morgendliche Aubade an, das Liebeslied an die Sonne, das ihr Volk, die Liringlas, zur Begrüßung des heraufdämmernden Morgens sangen. Es war ein Lied, das von der Mutter an die Tochter weitergegeben wurde, wie die Abendgebete, die der Sonne am Ende des Tages eine gute Reise wünschten und die Sterne willkommen hießen, die im Zwielicht in Erscheinung traten. Für Rhapsody waren diese alten Gebete immer sehr ergreifend, denn es war die einzige Art, wie sie sich ihrer Mutter nahe fühlen konnte, die sie mehr als alles andere vermisste, was sie mit dem Versinken der Insel verloren hatte. Sie spürte, wie Jo neben ihr zu zittern anfing, während sie dem Lied lauschte, und Rhapsody nahm ihre Hand. Dieses urtümliche Lied, ein Geschenk der Mutter an die Tochter, berührte auch sie immer ganz besonders. Jo hatte ihre Mutter nie gekannt, denn sie war als Kind auf der Straße ausgesetzt worden, und so nahm Rhapsody das Mädchen jetzt in die Arme, während das Lied zu Ende ging.