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»Es hat einen Anschlag auf Terreanfor gegeben?«, fragte Achmed, als Anborn seine Wut kaum mehr bezähmen konnte. »Warum sollte Talquist die einzige der fünf Basiliken angreifen, die innerhalb seiner eigenen Grenzen liegt?«

»Der Angriff kam nicht von außen, sondern von innen«, erklärte der Patriarch. »Als heilige Basilika der elementaren Erde ist Terreanfor die größte bekannte Lagerstatt Lebendigen Steins auf dem Kontinent. Talquist hat heimlich diesen wertvollen Rohstoff der Basilika für seine eigenen Zwecke abgeerntet. Der Mann, der mir von diesem Verrat berichtet hat, war Zeuge der Tat und hat unfreiwillig sogar daran teilgenommen. Dieses gesegnete Element, dieses Geschenk der Erdenmutter ist auf die unheiligste Weise benutzt worden. Ich vermute, dass die Ermordung der Herrscherwitwe und des Kronprinzen Vyshla das Ergebnis dieses Verbrechens waren, auch wenn ich keine Ahnung habe, wie der Lebendige Stein das bewirken konnte.«

»Die Herrscherwitwe war eine verschrumpelte alte Schachtel, die älter geworden ist, als ihr zustand«, brummte Anborn. »Und ihr fetter Klops von einem Sohn konnte kaum ohne fremde Hilfe aus dem Sessel aufstehen. Wieso glaubt Ihr, dass ihr Tod keine natürliche Ursache hatte? Es ist höchst wichtig, dass wir nicht fremder Bosheit das zuschreiben, was auch auf andere Weise erklärt werden kann, denn sonst verlieren wir uns in der Frage, welche Bedrohung wirklich besteht und welche nicht.«

»Das stimmt«, gestand der Patriarch. »Zwar kann ich nicht beweisen, dass der plötzliche Tod der beiden Mord war, aber ich weiß, dass Talquist die Waage manipuliert hat, damit er zum Herrscher ernannt wird. All diese angebliche Bescheidenheit, ein Jahr lang nur als Regent aufzutreten, war nichts als Augenwischerei; Talquist hat schon seit langem seine Thronbesteigung geplant.« Der Patriarch kniff die sengenden blauen Augen zusammen. »Ich kenne diesen Mann und seine Grausamkeit bereits seit vielen Jahren.«

In dem kleinen unterirdischen Raum wurde es still; die Laterne flackerte. Über die Herkunft des Patriarchen war nicht viel bekannt. Wie aus dem Nichts war er auf dem ersten cymrischen Konzil des neuen Zeitalters erschienen und hatte sich unter die Abkömmlinge der Auswanderer von der untergegangenen Insel Serendair gemischt.

Ashe und Rhapsody wechselten rasche Blicke mit den beiden Bolg. Sie alle kannten seine Geschichte, hatten sie aber nie enthüllt. »Ihr braucht das nicht näher darzulegen, Euer Gnaden«, sagte Ashe.

Der Patriarch schüttelte den Kopf. »Wenn diese Männer Eure Ratgeber sind und Ihr ihnen vertraut, dann verdienen sie es zu wissen«, meinte er und sah nacheinander Anborn, Rial und Gwydion an. »Es braut sich ein Krieg zusammen, der möglicherweise einen großen Teil der bekannten Welt verwüsten wird. Alle Geheimnisse meiner eigenen Vergangenheit sind dagegen unwesentlich. Es ist besser, wenn alles Verborgene ans Tageslicht kommt, damit wir wenigstens einen Teil der kommenden Vernichtung abwenden können. So würde es auch der All-Gott wünschen.«

»Wie Ihr wollt«, brummte Ashe. »Niemand hier wird über Euch richten.«

»Der cymrische Herrscher spricht die Wahrheit«, bekräftigte Rial. »Jeder Einzelne von uns ist in den Augen des All-Gottes alles andere als vollkommen. Redet weiter, Euer Gnaden.«

»In meiner Jugend war ich Sklave in einer Gladiatorenarena im Bezirk Nikkid’sar im sorboldischen Stadtstaat Jakar«, erklärte der alte Mann. »Zwar sehe ich aus wie ein Greis, aber seit der Zeit meiner Gefangenschaft sind nach den Maßstäben der Welt nur wenige Jahre vergangen. Ich wurde von Dämonenblut geboren und bin ein Abkömmling des letzten bekannten F’dor, der dieses Land heimgesucht hat. Ich war ein grausamer Mörder und kannte keine Gnade, sondern nur Blutdurst.« Er machte eine Pause, während Gwydion, Anborn und Rial erstaunt blinzelten. »Es war die cymrische Herrscherin, die mich vor noch Schlimmerem bewahrt hat – und Ihr wart es, Marschall, der uns beide gerettet hat, auch wenn Ihr mich zweifellos nicht wieder erkennt.«

