Sie war schon immer risikofreudig und wagemutiger als ihre Mitflüchtlinge aus der Tiefen Kammer gewesen. Viele der Unausgesprochenen, wie die Drachen ihre Art genannt hatten, hatten die Geduld entdeckt, als sie auf der Flucht aus ihrem ewigen Gefängnis in die Oberwelt gekommen waren. Sie war ein Wesenszug, der für die Kinder des dunklen Feuers neu war. So war es ihnen gelungen, während der Jahrtausende langsam ganze Reiche zu errichten, indem sie die Wirte benutzt hatten, wie die Menschen Schachfiguren benutzten. Dabei hatten sie gehofft, dass die Macht, die sie in der materiellen Welt ansammelten, es ihnen irgendwann ermöglichen würde, die Rippe des Erdenkindes oder einen anderen Weg zu finden, wie sie ihre Gefährten befreien konnten.
Aber sie war anders. Sie hatte berauschende Erregung in der Lockung, der Veränderung, der Täuschung gefunden und immer wieder arglose Menschen in ihre Fänge gelockt und ihre Eigenarten und Lebensweisen bis hin zu dem Muster ihrer Atemzüge untersucht, sie dann in einem Augenblick der Unaufmerksamkeit gefangen, ihre Seelen verwüstet und ihre Körper übernommen.
Einmal hatte sie die Gestalt eines jungen Liringlas-Sternensängers angenommen. Das war vor mehreren Jahrtausenden und eine ganze Welt weit weg gewesen, und so hatte sie ein wenig von der Wissenschaft der Namen gelernt. Sie hatte sein Wissen gut eingesetzt, bevor sie seinen nutzlos gewordenen Körper gegen einen interessanteren ausgetauscht hatte. Daher wusste sie, wie sie ihre Schwingungen und das Bild, das ihre menschliche Gestalt vermittelte, nach ihrem Belieben verändern konnte.
Außerdem hatte sie viel über die verwickelte männliche Lust erfahren, was sie auf beiden Seiten des Bettes zu ihrem Vorteil hatte einsetzen können.
Dies hatte schließlich zur Eroberung einer jungen Frau in Manosse geführt, die zur Ersten Generation der Cymrer gehörte und deren Körper nicht den Verheerungen des Alters oder der mit dem Alter einhergehenden Krankheiten unterworfen war. Sie war scheinbar unsterblich, wie der Rest der Flüchtlinge von der Insel Serendair. Sie selbst hatte den Namen des Mädchens gemocht – Portia –, denn er klang ähnlich wie ihr eigener, und die zusätzliche Macht, die in dem geschmeidigen Körper und der Schönheit der jungen Frau lag, ermöglichte es ihr, dumme junge Männer allein durch die Kraft ihrer wollüstigen Sexualität zu betören. Außerdem steckte eine gewisse Ironie darin, eine Cymrerin zu verschlingen. Wie die F’dor, so waren auch die Cymrer eine Rasse von Verbannten, die endlos lange über die Vertreibung aus ihrer Heimat brüten konnten.
Es passte vollkommen.
Daher war es nicht mehr nötig gewesen, den Wirtskörper auszutauschen.
Doch manchmal tauchte einer auf, der sich als unwiderstehlich herausstellte.
Der cymrische Herrscher war eine solche Versuchung. Portia leckte sich die Lippen, die unter der Hitze der Vorfreude und dem Kuss des Windes plötzlich trocken geworden waren. Obwohl sie in einer weiblichen Gestalt steckte, verspürte sie nicht die körperlichen Bedürfnisse einer Frau und daher auch nicht das brennende Verlangen und die Anziehung des Fleisches, so wie eine menschliche Frau sie fühlen würde. Ihr gelüstete es nach der Macht, die sie im Liebesakt mit mächtigen Männern erhielt. Die Hingabe ihrer Partner im Rausch der Leidenschaft hatte die Essenz ihres Seins genährt, und die Verwundbarkeit der Männer sowie ihre Offenheit für Portias Herrschaft verursachten ihr orgiastische Gefühle. Wenn ein Mann in ihren Körper stieß, dann lag seine Seele offen und nackt da.
Nicht nur dann hatte sie Zugang zu den Seelen und konnte deren Innerstes schlürfen und all das, was an uranfänglicher, elementarer Macht darin steckte, in sich aufnehmen, sondern sie war auch in der Lage, diese verwundbaren Seelen an eine krumme Ranke des Blutdorns zu binden, des entarteten Schösslings von Ashra, dem Baum des elementaren Feuers, der im Innern der Tiefen Kammer wuchs.
Das war jedem Mitglied des Älteren Pantheons möglich.
