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»Setzt Euch.«

»Danke, Majestät.« Freiherr Francis nahm Platz und griff nach dem Kelch. Verstohlen schnupperte er daran, spürte aber sofort, dass der König es bemerkte. Der Wein hatte ein elegantes Bouquet.

Um seine Unhöflichkeit wettzumachen, nahm er einen großen Schluck. Noch ehe er den Wein richtig schmecken konnte, hatte er ihn schon geschluckt, doch es war ein überraschend guter Tropfen, mit einem vollen, kräftigen Körper und einem kaum wahrnehmbaren Beigeschmack. Wie die meisten Adligen in Canderre war auch Freiherr Francis ein Weinkenner, und die Wahl des Königs beeindruckte ihn. Er nahm noch einen Schluck. Es war ein junger Wein, zweifellos die Frühjahrslese, die noch ein wenig Zeit brauchte, um die volle Reife zu erlangen, aber eine gute Traube, die in ein, zwei Jahren exzellente Ernten erzielen würde.

Wieder winkte der König, und zwei weitere Wachen kamen herein. Sie trugen ein riesiges Fischernetz, das sie vor Pratts Füßen abluden. Er bückte sich, um eine Ecke davon aufzunehmen, merkte dann aber, dass er mühelos fast das ganze Netz auf einmal anheben konnte, was er sich niemals zugetraut hätte. Er wusste, dass Netze dieser Größe ein enormes Gewicht hatten, aber aus irgendeinem Grund wog dieses nur einen Bruchteil davon. Der Wert der fremdartigen Faser war ihm augenblicklich klar.

»Woher habt Ihr das?«

Der Firbolg-König seufzte entnervt. »Verschont mich bitte mit dem Eindruck, dass Cedric Canderre mir einen Narren geschickt hat.«

Freiherr Francis errötete. »Es tut mir Leid.«

Auf dem Gesicht des Riesen erschien ein breites Grinsen, bei dem groteske Zähne sichtbar wurden. »Na ja, wir ham es schon die ganze Zeit gedacht, aber wir sind viel zu höflich, um es laut auszusprechen.«

»Natürlich haben wir es hergestellt. Was haltet Ihr davon, Pratt?«

»Es ist... verblüffend.« Francis drehte das Netz in den Händen. »Die Verarbeitung ist großartig, ebenso wie das Material.«

Der Firbolg-König nickte und winkte abermals. Vor den Füßen des Abgesandten wurde eine große Truhe abgeladen. Der Abgesandte öffnete sie, und was er herausholte, ließ ihn erneut erröten. Es war ein Satz Unterwäsche, gefertigt aus gehäkelten Seidenfasern oder jedenfalls aus etwas, was aussah wie Seide. Es war weicher als Sommerfäden und hatte einen natürlichen Glanz, aber das Anziehendste daran war der Schnitt: Sparsam und skandalös, und dennoch wunderschön und elegant, wie die feineren und seriöseren Mieder und Unterkleider, für deren Herstellung Canderre berühmt war. Francis konnte sich keinen Reim darauf machen, wie das Kleidungsstück entstanden war eine Situation, die er angesichts seiner Ausbildung und seiner Vergangenheit schlicht für unmöglich gehalten hätte.

»Wie nennt man das?«, erkundigte er sich.

»Unterwäsche, du Hohlkopf«, antwortete das Mädchen, ohne von ihrem Spiel aufzublicken.

»Ich nenn meine ›Beulah‹«, verkündete der riesige Bolg hilfsbereit.

»Ich meinte die Fasern, den Herstellungsprozess«, entgegnete der Abgesandte.

»Spielt keine Rolle«, meinte der Firbolg-König . Er warf einen kurzen Blick zu Grunthor hinüber, und die beiden nickten sich zu. Soeben hatte sich bestätigt, dass Rhapsody für derlei Dinge eine Expertin war: Sie wusste, in welchen Kleidungsstücken Frauen sich wohl fühlten und in welchen Männer sie sehen wollten. »Gefällt es Euch?«

»Allerdings, es ist höchst beeindruckend.«

»Wie ist es mit dem Wein?«

Der Botschafter riss verblüfft die Augen auf. »Ist das ebenfalls ein Firbolg-Produkt?« Der verhüllte König nickte. Pratt rieb sich den Hals und versuchte, mit seinen Bemerkungen und Gedanken ins Reine zu kommen. »Welche Form soll dieses wirtschaftliche Experiment haben?«

Der König beugte sich ein wenig vor. »Wir möchten herausfinden, wie groß der Bedarf an solchen Dingen ist, ohne gleich ihre Herkunft preiszugeben.« Nun war es Freiherr Francis, der nickte. »Ich möchte, dass Ihr die Sachen auf den Markt bringt und über Euer Handelsnetz verkauft. Man wird annehmen, dass sie aus Canderre stammen, und ihre Qualität anhand der hohen Maßstäbe beurteilen, die mit diesem Namen einhergehen.«

Francis lächelte über das Kompliment. »Danke, Hoheit.«

»In einem Jahr werdet Ihr mir genauestens berichten, wie erfolgreich die Erzeugnisse waren. Ich warne Euch, Pratt, versucht nicht, mich zu hintergehen, denn das schätze ich ganz und gar nicht. Ich würde Euch gern anbieten, einmal mit jemandem zu sprechen, der es getan hat, aber gegenwärtig ist keiner davon mehr am Leben.«