»Das tue ich in der Tat nicht«, meinte Anborn. »Wenn es mir nach gegangen wäre, dann hätte der Gladiator, den Rhapsody aus der Arena in Sorbold gezogen hat, den Tod durch meine eigene Hand erlitten. Wenn sie mir nicht in den Arm gefallen wäre, dann würde Eure befleckte Seele nun in der Tiefen Kammer der Unterwelt braten, falls Ihr wirklich die elende Brut des Dämons seid.«

Der Patriarch nickte; er schien nicht beleidigt. »Ich bin derselbe Mann, den Rhapsody vor vier Jahren hinter den Schleier des Hoen in das mythische Reich des Herrn und der Herrin von Rowan geführt hat – an jenen Ort auf der Schwelle des Todes, wo die Sterbenden auf die eine oder andere Weise Heilung finden und dann entweder durch das Tor des Lebens ins Nachleben schreiten oder wieder gesund werden und zu einem bestimmten Zweck in die stoffliche Welt zurückkehren.« Sein Blick fiel auf Ashe. »Ich glaube, Ihr kennt dieses Reich.« Der cymrische Herrscher lächelte schwach. »Ja.« »Da Ihr selbst dort geheilt worden seid, kennt Ihr den Druck der Verantwortung, der mit dem Geschenk des zweiten Lebens einhergeht. Nachdem an diesem schläfrigen Ort der Heilkunst zwischen den Welten das Dämonische aus meinem Blut getilgt worden war, war mir nicht mehr viel geblieben. Alles, was ich gekannt hatte, waren Gewalt und Mord gewesen. Also blieb ich dort und studierte und erlaubte mir, meine Zeit damit zu verbringen, mir die Heilkünste und die Weisheit der Rowans anzueignen. Meine ausgesprochene Langlebigkeit – die ich meiner cymrischen Mutter zu verdanken habe, welche ich nie kennen lernte – erlaubte es mir, Jahrhunderte hinter dem Schleier zu verbringen, ohne dort zu sterben. Als ich schließlich auf die andere Seite zurückkehrte, war ich alt und hatte mehr als sechshundert Jahre gelebt, doch in den Augen der Welt war nur eine kurze Zeit vergangen. Aus diesem Grund erkannte mich niemand. Der Name Constantin war nur mit dem jungen, rüstigen Mörder aus der Arena von Sorbold verbunden. Ich habe keinen Versuch unternommen, mich abzuschirmen und meinen Namen zu ändern, und niemand hat die Verbindung hergestellt – nicht einmal Talquist, dem ich gehörte, als ich noch Gladiator war.«

»Es überrascht mich nicht, dass Talquist in der Verbreitung und Beförderung dieses blutigen Sports tätig war, bevor er den Thron bestiegen hat«, bemerkte Rial. »Aber wie konnte er so rasch so viel Macht erlangen, ohne offiziell gekrönt zu sein?«

Der Patriarch schaute auf den Ring der Weisheit an seiner Hand. Es war ein schlichter Ring mit einem klaren, glatten Stein in einer Fassung aus Platin. Innerhalb des ovalen Steins steckten, als wären sie eingeätzt, die zwei einander gegenüberliegenden Symbole des Positiven und Negativen, die Zeichen des Gleichgewichts zwischen dem Leben und der Leere, den beiden großen Konstanten des Universums.

»Bevor er die Waage manipuliert und den Thron von Sorbold gestohlen hat, war Talquist Kaufmann«, sagte er ruhig. »Während die Herrscherklasse, die Adligen und sogar das Militär dazu neigen, die Kaufmannsklasse als untergeordnet anzusehen, hatte diese in Wirklichkeit schon immer die größte Machtbasis, weil sie den Handel und die Außenbeziehungen der Nation kontrolliert. Talquist hatte seit langem Zugang zu Verbündeten in fremden Ländern, mit denen die Herrscherwitwe lediglich lockere diplomatische Kontakte pflegte. Er besitzt eine Flotte von Handelsschiffen, die bereits seit vielen Jahren über die Meere kreuzen, und bleibt auf dem Laufenden über alles, was in der Bekannten Welt vor sich geht. Ich vermute, er ist ein Verbündeter des Magnaten von Marincaer und des Barons von Argaut, die ebenfalls große Flotten auf der anderen Seite des Zentralmeeres und der Welt besitzen. Seit Jahrzehnten befördert er die Waren aus den Minen und den Stofffabriken von Sorbold. Vermutlich ist er reicher und hat bessere Verbindungen, als allgemein bekannt war. Da er nun auch die sorboldische Marine unter seiner Kontrolle hat, beherrscht er die See von der Südspitze Tyrians bis nach Golgarn im Osten. Und vermutlich noch darüber hinaus.«

»Aber woher kommen die Sklaven?«, fragte Ashe. »Kaufmannsschiffe sind nicht dazu eingerichtet, Küstenstädte anzugreifen, und keine sorboldischen Marineschiffe greifen die Uferregionen des Bündnisses an. Wenn die sorboldische Marine über das Zentralmeer nach Manosse oder zu einem weit vom Kontinent entfernten Land gesegelt wäre, dann wäre Talquist zu Hause verwundbar gewesen. Das ergibt keinen Sinn. Irgendetwas fehlt noch.«