»Nein, danke. Das riecht wie Dreck aus einem Stinktiergrab.«
»Nun, sei’s drum, ich mag Kaffee, und zwar wesentlich lieber als deinen scheußlichen Tee.«
Rhapsody machte ein langes Gesicht, und er beeilte sich, den Schaden wieder gutzumachen.
»Obwohl ich natürlich schon glaube, dass der Tee, den du machst, wenn du nicht im Wald und unabhängig von dieser begrenzten Pflanzenauswahl bist...«
»Erspar mir deine Reden«, entgegnete sie kalt. »Es ist dein gutes Recht, meinen Tee nicht zu mögen. Niemand hat behauptet, er wäre lecker; er ist nur gesund. Und wenn du dich mit diesem Gallenzeug vergiften möchtest, will ich dich nicht zurückhalten. Aber du kannst deinen Kaffee selbst kochen, ich habe nicht das Bedürfnis, seine Dämpfe einzuatmen. Genau genommen denke ich, ich sollte mir einen anderen Lagerplatz suchen, bis du fertig bist.«
Damit erhob sie sich und ging vom Feuer weg in den Wald. Ihr Essen blieb zum großen Teil unberührt zurück.
Nur wenige Worte wurden an diesem Abend zwischen ihnen gewechselt. Nach Sonnenuntergang, als sie ihre Vesper gesungen hatte, kam Rhapsody zurück und machte es sich für die Nacht in ihrer Ecke des Lagers gemütlich.
Ashe reparierte gerade einen seiner Stiefel, als sie in den Feuerschein trat, und beobachtete, wie sie an den Flammen vorbeiging. Er hatte längst bemerkt, welche Wirkung sie auf das Feuer ausübte und wie es ihre Stimmung spiegelte. Jetzt knackte und zischte es in unausgesprochener Wut. Offensichtlich hatte sie sein beleidigendes Verhalten noch nicht überwunden, wahrscheinlich weil er sich nicht dafür entschuldigt hatte. Also beschloss er, das jetzt zu tun. »Es tut mir Leid wegen vorhin«, sagte er und drehte den Stiefel um, ohne sie anzuschauen.
»Du kannst die Sache ruhig vergessen.«
»Na gut«, entgegnete er und zog den Stiefel wieder an. »Dann vergesse ich sie. Ich wünschte, es gäbe mehr Frauen, die mich so leicht davonkommen lassen.«
Rhapsody rollte ihren Mantel zusammen und stopfte ihn als Kissen unter ihren Kopf. Der Boden war mit Baumwurzeln und Steinen übersät, sodass es kaum einen bequemen Schlafplatz gab. »Unsinn«, widersprach sie. »Deine Mutter hat dir bestimmt alles durchgehen lassen.«
Ashe lachte. »Ein Punkt für dich«, räumte er ein und gebrauchte damit einen Ausdruck der Schwertkampflehrer. »Dann kann ich also davon ausgehen, dass meine Entschuldigung angenommen ist?«
»Gewöhn dich lieber nicht zu sehr an den Gedanken«, brummte Rhapsody aus dem Innern ihrer Deckenrolle, doch eine Spur von Humor war in ihre Stimme zurückgekehrt. »Spucken verzeihe ich nur ganz selten. Gewöhnlich würde ich dir in einem solchen Fall das Herz herausreißen, obwohl es bei dir ganz danach aussieht, als hätte das schon jemand anderes erledigt.« Damit schloss sie die Augen und wollte einschlafen. Einen Sekundenbruchteil später drang ein Summen an ihr Ohr, und sogar hinter ihren geschlossenen Lidern konnte sie sehen, dass ein blauweißes Licht die Dunkelheit erfüllte. Die scharfe Metallspitze eines Schwerts piekte direkt unter dem Kinn in ihren Hals. Vorsichtig öffnete sie die Augen.
Über ihr stand Ashe. Selbst in der Dunkelheit sah man seiner verhüllten Gestalt die Anzeichen seines unbändigen Zorns an. Mit einer gemeinen Drehung des Handgelenks drückte er die Schwertspitze tiefer in ihren Hals, gerade so weit, dass die Haut unverletzt blieb. In seiner Kapuze funkelten zwei Lichtpunkte.
»Steh auf«, zischte er und trat heftig gegen ihren Stiefel.
Rhapsody erhob sich, dem Schwert gehorchend. Es pulsierte in bläulichem Licht, einem Licht, das sie in der Schlacht aus dem Augenwinkel gesehen hatte, aber nie zuvor aus der Nähe. Es war ein Bastardschwert, eine Waffe mit breiter Klinge und breitem Heft, länger als ihr eigenes. Sowohl Griff als auch Klinge waren verziert mit schimmernden blauen Runen, doch diese waren nicht der faszinierendste Teil.