Langsam fuhr sie sich mit den Händen durch die Haare, hob die Brüste in den Wind, der die Warzen durch den dünnen Stoff ihres Hemdes liebkoste, und seufzte glücklich. Sie hörte ihren Namen im Wind; sie wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis der cymrische Herrscher sie gefunden hatte. Und nun war ihre Beute eingetroffen. Sie fühlte seine Gegenwart, auch wenn sie ihn noch nicht sah.
Der Baum des Blutes hatte schon einmal die Seele Gwydions von Manosse gekostet. Ein anderer ihrer Art aus dem Jüngeren Pantheon hatte vor einigen Jahrzehnten ein Stück davon herausreißen können und damit Experimente angestellt; er hatte einen Körper aus Eis und dem Blut geschändeter Kinder geformt und ihn zur Zeugung von Nachkommen benutzt, ohne dabei seine eigene Seele einsetzen zu müssen. Dies hatten bereits andere F’dor versucht, aber bisher war es niemandem gelungen. Der Blutdorn hatte im Geschmack von Gwydions Innerstem geschwelgt und wäre beinahe in der Lage gewesen, damit das Schlafende Kind zu finden und zu unterjochen.
Sobald sie diesen Körper als neuen Wirt genommen hatte, würde der Unheilige Baum wieder genährt werden.
Der Wind frischte ein wenig auf, fuhr ihr über Nacken und Arme und spielte mit ihren langen, dunklen Locken.
Portias Lächeln wurde im Licht des Mondes heller. Angesichts ihrer eigenen Unersättlichkeit konnte sie ein Kichern nicht unterdrücken. Das war einer der Züge, die der armselige Tristan Steward an ihr so geliebt hatte. Die meisten F’dor, deren Macht mit der ihren vergleichbar war, hätten Gwydion von Manosse als den größtmöglichen Gewinn angesehen, doch sie wollte mehr – wie immer.
Sie wollte seine Frau haben.
Es war etwas Verhexendes an der cymrischen Herrscherin, das Portia sowohl verwirrte als auch faszinierte. Den Grund dafür hatte sie sofort erkannt. Die erhabene Schönheit, welche das einfache Volk, das Rhapsody die Treue geschworen hatte, so begeisterte, war nichts anderes als ein innerer Kern aus elementarem Feuer, der in ihr brannte und den sie aus einer uralten Quelle aufgenommen haben musste. Im Gegensatz zum dunklen Feuer der Tiefen Kammer, aus dem die F’dor ihre Macht zogen, war das Element im Körper der cymrischen Herrin rein und unberührt von allem Bösen.
Und daher war es eine Herausforderung.
Bei diesem Gedanken erbebte das Fleisch zwischen Portias Schenkeln. Gewisse Akte der Schändung waren unübertrefflich in ihrer Großartigkeit, wie das Verderben eines Kindes oder die Vergewaltigung einer Jungfrau. Dieses Gefühl der Zerstörung von Unschuld entzog sich jeder Beschreibung und übertraf alles andere. Die Gelegenheit, eine Quelle reinen Feuers zu nehmen und sie zu verzerren, zu beschädigen und zu vergiften, bis auch sie derselben Leere diente wie die F’dor, war zu gut, um sie ungenutzt zu lassen. Sie versuchte tief einzuatmen, doch es gelang ihr nicht.
Ich werde dich bekommen, Herrin, dachte sie erregt. Ich werde dich im Körper deines Gemahls haben. Ich werde mich von deiner Leidenschaft und Hingabe nähren. Und wenn du offen für ihn bist, verwundbar in deiner krank machenden Liebe, dann werde ich dir die Seele nehmen und deinen Körper zu dem meinen machen. Aber vorher werde ich dir mit seiner Stimme sagen, was geschieht, sodass ich mich an deinem Entsetzen erfreuen kann – wenigstens für einen Augenblick.
Und während ich deine Seele esse, werde ich dir dein Feuer nehmen. Doch zuerst nehme ich dir deinen Gemahl.
Ihre Erregung erreichte den Höhepunkt. Sie durfte ihre nächste Eroberung nicht länger warten lassen.
Die Frau im dunklen Tal drehte sich langsam um; ihre Augen glitzerten im Mondlicht.
»Ich habe gewusst, dass du mir nachkommen wirst«, sagte sie sanft. »Ich wusste, dass du mich nicht einfach gehen lassen kannst.«
Der Wind wurde noch stärker und liebkoste ihre Haare. Zunächst war es still im Tal. Dann ertönte eine Stimme. Es war nicht der warme Bariton, den sie erwartet hatte, sondern eine matte, tonlose Stimme, die in ihren Ohren vibrierte, aber im Wind nicht hörbar war.
Alle von deiner Art sollten dasselbe Wissen haben, Hrarfa. So ist es seit dem Beginn der Zeit gewesen, und so wird es bleiben, bis jeder von euch ausgelöscht und wie eine Kerzenflamme unter Asche begraben ist.