Ashe duckte sich fast unter ihrem Blick. »Natürlich hast du das. Aber es gibt zwei Gründe. Der erste ist, dass sie beide von dir erwarten werden, dass du als Herold fungierst, als Sängerin, als Benennerin. Sowohl Llauron als auch Lark wissen, dass du die Wahrheit sagst, wie du sie gesehen und erkannt hast. Wenn du nun glaubst, dass Llauron tot ist, dann wird es der Rest der Welt ebenfalls glauben. Man wird die Nachricht nicht anzweifeln, wenn sie aus deinem Mund kommt. Darauf zählen Lark und auch Llauron Lark, um ihr Recht als neue Herrin der Filiden zu untermauern, und Llauron, um seine Charade glaubhaft erscheinen zu lassen. Wenn du nicht so ehrlich wärst, hätte er es dir vielleicht erzählt, in der Hoffnung, dass du trotzdem bei seinem Plan mitmachen würdest. Aber ich fürchte, dein Ruf eilt dir voraus, mein Schatz.«
Bissige Erwiderungen lagen Rhapsody auf der Zunge, denn sie musste daran denken, wie sie vor langer Zeit die gleichen Worte aus Michaels Mund gehört hatte. Aber sie verbiss sich ihre Kommentare, sah weg und bemühte sich, ihre Wut vor Ashe zu verbergen. »Und was ist der zweite Grund?«
Ashe schluckte. »Aria, wenn du mich liebst, dann frage mich bitte nicht danach. Glaube mir einfach, dass du nichts damit zu tun haben wolltest, wenn du es wüsstest.« Er fuhr sich mit den Fingern durch sein metallisch glänzendes Haar, das jetzt nass war von Schweiß. Langsam stand Rhapsody auf, verschränkte die Arme und wandte sich um. »Nun gut, Ashe, da ich dich wirklich liebe, werde ich dich nicht fragen. Aber ich glaube, du wirst es mir trotzdem sagen. Angesichts dessen, was wir einander versprochen haben, kann ich mir nicht vorstellen, dass du mir dergleichen vorenthältst, zumal du doch weißt, dass es mich in beiden Fällen verletzten wird. Dann kannst du es mir auch sagen.«
Endlich begegneten sich ihre Blicke, und hinter ihrer Wut spürte er Mitgefühl; sie verstand, wie schwierig die Situation für ihn war. Und sie vertraute ihm, obwohl es genügend Gründe gab, es nicht zu tun. Er schloss die Augen.
»Bevor der Kampf beginnt, wird Llauron dich bitten, falls er stirbt...« Seine Stimme versagte.
»Mach weiter«, drängte sie ungeduldig. »Was soll ich für ihn tun?«
»Du wirst ihm versprechen, seinen Scheiterhaufen anzuzünden, wenn du ihn für tot hältst, und zwar, indem du mit der Tagessternfanfare das Feuer von den Sternen herabrufst. Die Flammen werden seinen Körper verzehren, und das ist der wichtige erste Schritt auf seinem Weg zur elementaren Unsterblichkeit. Ohne das kommt er nicht weiter. Llauron braucht die beiden Elemente Feuer und Äther, um ein vollständiger Drache zu werden. Er weiß, dass du ihn nicht im Stich lassen wirst, wenn du ihm dein Wort gegeben hast.«
Als er keine Antwort hörte, öffnete er die Augen wieder. Rhapsody starrte ihn an und zitterte heftig.
»Aber er wird nicht wirklich tot sein!«
»Nein.«
»Ich werde ihn bei lebendigem Leibe verbrennen. Ich werde ihn töten.«
»Aria ...«
Doch Rhapsody rannte aus der Laube, und wenige Sekunden später hörte Ashe ein Würgen im Gebüsch, gefolgt von einem herzzerreißenden Schluchzen. Vor Wut schlug Ashe mit der Faust gegen eine der Säulen, doch er bemühte sich, Herr über seinen Zorn und den sich aufbäumenden Drachen zu werden, denn er wusste, dass er für sie Ruhe bewahren musste und dass das wichtiger war als die Erleichterung, die er sich verschaffte, indem er seinen Gefühlen freien Lauf ließ. Rastlos wanderte er in der Laube auf und ab, wartete, dass sie endlich zurückkam, spürte ihre Angst, hörte ihr Weinen, widerstand aber dem Drang, sie zu trösten, denn das hätte alles nur schlimmer gemacht.
Endlich verstummte das Schluchzen, und einen Augenblick später näherte sich Rhapsody wieder der Laube. Ihr Gesicht war rot, aber ruhig, ihr Kleid zerknautscht, aber wieder einigermaßen in Ordnung. Sie stellte sich seinem Blick, ohne Vorwurf, ohne Mitgefühl; er konnte nicht beurteilen, ob sie überhaupt etwas fühlte.
