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»Die Prophezeiung des Kindes der Zeit:

Hervorgebracht im Blut aus Feuer und Luft Gezeugt von der Erde Ein Kind von zwei Welten Geboren frei von den Fesseln der Zeit. Augen werden es beobachten auf der Erde und aus ihrem Inneren Und die Erde selbst wird brennen unter ihm Zum Gesang des Jammerns und Schreiens der Sterbenden. Er wird das Unvermeidliche ungeschehen machen Und sich damit Selbst einst ungeschehen machen. Dies widernatürliche Kind, geboren aus widernatürlichem Akt Die Mutter wird sterben, doch das Kind wird leben Bis alles, was vorherging, fortgewischt ist Wie eine Träne aus dem Auge der Zeit.«

Rhapsodys Rücken versteifte sich. Sie drückte die Schultern durch, und ihre Arme zitterten. Dann schaute sie hinunter auf das schlafende Kind in ihren Armen. Ihre Lippen, die sie bisher fest zusammengepresst und weder in Hohn noch in Zärtlichkeit verzogen hatte, klafften nun auf, als sich die Worte aus ihrem Mund ergossen. »Gütiger All-Gott«, flüsterte sie.

7

An der Grenze zwischen Hintervold und Canderre

Die Drachin hielt an dem bitteren Fluss inne, dessen Eis silbrig schimmerte und der den südwestlichen Rand ihres Landes von der Nordspitze Rolands trennte. Ihr Körper zitterte vor Erschöpfung und Kälte, die sich im Hintervold bis weit in den Frühling hinein hielt. Sie hatte sich mühsam so weit geschleppt, hatte dem Wind getrotzt sowie dem Blutverlust und der Verwirrung, die sie andauernd überfiel, wenn sie sich länger als nur wenige Augenblicke auf etwas anderes konzentrierte als auf die Frau, die sie töten wollte.

Als sie am Rande des träge treibenden Eises hockte, schien es ihr, als verliere sie den Kampf.

Die Drachin wusste, dass der Fluss trotz seiner Stromschnellen seicht war. Der innere Sinn, mit dem sie seit ihrer Geburt begabt war, erlaubte ihr, die Welt in allen Einzelheiten wie jeder andere Drache wahrzunehmen – auch als sie sich in menschlicher Gestalt befunden hatte, allerdings erinnerte sie sich an jene Zeit nicht mehr. Nun erkannte sie die Temperatur des Wassers – sie lag nur knapp über dem Gefrierpunkt – und die Geschwindigkeit – zweieinviertel Mal so schnell, wie ein ungesattelter Hengst rennen konnte – sowie die Anzahl der kleinen Fische, die im Schlamm schliefen – siebenhundertsechsunddreißigtausendvierhundertachtundachtzig – und ferner ungezählte andere Informationen über die Höhe der Wolken, den Grad der Schneeschmelze am Flussufer, dessen Breite, die Bäume in der Umgebung und alle anderen Elemente des Lebens in ihrer Nähe.

Die Anzahl der Informationen umwölkten ihren Verstand. Die Drachin versuchte sich davon zu befreien und richtete all ihre Aufmerksamkeit auf den Fluss.

Die Gestalt, in der sie anscheinend für den Rest ihres Lebens gefangen war, hatte kaltes Blut, und daher wusste sie, dass es ihren Herzschlag bis zum Tod verlangsamen konnte, wenn sie sich einer so großen Kälte aussetzte. Andererseits wuchs das verhasste Ding in ihr, das ihr das Fleisch zerriss und ihr Schmerzen verursachte, unter der Wärme, die ihr Körper durch die Feuersteine in ihrem Bauch erzeugte, mit deren Hilfe sie ihrer Wut zu beißender Flamme verhelfen konnte.

Anwyn berechnete schnell, dass die Kälte des Flusses dieses Wachstum aufhalten konnte, auch wenn das dreikammerige Herz in ihrer schlangenartigen Brust dann möglicherweise nicht mehr weiterschlagen würde.

Sie entschied, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als es zu wagen.

Sie stählte sich, so wie sie sich gegen die Schmerzen ihrer Wunde gestählt hatte, und glitt langsam in die eiskalte Flut.

