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Portia hörte diese Worte tief in ihrem Inneren widerhallen.

Eine alte, alles verzehrende Angst stieg in ihr auf und breitete sich aus wie Flammen auf einem Baum. Sie drehte sich um und wollte weglaufen, doch vor ihr bewegte sich die Dunkelheit so nah, als wäre es ihr eigener Schatten.

Eine Gestalt in diesem Schatten streckte ihr die Hand mit aufgerichteter Innenfläche entgegen.

Zhvet, sagte sie. Halt.

Plötzlich erstarb der Wind um Portia. Alle Laute, alle Luft schienen aus dem Tal zu weichen und ließen sie atemlos und keuchend zurück. Panik stieg in ihr auf und überrannte sie. Alle ihrer Art kannten diesen Augenblick und fürchteten ihn beinahe seit Anbeginn der Zeit. Wie viele der Flüchtlinge aus der Tiefen Kammer hatte auch sie nicht mehr an diese Möglichkeit geglaubt, besonders nicht nach den Ausschreitungen und Kämpfen gegen die Dhrakier, welche die Jäger fast vom Antlitz der Erde getilgt hätten.

Doch nun war die Zeit gekommen, und sie war von jemandem gefangen worden, der ihren Namen kannte.

Rath atmete erneut tief ein und erlaubte seinem Hautgewebe, sich zu entspannen. Er zog an dem erstbesten Faden des Windnetzes, das er aus der unsichtbaren Seide des Kirai gewoben hatte. Der Körper des Dämons zuckte zusammen, erzitterte und erstarrte, wie er mit Befriedigung feststellte.

Langsam spreizte er die Finger und begann mit seinem Gesang.

Bien, sang er mit der unhörbaren, summenden Stimme seiner ersten Kehle. Es war der Name des Nordwindes, des stärksten der vier und desjenigen, der am einfachsten zu finden war. Der Wind reagierte sofort, wie er es immer für Rath tat, und wickelte sich eng um dessen Zeigefinger; dann verankerte er sich in der ersten Kammer von Raths Herzen.

»Nein«, flüsterte die Frau, die noch immer stocksteif dastand. Rath sah, wie ihre Blicke hin und her schossen. »Nein.«

Er hatte nicht erwartet, dass ein F’dor aus dem Älteren Pantheon ihn anbetteln würde. Seiner Erfahrung nach waren die älteren und mächtigeren Dämonen gelassen oder wütend, aber für gewöhnlich schweigsam oder angesichts ihrer bevorstehenden Vernichtung eher drohend als unterwürfig.

Er erinnerte sich an ihre Neigung zur Täuschung, machte seinen Geist frei und kehrte in einen Zustand der inneren Ruhe zurück.

Jahne, flüsterte er durch die Öffnung in seiner zweiten Kehle. Das war der Ruf des Südwindes, des beständigsten und ausdauerndsten der Winde. Rath spürte seine Antwort sowohl an seinem Finger als auch in seiner Brust, wo sich der Wind in der zweiten Kammer seines Herzens verknotete.

Die Frau kreischte auf. Es war nicht das harsche, schrille Schreien eines wütenden F’dor, sondern das herzzerreißende Jammern menschlicher Verzweiflung, die allerdings auf Rath keinen Eindruck machte.

»Bitte«, flehte sie. Ihre Augen wurden vor Angst und vor dem Druck, der sich in ihrem Schädel aufbaute, immer größer. »Hab … Mitleid. Ich weiß vieles, was … wertvoll ist …«

Rath hörte nicht einmal ihre Worte. Sein ganzes Sein war nur auf das Ziel gerichtet, und jeder Laut und alle Wut verschwanden im schattenhaften Zwielicht am Rande seines Bewusstseins. Übrig blieben nur die reinen, klingenden Töne der Winde, die auf seinen Ruf antworteten. Er war zufrieden mit der Reinheit der ersten beiden und rief den dritten Wind herbei, den Wind der Gerechtigkeit, der aus Westen blies.

Lenk.

»Ich … ich weiß, wo … andere sind«, flüsterte die Frau. Unter der Anstrengung des Sprechens verzerrten sich die Adern an ihrem Hals auf groteske Weise. »Ich … werde es … dir sagen …«

Eingesponnen in die Finsternis seines Rituals, rief Rath den letzten Wind, den Ostwind, und wartete geduldig darauf, dass die spielerische Brise durch das Tal blies. Schließlich kam sie, wickelte sich um seinen Ringfinger und setzte sich in der letzten Kammer seines Herzens fest, das nun unregelmäßig unter den wechselhaften Winden schlug.