Die Klinge selbst nämlich sah aus, als wäre sie flüssig. Sie schwebte in der Luft und kräuselte sich zum Griff hin wie Meereswellen, die ans Ufer schlagen. Von der wässrigen Waffe stieg ein Nebel auf wie Rauch von den Feuern der Unterwelt und bildete vor Rhapsody einen Nebeltunnel, einen beweglichen Tunnel, an dessen Ende ein Fremder stand, mit Mordgier in den Augen. Dies wusste sie, auch wenn sie seine Augen nicht klar sehen konnte, denn er hätte ihr eine Waffe, die eine solche Macht besaß, niemals gezeigt, wenn er nicht sicher gewesen wäre, dass für sie dieser Anblick nur von kurzer Dauer sein würde. Eine tödliche Ruhe überkam Rhapsody. Sie starrte durch den nebligen Tunnel auf den Mann im Umhang auf der anderen Seite. Er schwieg, aber sein Zorn war spürbar, überall in der Luft um sie herum.
Als er nach einem weiteren endlosen Augenblick noch immer nicht sprach, beschloss Rhapsody, etwas zu sagen.
»Warum musste ich aufstehen? Bist du zu ritterlich, um mich zu töten, während ich schlafe?«
Ashe antwortete nicht, sondern drückte noch ein bisschen stärker zu. Einen Augenblick lang wurde Rhapsody schwarz vor den Augen, weil kaum Blut in ihren Kopf kam. Doch sie nahm alle Kraft zusammen und starrte weiter in seine Richtung.
»Nimm das Schwert augenblicklich weg oder töte mich einfach«, befahl sie kalt. »Du störst mich beim Schlafen.«
»Wer bist du?« Ashes Stimme klang erstickt vor mörderischer Wut. Rhapsody horchte unwillkürlich auf, denn diese Worte hatte sie schon einmal gehört, und zwar von einem anderen in einen Umhang gehüllten Fremden. Fast genau so hatte sie Achmed kennen gelernt. Sein Ton war ähnlich mörderisch gewesen, als er in ihrem Tornister gewühlt hatte, während Grunthor sie im Schatten ihres ersten gemeinsamen Lagerfeuers festgehalten hatte.
Wer bist du?
He, Finger weg!
An deiner Stelle war ich jetzt schön brav, Herzchen. Er hat dich was gefragt.
Darauf habe ich doch schon geantwortet. Ich bin Rhapsody. Und jetzt nimm deine Hände aus meinen Sachen, sonst geht noch was kaputt.
Ich mache nichts kaputt, es sei denn absichtlich. Also, ich frage noch einmaclass="underline" Wer bist du? Sie seufzte im Stillen. »Anscheinend muss ich bis in alle Ewigkeit derartige Gespräche mit Männern führen, die mir etwas antun wollen. Mein Name ist Rhapsody. Das weißt du doch längst, Ashe.«
»Offensichtlich weiß ich überhaupt nichts über dich«, entgegnete er mit leiser, tödlicher Stimme. »Wer hat dich geschickt? Wer ist dein Meister?«
Das letzte Wort tat weh, denn es rief eine Explosion von Erinnerungen in ihr hervor, entstanden in der Qual des Straßenlebens, der Erniedrigung und erzwungenen Prostitution.
»Wie kannst du es wagen? Ich habe keinen Meister. Was willst du damit andeuten?«
»Dass du eine Lügnerin bist, bestenfalls. Schlimmstenfalls bist du eine Verkörperung des Bösen und wirst für das Leid und die Schmerzen sterben, die du anderen seit Anbeginn der Zeit zugefügt hast.«
»Himmel! Was für Schmerzen denn?«, fragte Rhapsody ungläubig. »Und nenn mich nicht Lügnerin, du törichte Memme. Wenn hier einer lügt, dann du! Du hast meinen Freunden versprochen, ich wäre bei dir in Sicherheit. Wenn du vorhattest, mich zu töten, so hätte ich an dem von dir gewünschten Treffpunkt mit dir gekämpft. Du hättest mich nicht in die Wälder locken müssen, um ungestraft davonzukommen, du feiges Stück Bolg-Dreck.«
Ashe richtete sich noch ein Stück weiter auf; das Schwert rührte sich nicht von der Stelle. Doch dem Anschein nach hatte sich seine Wut ein wenig gelegt. Rhapsody hätte nicht mit Bestimmtheit sagen können, woher sie es wusste, aber sie war sich dennoch dessen sicher.
»Gestehe, wer dich geschickt hat, dann verschone ich dein Leben«, sagte er, und seine Stimme klang schon ein klein wenig vernünftiger. »Sag mir, wer der Wirt ist, dann lasse ich dich gehen.«
»Ich habe wirklich keine Ahnung, wovon du da faselst«, gab sie ärgerlich zurück. »Mich schickt niemand.«
Noch einmal piekte Ashe sie heftig in den Hals. »Lüg mich nicht an! Wer hat dich geschickt? Du hast zehn Sekunden, um mir einen Namen zu liefern, wenn dir dein Leben lieb ist.«