Ihre verkrümmten Füße rutschten beinahe sofort auf den glitschigen Felsen des Flussbettes aus, und ihre blutende Brust geriet mitten in eine der Stromschnellen hinein. Die Drachin keuchte vor Entsetzen auf und bemühte sich, nicht mit dem Kopf voran in das Wasser zu fallen und von ihm davongetragen zu werden. Das durchscheinende Wasser hatte etwas zugleich Altes und Junges an sich, denn Anwyn wusste, dass es sowohl schon vierzigtausend Jahre als auch erst vierzig Minuten alt war, denn noch vor weniger als einer Stunde war es Gletschereis gewesen. Trotz der Schmerzen und der Kälte gefiel dem Untier das Gefühl der Vergangenheit, das mit der Strömung dahinschoss. Es war, als glitte die Zeit über die Drachin hinweg, wie Wasser durch ein Loch am Boden strömt und dorthin zurückkehrt, wo es hingehört.

Ich werde leben, dachte sie wütend. Egal wie sehr sie auch versuchen mögen, mich zu vernichten. Ich werde siegen, weil mein Hass stärker ist.

Mitten im Strom hielt die Drachin an. Hier reichte das Wasser kaum bis zu ihren Waden. Als sie sich an die Temperatur gewöhnt hatte, fand sie heraus, dass die aufgelösten Eisschollen, die um sie herum wirbelten, ihr ein Gefühl der Stärke vermittelten und sie mit der Vergangenheit verbanden – mit der Vorzeit, in die nur sie allein blicken konnte. Auch ohne das Fernglas sah sie nun immer deutlicher ein fernes Land voller trockenem Wüstensand und heilender Quellen, mit Felsen, unter denen man im Mondlicht baden konnte, und mit Tempeln, die zwei Jahrtausende alter Lehm vor dem dahinjagenden Wind verbarg.

Kurimah Milani, dachte sie. Es war ein Ort, der schon lange vor ihrer Geburt an die Wüste verloren worden war und der in einem Land weit hinter Elynsynos’ Reich lag. Daher wusste Anwyn fast nichts über ihn; sie kannte nur seinen Ruf als Ort von beinahe göttlicher Heilkraft, der bereits fünfhundert Jahre, bevor ihr Vater seinen Fuß auf den Boden des Drachenlandes gesetzt hatte, vom Sand und dem heulenden Wind verschluckt worden war. Wahrhaft ein Ort der Vergangenheit, dachte sie, während sie um ihr Gleichgewicht kämpfte. Schließlich gab sie den Kampf auf und gestattete es ihren Füßen, in die schlammige Erde des Flussbetts einzusinken. Vielleicht wird er mich willkommen heißen, da auch ich ein Wesen der Vergangenheit bin.

Mit fest in den gefrorenen Schlick des Flussbetts eingekrallten Füßen machte sie sich langsam auf den Weg nach Osten und kämpfte mit jedem neuen Schritt gegen die Strömung an.

8

Haguefort, Navarne

»Rhapsody, ich bitte dich, gerate nicht in Panik«, sagte Ashe rasch und legte die Hand unter den Rücken des Kindes. Seine Frau war jedoch kaum blasser als er selbst. »Erinnere dich daran, was mein Vater über Prophezeiungen gesagt hat – dass sie nicht immer das sind, was sie zu sein scheinen.«

Vorsichtig nahm er seinen Sohn in die Arme, während sich seine Frau gegen die Wand der unterirdischen Kammer lehnte. Er versuchte das Kleinkind anzulächeln, konnte aber den Rest der Bemerkung nicht vergessen, die sein Vater gemacht hatte. Oft ist es den Preis der Irreführung nicht wert, in die Zukunft zu sehen, hatte Llauron bemerkt. Ashe war zu dem Schluss gekommen, dass Prophezeiungen zwar in die Irre führen konnten, aber oft ergaben sich noch schlimmere Konsequenzen, wenn man sie erst gar nicht beachtete.

»Ich habe keine Panik«, sagte Rhapsody mit fester Stimme, obwohl ihr Gesicht noch immer sehr bleich war. »Aber es ist für mich keine Frage, dass Meridion das Kind ist, von dem diese Prophezeiung spricht, obgleich ich nicht verstehe, warum etwas im Teppich der Weberin aus einer Zeit, als die Geschichte in Verwirrung geraten zu sein scheint, auf ihn zutreffen soll. Als Jal’asee, der Botschafter der Meeresmagier aus Gaematria, zu Gwydions Amtseinsetzung hier war, hat er mir von dem Geheimnis erzählt, das durch die Vermischung deines Blutes mit dem meinen in mir gewachsen ist. Er hat denselben Begriff verwendet und mir gesagt, es werde ein Kind der Zeit sein.« Sie holte tief Luft und erinnerte sich an die genauen Worte des Magiers, in denen die Weisheit der ältesten aller Rassen erklang.