Thas. Der Wind des Morgens, der Wind des Todes.

Die Luftströmungen hingen wie Spinnwebfäden wartend an seinen Fingerspitzen und waren fest verankert in seinen Herzklappen. Wenn er das zweite Netz auswarf und an das Ende des Rituals kam, würde er verwundbar sein. Selbst wenn er es wollte, konnte er jedoch nicht aufhören, bis der Wirtskörper und der Geist des F’dor tot waren, denn sonst würde sein Herz in der Brust platzen.

Rath öffnete die Augen und sah der entsetzten Bestie in die Augen. Die Frau, die Hrarfas letzter Wirt gewesen war, war sehr schön gewesen; sie hatte große, dunkle Augen, die das Licht glitzernd widerspiegelten. Diese Augen waren nun mit Tränen gefüllt, und er hätte fast glauben können, dass sie von wirklichen Gefühlen herrührten.

Fast.

Rath ballte die Faust.

Die Frau zuckte erneut zusammen, stand aber immer noch starr an derselben Stelle.

Mit einer fließenden Bewegung warf er das an seiner Hand und in seinem Herzen verankerte Netz aus den miteinander verwobenen Winden über den Dämon und zog mit aller Kraft.

Der Dämon kreischte wieder auf, diesmal mit einer uralten Stimme, die an Raths Ohren kratzte wie Nägel auf Fleisch. Das liebliche Gesicht verzerrte sich zu etwas Dunklem und Scheußlichem; aus den schwarzen Augen blitzte Hass, der schon beinahe greifbar war. Rauch stieg um die Gestalt herum auf, während die Winde sie mit einem undurchdringlichen Käfig umgaben, ihr immer näher kamen und sich mit der Macht eines Wirbelsturms gegen sie drückten.

Rath atmete tief ein. Das Bannritual hatte seinen Höhepunkt erreicht.

Es war an der Zeit, das Netz zu kappen.

Er öffnete den Mund ein wenig weiter, sog die Luft durch alle vier Kehlenöffnungen ein und stieß durch sie je einen einzelnen, gleichmäßigen Ton aus. Mit einem Geschick, das von ungezählten Jagden herrührte, erzeugte Rath mit der Stimmritze tief in seiner Kehle ein klickendes Geräusch.

Ein harscher fünfter Ton durchschnitt die Gleichmäßigkeit der vier anderen.

Die Winde kreischten schrill um die Bestie; sie fuhren durch das Tal und brachten die Bäume zum Erzittern.

Rath spürte, wie die Windfäden an seinen Fingern schlaff wurden. Rasch schnalzte er mit der Zunge, schnitt mit dem Geräusch die Enden des Windkäfigs ab und erlaubte dem ersten Netz, sich aufzulösen. Dann spannte er den Daumen und zog das Windnetz fest um den tobenden Geist.

Das Herz klopfte ihm gegen den Brustkorb. Nun, da die Bestie gefesselt war und nicht mehr entkommen konnte, begann er mit dem letzten Gesang, der sich zu einem mächtigen Crescendo entwickeln und zusammen mit den Schwingungen der untereinander verbundenen Herzen dazu führen würde, dass der Blutfluss im Wirtskörper seine Richtung änderte und in den Kopf floss, bis dieser platzte.

Die Luft im Tal wurde in den Mahlstrom des Windgewebes gesaugt, das um das Ungeheuer aus der Vorzeit wirbelte.

Wut verzerrte das Gesicht der Frau zu einer Maske aus noch größerem Hass. Sie zog eine Grimasse des Schmerzes und versuchte Flüche auszustoßen, doch ihre Pupillen hatten sich bereits ausgedehnt und die Größe der Iris angenommen, und die Stirn zeigte tiefe Falten der Qual.

Rath hielt ihrem durchdringenden Blick stand. Er hörte im anschwellenden Lärm des kurz bevorstehenden Todes die uralten Rufe seiner lebenden und toten Brüder, die sich ungehindert von Raum und Zeit zu ihm gesellten und mit ihren Stimmen den Gesang verstärkten.

Auch wenn der Höhepunkt des Bannrituals den Jäger verwundbar machte, wenn sein Herz im Gleichklang mit dem reinen Bösen schlug, lag doch Trost in dem Zusammengehörigkeitsgefühl, das sich aus der gemeinsamen Sache ergab, der sich seine Rasse seit Tausenden von Jahren verschworen hatte.

Er stand so sehr im Bann, dass er nicht hörte, wie die Zweige unter dem Schritt von jemandem knackten, der soeben das Tal betreten hatte.