»Darauf hat Manwyn also angespielt«, sagte sie. »Das war die Information, die dich so aufgeregt und dazu bewogen hat, mir die Erinnerung zu nehmen. Du hattest Angst, dass ich, weil ich ihre Worte nur zur Hälfte verstanden habe, vielleicht aus Versehen etwas ausplaudern und den Plan zu früh oder an die falschen Leute verraten könnte. Das willst du nun aus meinem Gedächtnis löschen die List, die ihr plant, und das, was Manwyn darüber gesagt hat.«
Es hatte keinen Sinn, es zu leugnen. »Ja.«
»Und die Erinnerung an deinen Antrag? Warum darf ich nicht daran denken, dass du mich heiraten möchtest und dass ich zugestimmt habe?«
»Weil du dich ganz in der Nähe eines der wichtigsten Sklaven des F’dor aufhalten wirst. Im Augenblick brauchen sie dich, um Lark zu legitimieren. Aber wenn sie auf die Idee kämen, sie könnten durch dich an mich herankommen, wäre ihnen das wahrscheinlich noch wichtiger. Sollten sie von deinem Versprechen erfahren und herausfinden, dass wir uns verlobt haben, dann würdest du in weit größerer Gefahr schweben.« Sie nickte. »Kannst du mir verzeihen?«
Rhapsodys Gesicht blieb ausdruckslos. »Ich bin nicht sicher, ob es etwas gibt, was ich dir verzeihen müsste, Ashe.«
»Ich könnte mich weigern. Ich könnte den Plan verhindern.«
»Wie denn? Indem du dich um meinetwillen deinem Vater gegenüber unloyal verhältst? Nein danke. Das möchte ich nicht auf mich laden. Es ist Llaurons Plan, Ashe du bist dabei genauso eine Marionette wie ich.«
»Allerdings eine, die Bescheid weiß. Das ist der Unterschied. Also, Rhapsody, wie entscheidest du dich? Willst du dein Einverständnis zurückziehen und die Erinnerung lieber behalten? Falls es so ist, hast du meine volle Unterstützung.«
»Nein«, antwortete sie kurz. »Das würde bedeuten, dass ich mein Wort zurücknehme, auch wenn du mir das Recht dazu gibst. Und außerdem was würdest du dann tun? Es ist zu spät, Ashe, viel zu spät. Wir können nur unsere Rollen spielen und versprechen, dass wir, wenn alles vorbei ist, unser Leben ehrlich leben, ohne diese Art von Täuschung und Betrug.«
Er trat zu ihr und nahm ihr Gesicht in beide Hände. »Immer wieder führst du mir vor Augen, warum ich nie daran zweifeln werde, dass ich dich liebe.«
Doch Rhapsody entzog sich ihm und wandte ihm den Rücken zu. »Über Zweifel möchte ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt lieber nicht reden, Ashe. Eigentlich möchte ich sogar gleich noch einen Zweifel ausräumen.«
Seine Kehle war wie zugeschnürt. »Und zwar?«
Sie lehnte sich ans Geländer und starrte über den See. »Man könnte sich fragen, ob du mir, wenn Manwyn sich nicht verplappert hätte, von selbst diese Information gegeben hättest oder ob du es hättest geschehen lassen, ohne mich darüber in Kenntnis zu setzen, da du ja wusstest, dass es ohnehin passieren würde. Weil du es nicht hättest ändern können. Antworte mir nicht, Ashe. Da ich, wie Achmed sagt, die Königin der Selbsttäuschung bin, möchte ich glauben, dass du es mir gesagt hättest. Und wenn ich mich irre, will ich es nicht wissen.«
Ashe legte das Kinn auf ihre Schulter und schlang die Arme um ihre Taille. »Eines Tages trägt dieser wunderschöne Kopf vielleicht viele Kronen, Rhapsody, aber auf alle Fälle bist du jetzt schon die Königin meines Herzens. Das großzügige, offenherzige Vertrauen, mit dem du der Welt entgegentrittst, ist keineswegs Selbsttäuschung. Du hast dich entschieden, Achmed zu vertrauen, und obwohl er ein abstoßendes Scheusal ist, ist er dir doch gleichzeitig ein großartiger Freund. Und du hast beschlossen, mir zu vertrauen; ohne dein Vertrauen wäre ich vermutlich tot und für alle Ewigkeit in den Klauen des Dämons. Dein Herz ist weiser, als du glaubst.«
»Kann ich dann davon ausgehen, dass du mir meine letzte unangenehme, aber leider unumgängliche Frage verzeihen wirst, auf die mein Herz eine Antwort braucht?«
»Natürlich.« Er lächelte, aber in seinen Augen war ein nervöses Funkeln.
»Bist du absolut sicher, dass Llauron nicht selbst der Wirt des F’dor ist?«
Ashe vergrub die Lippen in ihrem goldenen Haar und seufzte. »Wenn es um den F’dor geht, kann man niemals vollkommen sicher sein, Aria. Aber ich kann es nicht glauben. Llauron ist sehr mächtig, und der F’dor kann nur einen schwächeren Wirt in Besitz nehmen. Außerdem hasst Llauron den F’dor mit jeder Faser seines Wesens und verfolgt ihn schon seit langer Zeit. Er wird alles tun, was nötig ist alles, um ihn zu finden und zu zerstören, selbst wenn er dich damit in Gefahr bringt. Vielleicht glaubst du das nicht, aber Llauron hat dich sehr gern.« Er lachte leise, und sie verdrehte die Augen. »Dennoch spielt das keine Rolle, wie ich leider sagen muss. Mich hat er auch sehr gern, doch das hat ihn nie davor zurückgehalten, mich nach seiner Pfeife tanzen zu lassen.