Der alternde Botschafter richtete sich zu voller Größe auf. »Ich versichere Euch, Hoheit, dass es in Canderre seit jeher eine Sache der Ehre ist, geschäftlichen Vereinbarungen nachzukommen.«

»Das ist mir bereits zu Ohren gekommen. Ich möchte nur sicher gehen, dass es auch dann so gehandhabt wird, selbst wenn Eure Lieferanten Firbolg sind.«

»Selbstverständlich.«

»Gut. Wenn es am Jahresende Nachfrage gibt, was ich erwarte, schließen wir ein Handelsabkommen, in dem Canderre das Exklusivrecht garantiert wird, Bolg-Ware zu verkaufen, insbesondere Luxusartikel. Ebenfalls ziehen wir in Erwägung, die Rohmaterialien zu verkaufen, die Ihr dann für Eure eigene Produktion verwenden könnt, insbesondere die Trauben und das Holz.«

Pratt machte ein verwirrtes Gesicht. »Holz?«

»Schaut unter Euern Hintern, kleiner Mann!«, rief der Riese lachend. Gehorsam untersuchte der Abgesandte den Stuhl, auf dem er saß. Als er wieder aufblickte, war auf seinem Gesicht neuerliche Bewunderung zu sehen. »Nun, dies war ohne Zweifel ein bedeutsamer Tag.«

Der König schmunzelte. »Also fühlt Ihr Euch ehrlich geehrt, Pratt?«

»O ja, tatsächlich.« Auch Francis lächelte. Auf eine seltsame Art traf es zu. Jahrhunderte waren verstrichen, seit die Straße nach Canrif so viel Verkehr erlebt hatte, wie Dorndreher ihn heute erlebte. Seit der Hochzeitszeremonie vor tausend Jahren hatte keine solche Schar hoffnungsvoller Abgesandter mehr die warten den Tore durchschritten, und nun taten sie dies anscheinend bereits seit Tagen. Fast hätte er laut über die Mächtigen und Einflussreichen gelacht, die da übereinander purzelten und so taten, als legitimierten sie die Regentschaft eines Ungeheuers über das, was vor langer Zeit einmal die reichste Festung dieser und der Welt davor gewesen war. Als Dorndreher merkte, dass er auf die gleiche Mission geschickt worden war wie die anderen, hielt er sich zurück: Auch er sollte herausfinden, wer der neue König eigentlich war, sollte einen Blick von dem erhaschen, was einst der Glanz Canrifs gewesen war, und verhindern, dass das, was zweitausend Truppen aus Roland geschehen war, auch den Heeren all ihrer Heimatländer geschah.

Dorndreher war ein praktisch denkender Mann. Er konnte sie alle sehen, die Elite des Botschaftertums: Abercromby und Evans, Gittelson, Bois de Berne, Mateaus und Syn Crote, die bevorzugten Repräsentanten all der orlandischen und sorboldischen Regenten und Segner, die ihren Abgesandten zweifellos samt und sonders die gleichen Anweisungen gegeben hatten. Die Vertreter aus Sorbold und der Neutralen Zone waren gekommen, ein paar Wochen vor den Abgesandten aus Hintervold und anderen fernen Ländern. Die beiden religiösen Führer des Kontinents der Fürbitter von Gwynwald, Oberhaupt des filidischen Ordens, und der Patriarch von Sepulvarta, Führer des patriarchalischen Glaubens, der die Oberherrschaft über die Segner ausübte hatten ebenfalls ihre Vertreter geschickt. Die Neuigkeiten über den Firbolg-König hatten sich in kurzer Zeit wie ein Lauffeuer ausgebreitet. Wenn man den Gerüchten derer Glauben schenkte, die sich vorgedrängt hatten, um als Erste an den Hof vorgelassen zu werden, war es gescheiter zurückzubleiben. Die Vorderen konnten nicht umhin, über das, was sie gesehen, und über die Abmachungen, die sie geschlossen hatten, zu tratschen; schließlich wurde unter Botschaftern ebenso gern geprahlt wie unter Segnern und Herrschern. Doch Hackordnung und Wichtigtuerei kümmerten Dorndreher nicht. Ihm ging es ausschließlich um Erkenntnisse. Letztendlich kam es auf den Zutritt nach Canrif an, das wusste Dorndreher. Ein König, der schlau genug war, eine ganze, vom inzwischen verstorbenen großen Reitermarschall Rosentharn angeführte Brigade Roland-Krieger zu schlagen, hätte alles so arrangiert, dass die Abgesandten das zu Gesicht bekamen, was er ihnen zeigen wollte, und den Eindruck gewannen, den sie nach seinem Willen gewinnen sollten. Vielleicht war es eine bessere Strategie, diese Dinge mündlich zu erfahren und seine Zeit in den Räumen von Ylorc damit zu nutzen, dass er nach dem Ausschau hielt, was nicht auf der Agenda stand. Selbst die kleinste Einzelheit konnte seinem Meister von Nutzen sein. Da Dorndreher, wie gesagt, ein praktischer Mensch war, erwartete er allerdings nicht, etwas wirklich Wichtiges herauszufinden.